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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 19.12.2014
LebenEin Film-Kommentar, eine Gesellschaftskritik

Rebellion auf dem Kinosessel

Veröffentlicht
am 19.12.2014
Wenn aus dem Jugendbuch ein Kriegsfilm wird, werden aus den Zuschauern dann Rebellen? Der dritte Teil der Tribute von Panem: ein Kinobesuch mit Folgen.
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Der Gruß aus Tribute von Panem

Bei meinem Kinobesuch muss ich mir eingestehen: „Harry Potter“ und die Vampire von „Twilight“ sind Geschichte. Hauptfiguren wie einst Hermine wedeln nun nicht mehr mit Zauberstäben zu lateinischen Hexensprüchen. In Mockingjay – Teil I, dem letzten Teil der Tribute-von-Panem-Trilogie, werden nur noch Waffen geschwungen. Was in den ersten beiden Teilen noch von Kindern ausgetragene, gladiatorenkampfartige Hunger Games waren, ist im vorletzten Film zum Krieg eines ganzen Landes mutiert. Panem liegt in Trümmern.
Zerstörte Distrikte, jede Menge Leichen und eine weinende Hauptdarstellerin stehen im dritten Film der Jugendbuchverfilmung im Mittelpunkt.
Beim Anblick dieser Leinwandapokalypse stellt sich mir die Frage: Was ist hier eigentlich los? Was ist aus den guten alten Jugendgeschichten geworden, in denen Mädchen sich verlieben und Jungs Streiche spielen? Vor nicht allzu langer Zeit waren meine Heldinnen die Prinzessinnen, die auf Erbsen schliefen, sich an Spinnrädern stachen und ihre Wallemähne von hohen Türmen zu tapferen Rittern warfen. Nach meinem Kinobesuch hat dieses Märchenbild jedoch eine gewaltige Watschen bekommen. Die Zeiten, in denen wir Mädchen uns die Krone zurecht schieben, sind scheinbar vorbei. Wir sind nun die Amazonen des 21. Jahrhunderts. Kriegerinnen des Rechts. Doch wo hört die Fantasie auf und wo fängt die Realität an?

Katniss, der Spotttölpel


Beim Blick auf die Leinwand stelle ich verblüfft fest, dass Katniss, die Hauptfigur des Films, nicht nur eine fiktive Heldin für alle Panem-Fans ist, sondern auch die Heldin einer Welt, die der unseren gar nicht so fern zu sein scheint. Was auf der Leinwand nämlich mit Katniss anfängt, hört im echten Leben bei den FEMEN auf.
Das Kino wird zu unserem Lehrmeister. Frontfrau der Lehre in diesem Fall: Katniss Everdeen. Die Heldin des Films und nun nicht mehr bloß das Mädchen, das Bogen und Pfeil besser beherrscht als Robin Hood. Everdeen ist vom rebellischen Tribut aufgestiegen zum Gesicht einer Rebellion. Einer Rebellion gegen das Kapitol. Einem Krieg gegen das Kapitol. Ein Kostüm, in dem sich die Titelheldin im ersten Drittel des Films noch nicht so wohl fühlt. Doch als sie die Verwüstungen in ihrem Land das erste Mal mit eigenen Augen sehen kann, bricht Katniss’ Kampfsinn wieder aus. Hilflose Menschen haben sich, nach Angriffen des Kapitols, in einer alten Fabrikshalle ihr eigenes Krankenhaus gebaut. Verwundet liegen sie da, überall Blut, verletze Kinder, alte Leute. Tränen fließen. Schuld an diesem Zustand in Panem ist Präsident Snow und sein Gefolge.
Inmitten dieser Szenerie, Katniss. Mit tränenden Augen schreit sie in die Kamera und verspricht dem Kapitol: „Wenn wir brennen, brennt ihr mit uns!“ Und in diesem Moment springt der Funke von der Leinwand tatsächlich auch direkt auf die Kinostühle über. Der Lehrmeistereffekt schlägt zu. Als Katniss nämlich zum Aufstand gegen das Kapitol aufruft und die rechte Hand zum dreifingrigen Gruß hebt, wird die Welle zur Realität. Neben mir ein Mädchen, das überzeugt mit Katniss zusammen die rechte Hand zum Gruß ansetzt und sie mit stolzer Brust erhebt.
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Ich bleibe bei diesem Anblick für einen kurzen Moment geschockt. Sehnen wir uns so sehr nach einer Rebellion, dass wir ins Kino gehen, um sie zu erleben? Oder sind wir einfach zu feige, die Hand in der Öffentlichkeit zu erheben? Ist unsere Generation wirklich eine, die lieber im dunklen Kinosaal als Zuschauer mitrebelliert?
Wo sind die 68er? Wo bleiben die Sophie Scholls unserer Zeit?
Als ich für mich auf diese Fragen eine Antwort suche, wird mir klar: Es gibt nur eine. Und die ist für mich keine. Unsere Generation ist wirklich zu feige. Es reicht nämlich nicht, mit nackten Brüsten durch die Gegend zu laufen. Und genauso wenig reicht es, sich in den Kinostuhl sinken zu lassen. Man muss aufstehen und laut werden, man muss sich was trauen, wenn man Veränderung will. Doch wir gehen wirklich lieber ins Kino und spiegeln uns in der Leinwand. Aber das Spiegelbild hat einen Haken: Den Helden gibt es in unserer Welt nämlich noch nicht.
Italien ist das Land des Katholizismus, in dem wir alle Brüder und Schwestern sein sollten. Doch hier zieht keiner heldenhaft für den anderen in die Hunger Games, wie Katniss es im ersten Teil für ihre kleine Schwester getan hat. Lieber lassen wir uns gemeinsam im Strom mitziehen. Im Strom kaputter Politik, bankrotter Staaten und Klassengesellschaften. Geführt von einem Kapitol, in dem nicht Präsident Snow sitzt, sondern ein Haufen korrupter Politiker. Wir brennen, und das seit Langem, doch keiner brennt mit uns.

Verkohlen wir noch?

Dabei wäre es schon längst Zeit, die Bastille zu stürmen. Zeit für Veränderung. Katniss Everdeen machts vor. Sie ist aufgestanden, hat Zivilcourage gezeigt, sich geopfert. Sie hat es satt gehabt, nach der Pfeife des Kapitols zu tanzen, es satt gehabt zuzuschauen, wie ihr Land und ihre Leute langsam zu Grunde gehen. Sie hat selbst Pfeil und Bogen in die Hand genommen und mit ihrem Mut eine ganze Fantasiewelt ins Wanken gebracht. Sie hat eine Revolution gestartet.
Was wir bleiben sind Spotttölpel. Vögel, die die Melodien der vorangegangenen Generationen nachsingen, ohne daraus zu lernen. Wir müssen erst ins Kino gehen, um die Hand erheben zu können. Bleibt abzuwarten, ob das so bleibt oder ob die Welle uns doch wirklich einmal erreicht. In Thailand jedenfalls ist es schon soweit.

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