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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 03.05.2017
LebenLandwirtschaft neu denken

Landwirt mit Vision

Veröffentlicht
am 03.05.2017
Alexander Agethle ist ein Bauer, der nicht mehr, sondern weniger Milch produzieren will. Ungewöhnlich. Ebenso seine Idee, um die Hofkäserei zu finanzieren.
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Alexander Agethle zog hinaus in die Welt und kam mit einer Vision zurück.

Damals nannten sie ihn im Dorf noch „Spinner“. Viele redeten über ihn, belächelten sein Vorhaben. Heute, über 13 Jahre später, sind die kritischen Stimmen verstummt. Nur die ein oder anderen neidvollen ertönen ab und zu in der 5.000-Einwohner-Gemeinde Mals im Obervinschgau.

Mitten im kleinen Örtchen Schleis am unteren westlichen Rand des größten Schuttkegels der Alpen liegt der zehn Hektar große Englhof, seit über 200 Jahren im Familienbesitz. Hier lebt Alexander Agethle, ein Visionär, mit seiner Familie.

Eigentlich hätte Agethle den elterlichen Betrieb so weiterführen sollen, wie ihn sein Vater aufgebaut hatte – als traditionellen Milchviehbetrieb mit preisgekrönten Schaukühen. Nach außen hin ein Vorzeigebetrieb. Doch nicht für Agethle. Er sieht im elterlichen Hof bald nur einen von vielen „intensiven Zuchtbetrieben mit Vollgaslandwirtschaft”. Er will eine andere Richtung einschlagen, mit ungewöhnlichen Ideen.

Agethle liebt seine Kühe – seine Gaby, Manuela, Bea …

High-Input-Landwirtschaft

Agethle, groß, dunkel, mit hellblauen Augen, studiert mediterrane Agronomie in Florenz. Er hat damals eine klassische Sicht vom Bauerndasein, will irgendwann den Hof gewinnbringend weiterführen. Dann reist er ein Jahr um die Welt und geht in das Alpenforschungsinstitut in Garmisch-Partenkirchen. Dort untersucht er die Auswirkungen der EU-Agrarpolitik auf die Landwirtschaft im Alpenraum, später pendelt er fünf Jahre lang zwischen Südtirol und dem Kosovo, um dort nach Ende des Bürgerkriegs die Landwirtschaft mit aufzubauen.

Er sieht in der Zeit viel. Sei es von der High-Input-Landwirtschaft in Kalifornien oder Norddeutschland, als auch von der einfachen Landwirtschaft im Kosovo. Mit Ende 20 will er den elterlichen Hof übernehmen, die herkömmliche Landwirtschaft kommt aber nicht mehr in Frage.

„Die Zeit im Kosovo hat mich sehr bewegt und ich habe angefangen über die aggressive Europäische Landwirtschaft nachzudenken“, erinnert sich Agethle. Über den Import von Tonnen argentinischem Soja, um möglichst gewinnträchtig Rinder zu züchten, über die Abholzung vom Regenwald, um das Soja anzubauen, über den enormen Trinkwasserverbrauch und die Landflucht der Menschen in den Gebieten.

Er denkt über die indischen Bauern nach, die ihre Landwirtschaft aufgeben müssen, weil viel billige europäische Milch verkauft wird und über die Herstellung von Südtiroler Milchprodukten, die in die ganze Welt exportiert werden. „Das sind Dinge, die für mich langfristig keinen Sinn machen. Aus wirtschaftlicher und noch viel weniger aus ökologischer Sicht“, sagt Agethle.

Alexander Agethle mit Frau Sonja – sie ist ein Grund, warum der Vinschger dageblieben ist.

Zusammen mit Frau Sonja, dem Sohn, 15 und der Tochter, 12, lebt der heute 46-Jährige bereits seit Jahren einen konsequenten biologischen Lebensstil. Einfach, aber dafür im Einklang mit der Natur.

In diese Richtung sollte sich damals auch die Landwirtschaft verändern. Mit voller Überzeugung stellt Agethle den Betrieb 2003 konsequent in biologische Landwirtschaft um, tauscht die Zuchttiere gegen die alte Rinderrasse Original Braunvieh, denen er wieder Hörner wachsen lässt. Bis auf eine kleine Menge biologischer Getreidemischung kauft er keine Futtermittel mehr zu. Die Jungtiere kommen ab sofort den ganzen Winter statt in den Stall zum Weiden in die Weinberge , im Sommer zusammen mit den Kühen auf die Alm.

Er hält ab sofort zwar mehr Kühe, zwölf statt acht, aber er verringert die Milchmenge, indem er auf Kraftfutter zur Steigerung der Milchleistung verzichtet. Pro Kuh produziert er dadurch 5.000 Kilogramm Milch im Jahr. Zum Vergleich: Hochleistungskühe geben im Jahr 10.000 Kilogramm Milch und mehr. Diese Zeit läuft nicht ohne Meinungsverschiedenheiten mit seinem Vater und nicht ganz ohne Bedenken seinerseits ab. Dennoch bleibt er seiner Vision immer treu.

Die gesamte Milch seines kleinen Betriebes veredelt sein Kumpel, Senner Maximilian Eller, zu Käse. 2013 werden die Räume im Keller des Hauses für die Käsemanufaktur zu eng und Agethle will die stillstehende Dorfsennerei nebenan erwerben. Um Kauf und Umbau zu finanzieren, wählt er ein ungewöhnliches Geschäftsmodell.

Im Käsekeller liegt viel Kapital. Teilweise bis zu zwei Jahre reifen die Käselaibe.

Crowdfunding der besonderen Art

Agethle erstellt Käsegutscheine, sogenannte Englhörner. Ein Englhorn ist 200 Gramm Käse wert. Kunden, die ihm mindestens 500 Euro leihen, will er die Summe zehn Jahre lang in Form von Käse zurückzahlen. Der Preis der drei Käsesorten bleibt für die Gutscheinkunden zehn Jahre lang gleich. 22,70 Euro pro Kilogramm. So ein Verkauf von Lebensmitteln über Gutscheine steht im Zivilgesetzbuch als vendita di cosa futura.

Viele Leute im Dorf nennen ihn zu dieser Zeit einen Spinner, doch es gibt auch Leute, die vom Geschäftsmodell fasziniert sind und Gutscheine kaufen. Insgesamt 181 Menschen aus dem Vinschgau, dem restlichen Südtirol und aus Deutschland und Italien. Zusammen geben sie 180.000 Euro. „Das war überraschend aber es war auch besonders schön zu sehen, wie viele Menschen an die Idee glauben und einem auch das Vertrauen schenken, dass man nicht mit dem Geld abhaut“, sagt Agethle und grinst.

Durch den „ethischen“ Kredit, wie ihn der Vinschger nennt, konnte er die neue Käsemanufaktur Englhorn aufbauen. Mittlerweile wird die Käsewährung im Hotel Greif in Mals und im Münchner Restaurant Broedingsogar als Zahlungsmittel akzeptiert.

Jeder Käse trägt den Logo als Stempel – Englhorn.

In der Käsemanufaktur entstehen heute drei Rohmilchkäsesorten, die die Namen der umliegenden Berge tragen: Arunda der Weichkäse, Tella der Schnittkäse und Rims der Hartkäse. Alle werden so schonend wie möglich produziert.

Die Käserei befindet sich auf zwei Ebenen, so kann die Milch von oben frei in die Kessel fließen. In den Kupferkessel für Weichkäse, in den Edelstahlkessel für Hartkäse und Schnittkäse. In zwei Käsekellern lagern die großen und kleinen Laibe zwischen einigen Wochen und ein bis zwei Jahren.

Etliche nationale und internationale Preise haben seine Käsesorten bereits erhalten. Auszeichnungen sind Agethle aber nicht wichtig. Viel wichtiger ist ihm, dass seine Kunden den Käse schätzen und verstehen, dass er eben mehr kostet, „weil wie so viel Zeit und Arbeit in den Käse investieren.“

Zwischen Antrieb und Ausgleich

Agethle steht am Morgen um dreiviertel fünf auf. Um fünf geht er in den Stall. Dort warten Elli, Manuela, Gaby und die anderen der insgesamt zwölf Kühe. Nach dem Melken legt er jeder eine Schelle um und treibt sie auf die Weide außerhalb des Dorfes.

Das Ritual lässt sich der 46-Jährige nicht nehmen.

Im Vinschgau gab es lange Zeit die sogenannte Realteilung, das heißt Landbesitz wurde unter Erbberechtigten in gleichen Teilen aufgeteilt. Mit der Zeit entstand so eine kleinparzellige Struktur – jeder Bauer hat seine Flächen weit verstreut. „Ich habe auch Weiden, wo ich für geringste Erträge bis zu acht Kilometer weit fahren muss“, erklärt der Landwirt. Durch Flächentausch und Zukauf hat er aber auch einige Flächen in der Nähe des Hofes. Nur so ist es möglich, eine Weide für die Tiere anzulegen. Mühsam, aber wichtig. Denn die Weide schmecke man später auch im Käse.

Zurzeit verarbeiten Senner Max und Frau Sonja täglich 200 Liter Milch von 15 Kühen zu Käse. Zwölf vom Englhof, drei von einem anderen Bauern aus dem Dorf. So geht das von September bis Juni.

Im Sommer, wenn die Kühe auf der Alm sind, hat Agethle mehr Zeit für sich, seine Familie und für den Acker, wo sie Gemüse und Getreide anbauen. Diese „Auszeit“ braucht er. „Wenn ich 365 Tage im Jahr melken müsste, würde ich einen Vogel kriegen“, sagt er und grinst. „Außerdem können viele Bauern über ihre betriebliche Situation nicht mehr reflektieren, weil sie in einer Art Hamsterrad drin sind. Wenn es preislich nicht stimmt, schauen sie nicht nach links oder rechts, was sie verändern könnten, sondern sie drehen im Hamsterrad immer schneller.“

Diese Zeit zu reflektieren nimmt sich Agathle im Sommer. „Das ist auch wichtig, um neun Monate lang jeden Tag ein gutes Produkt herzustellen.“ Reich wird er mit seinem Konzept nicht, dazu produziert er zu wenig. Aber das möchte er auch nicht.

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