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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 14.01.2015
LebenAnders leben

Schweig!

Veröffentlicht
am 14.01.2015
Bei einer Reise durch Neuseeland entdeckte Tobias Auer die Meditation. „Früher wollte ich die Welt verändern, jetzt ändere ich mich selbst“, sagt er.
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Tobias Auer

Ein kahler Kopf. Er einnert irgendwie an Mönche in orangenen und roten Kutten. Oder an den Dalai Lama. Ich habe das geistige Oberhaupt der Tibeter zwar noch nie im echten Leben gesehen, doch wenn ich mir dessen Ausstrahlung vorstellen sollte, würde ich sie in etwa der von Tobias Auer aus Eppan gleichsetzen. Es sind nicht nur seine grünen Augen, die mich in ihren Bann ziehen, sondern sein ganzes Wesen. Der 22-Jährige strahlt Zufriedenheit aus. Doch auch bei Tobias kam dieser Zustand nicht von ungefähr. Still sitzend, hat er hart dafür gearbeitet.

Auf ins Land der Kiwis

Vor etwas mehr als einem Jahr packte Tobias seine Koffer und machte sich auf in ein Abenteuer, das einen unerwarteten Ausgang finden sollte. Ein Jahr Neuseeland, so lautete der Plan. Was genau er auf der Insel machen würde, wusste er damals noch nicht. Er wollte sich treiben lassen: ohne Pläne, ohne Destinationen, ohne Zeitdruck.

Leichter gesagt, als getan. „Die erste planlose Zeit in Auckland war nicht leicht, ich war sozusagen aufgeschmissen, weil ich nicht wusste, wo mein Weg langgehen sollte“, erzählt er heute. Also versuchte er, sich dem Moment hinzugeben. Von Auckland aus trampte er einige Monate lang quer durch die Insel, lernte Leute kennen, sammelte Erfahrungen. Schließlich verschlug es ihn wieder zurück in die große Stadt, wo er in einer Community landete.

Bereits am Anfang seiner Reise hatte er zwei Leute kennengelernt, die ihm von einer besonderen Meditationsart namens Vipassana erzählten. Eine Methode, bei der man mindestens neun Tage schweigend in vollkommener Stille verbringt, bevor man am zehnten Tag wieder sprechen darf und behutsam in die Welt reintegriert wird. In der Zeit der Stille schult man seinen Geist, Gleichmut gegenüber seinen Körperempfindungen zu üben und dadurch die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind.

Zurück in Auckland erzählte ihm schon wieder jemand von dieser Methode. Tobias, der von Anfang an begeistert von den Erzählungen war, beschloss, die zehntägige Meditation auszuprobieren. Zu der Zeit ohnehin schon etwas überfordert von täglich neuen Emotionen, der Ungewissheit des Reisens und den ganzen neuen Bekanntschaften, kam Tobias das Schweigen gerade Recht.

Selbstveränderung durch Selbstbeobachtung

Vipassana, eine der ältesten Meditationstechniken Indiens, bedeutet so viel wie „die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind“. Von Buddha wurde diese Meditationstechnik als universelles Heilmittel gegen Krankheiten und als eine Kunst zu Leben gelehrt. Trotz ihrer Verbindung zum Buddhismus hat die Technik nichts mit Religionen oder Weltanschauungen und auch nichts mit irgendwelchen Sekten zu tun. Vipassana ist einfach gesagt eine Übung für den Geist, so wie es Übungen für den Körper gibt. Ein Prozess, bei dem man seinen Geist von Unreinheiten befreit (Angst, Zorn, Hass, Süchten) und stattdessen mit guten Qualitäten (Mitgefühl, Liebe, Wohlwollen) anreichert. „Ein Weg der Selbstveränderung durch Selbstbeobachtung“, liest man auf einer der zahlreichen Internetseiten zum Thema. Klingt eigentlich ganz einfach, ist es aber keinesfalls. Tobias weiß das.

„Was man am ehesten braucht, ist noch ein Wecker, obwohl man jeden Tag von einem Gong geweckt wird. Und zwar um 20 nach vier am Morgen.“

„Ohne jegliche Erfahrung saß ich im Vipassana-Zentrum in Neuseeland und fing an, still zu sein.“ Zehn Tage nur Tobias und Tobias. Keine Bücher, keine Schreibmaterialien, nichts Materielles. Männer und Frauen strikt getrennt. Die Wände des Zentrums sind kahl, nichts soll den Geist ablenken oder dazu anregen, neue Gedankengänge zu spinnen. „Was man am ehesten braucht, ist noch ein Wecker, obwohl man jeden Tag von einem Gong geweckt wird. Und zwar um 20 nach vier am Morgen“, erzählt der momentane Langschläfer. Nach dem Aufstehen folgt eine erste Stunde Meditation, dann das Frühstück. Drei weitere Male am Tag meditiert man eine Stunde lang in der Gruppe mit den anderen Kursteilnehmern. Am Abend folgt eine Stunde, in der man in Vorträgen von den Hintergründen und der Technik der Meditation in ihrer ursprünglichen, authentischen Form lernt, damit man sie später auch im Alltag richtig praktizieren kann. Die Zeit zwischen den Mahlzeiten, der gemeinsamen Meditation und der Lehrstunde verbringt man alleine. „Man sollte so meditieren, als würde man die zehn Tage in vollkommener Einsamkeit verbringen“, erklärt der 22-Jährige.

Die ersten drei Tage beobachte man ausschließlich seinen natürlichen Atem. „Der Atem ist immer da. Es gibt eigentlich nichts, das mehr im Jetzt ist als der Atem. Perfekt, um in das Beobachten der Veränderung einzusteigen“, erklärt Tobias. Durch das Richten der Aufmerksamkeit auf den Atem wird der Geist geschärft. „So ist man am Tag vier in der Lage, seine Aufmerksamkeit durch den Körper zu bewegen und verschiedenste Empfindungen wahrzunehmen. Man versteht, dass eine jede Empfindung vergänglich ist”, versucht Tobias das Gefühl am Anfang der Meditation zu erläutern. Mit der wachsenden Weisheit über Vergänglichkeit steige auch das Level des Gleichmuts konstant an. „Das kommt einem im Auf und Ab des Lebens natürlich sehr zugute“, grinst Tobias.

Für Unterkunft und Verpflegung zahlt man während der Meditation nichts. Die Vipassana-Zentren sind wohltätige Vereine, die von alten Schülern geführt werden. Alle Unkosten werden durch Spenden von Teilnehmern früherer Kurse beglichen, die auch selbst Kurse halten. So hat auch Tobi in Neuseeland an sechs Kursen teilgenommen und bei sechs Kursen „gedient“, wie er das Arbeiten im Zentrum nennt. „Anderen helfen, bessere Menschen zu werden, ist etwas sehr Erfüllendes. Ich wollte schon immer zu einer Veränderung hin zum Besseren in der Welt beitragen, aber mir hat immer der richtige Weg dazu gefehlt. Früher wollte ich die Welt verändern, jetzt ändere ich mich selbst und helfe anderen dabei, sich selbst zu helfen. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen”, schwärmt der Eppaner. Sitzt man neben ihm, spürt man diese gelassene Energie und genießt es, seinen Erzählungen in ruhigem Ton zu folgen.

Aufbruch ins neue Schweigen

Den Moment aktiv wahrnehmen, ihn leben und sich nicht vom Ego an Vergangenheit oder Zukunft binden lassen. Gedanken loslassen und das Jetzt einfach wahrnehmen. So wie es ist: Das will Tobias für sich umsetzen. „Im Prinzip ist es egal, wo wir uns befinden. Ob nun auf der schönsten Insel oder im hässlichsten Gefängnis der Welt, denn die Freiheit ist nur in uns selbst zu finden, nur dort entsteht sie. Wahrnehmen, ohne zu bewerten“, erklärt Tobias begeistert.

Das wichtigste, um dieses Ziel zu erlangen, sei das regelmäßige Meditieren. „Nach den ersten Kursen war ich nicht so fleißig. Das sporadische Meditieren hat sich aber bald bemerkbar gemacht und es kamen wieder Reaktionen auf, die ich nach der Meditation nicht mehr hatte. Die ich eigentlich nicht mehr wollte. Ich habe mich unnötig aufgeregt und damit mein eigenes Leiden wieder aufs Neue erzeugt“, erzählt Tobias von seiner Erfahrung.

Seit er zurück aus Neuseeland ist, praktiziert er täglich. Eine Stunde Meditation morgens, eine Stunde abends. Für ihn gäbe es momentan nichts Wertvolleres, als seine Zeit in diese Praxis zu investieren. Darum bricht er am Morgen nach unserem Gespräch auch gleich zum nächsten Kurs auf. Ein Zentrum am Fuße der Apenninen wird diesmal der Ort für seine persönliche Stille sein. Nach den zehn Tagen des Schweigens und Meditierens wird er noch etwa eineinhalb Monate im Zentrum aushelfen. Viel Geld habe er zwar nicht, aber dafür umso mehr Zeit, die er am liebsten gebe. Nach der Arbeit bricht er auf in Richtung Deutschland. Dort wird er erneut meditieren und im April dann ins nächste Zentrum in die Schweiz fahren. Danach stehen noch Frankreich und Belgien auf dem Plan, bevor sich der Kreis in Italien wieder schließen soll.

Sein Ziel aber ist es, in zwei Jahren einen langen Kurs in England zu sitzen. Das bedeutet zwanzig Tage lang Stille. „Aber Pläne ändern sich“, grinst er. „Mal schauen, was der Moment in der Zukunft so bringt.“

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