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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 27.02.2014
LebenEin Tag in ...

Im Tal der Traditionen

Veröffentlicht
am 27.02.2014
Gibt es sie noch, die Sarner Originale? Auf ihrer Suche traf unsere Autorin auf Churchill, die Nandl und die Lini und endlich auf einen echten Sarner.
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Sarntal. Sarntal. Was soll ich als Überetscherin übers Sarntal schreiben? Drei Ziegen, fünf Schweine, eine Thaler Rosl, ein Premstaller Seppl, hier ein Paar Sarnar Toppar, dort ein paar Kleklar und riesige Schneemassen auf original Sarner Hölz. Das waren meine ersten Gedanken beim Angehen dieses Projekts.
Als ich im großen, weiten Internet anfange über das kleine Tal im Norden Bozens zu recherchieren, sagt mir dieses, dass die Sarner Originale seien: Humorvolle und schlagfertige Kreaturen, die einen eigenen „Sarner Witz“ hätten und einen traditionell gebliebenen Dialekt. Mal rau und unnahbar, dann wieder schüchtern und zurückhaltend, aber im Grunde immer gastfreundlich und hilfsbereit. Genau so hätte ich auch die paar Topparlen, mit denen ich zu Schulzeiten meine Bank geteilt habe, beschrieben. Doch sind alle Sarner so? Gibt es junge wie alte Originale und verstehen sich diese mit ihrem Dialekt eigentlich noch?

Churchill Wastl und Sarner Flugzeuge

Meine erste Anlaufstelle für Informationen war natürlich meine Mutter. Beim Nachdenken über Themen haut sie nach einigen Sekunden bereits eine gute Story raus: Ich soll doch der Geschichte vom Churchill Wastl nachgehen.
Churchill Wastl, wer soll das denn sein?
Tja, der Wastl ist wohl eine der skurrilsten Sarner Persönlichkeiten. Wer den Thaler Franz und den Kofler Alois kennt, der sollte auf alle Fälle auch den Wastl vom Asterhof in Pens kennen. Bereits im Jahre 1954 hat der berühmte Sarner vom Titelblatt des Spiegels gelacht, der seine Story groß rausgebracht hat. Der Wastl hatte nämlich eine Silberfuchszucht und war einer der politikbegeisterten Sarner. Er bewunderte Englands großen alten Mann Churchill. „Den schönsten Silberfuchs bewahre er auf, um ihn nach dem Krieg dem Churchill zu schenken. Statt ins Konzentrationslager zu kommen, wurde er ausgelacht. 1945 ging der Pelz des schönsten Fuchses mit einem Begleitbrief nach England ab. Am 31. Oktober 1948 erhielt Maier zu seiner Überraschung ein Photo Churchills mit Widmung und eigenhändig unterschriebenem Dankschreiben des damaligen Oppositionsführers", so der Spiegel. Verstanden haben sich die beiden ohne Übersetzer. Also ist der Sarner Dialekt doch nicht so schwierig, wie er scheint? Dem muss ich nachgehen und mache mich mit gemischten Gefühlen auf ins Sarntal.

Need for Speed Sarntal

Zuerst nach Bozen, dann Richtung Sill. Hinter der ersten Kurve ist von wärmenden Sonnenstrahlen bereits keine Spur mehr. Wie durch Tropfsteinhöhlen schlängeln wir uns durch die Sarner Tunnellandschaft Richtung weißer Bergspitzen. Nach einer knappen Viertelstunde fahren wir am „Halbweg" vorbei, als einige Meter über uns ein Flugzeug durchs Tal fliegt. Die Tragflächen streifen nur knapp nicht die Talränder. Verwundert starre ich in die Höhe und frage mich, ob ich etwa den Sarner Flughafenbau verpasst habe.

So unfassbar das auch scheinen mag, stelle ich kurz darauf fest, dass es in den Lüften trotzdem sicherer zugeht als am Boden. Bereits beim Verlassen des letzten Tunnels soll sich nämlich das erste Sarner Klischee bestätigen: Need for Speed Underground wird hier im Handumdrehen zu Need for Speed Sarntal. Am Steuer meine Mutter. Co-Pilotin, meine Wenigkeit. Unter uns die im Volksmund gefährlichste Straße des Landes. Nach dem 21. Tunnel liefert sich meine Mutter eine Straßenralley der besonderen Art. Die Sarner sind ja dafür bekannt, dass sie auf ihrer Straße tun und lassen, was sie wollen. Ohne lebensgefährliche Überholmanöver schafft es kein Sarner ins Tal. Noch vor wenigen Jahrzehnten wäre das wohl nicht so zugegangen, als man noch hoch zu Ross über die Berge reiten musste, um ins Tal zu gelangen. Erst Anfang der 30er-Jahre nämlich haben die Sarner durch eine befahrbare Tunnelstraße einen direkten Zugang zur Außenwelt bekommen.

1. Stopp: Sarnthein

Nach diesem Nervenkitzel brauche ich erst mal einen Kaffee, um mich wieder zu beruhigen. Also machen wir Halt in der Sarner Metropole Sarnthein. Von den Sarnern gerne als „Vorstadt" bezeichnet, könnte man beim Anblick der Dorfeinfahrt beinahe denken, Sarnthein sei selbst eine Südtiroler Stadt. Dem ist zwar nicht so, aber das große Dorf ist der Hauptort der flächenmäßig größten Gemeinde Südtirols. Aus insgesamt 28 Ortsteilen besteht das Tal nämlich.

Von den weißen Bergspitzen, wo im Sommer die Bäuerinnen das Gras für die Kühe mähen, zieht ein eisiger Wind ins Dorf, also mache ich mich schnell auf die Suche nach einem typischen Sarner Kaffee. Der Brückenwirt, direkt über der Talfer, wurde mir wärmstens empfohlen. Dort sollen sich noch echte Sarner Originale zum Kaffee und zum Watter treffen. Die Turmuhr schlägt halb drei. Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass ich beim Brückenwirt keine Menschenseele antreffe. Sarnthein scheint ausgestorben. Also muss ich wohl auf eigene Faust und ohne Sarner Hilfe den Klischees nachgehen und bestelle mir einen Mohnkrapfen. Früher typisch für die Sarner Gegend, heute leider in Vergessenheit geraten. Das Küchenhandwerk beherrschen die Sarner aber immer noch, das steht fest. Das Internet behält Recht, die Tradition lebt noch.

Ich mache mich auf. Nach einigen Schritten treffe ich auf die Nandl. Eine ältere Sarner Dame, die in einem Kleiderschurz gerade sauber macht. Auf die Frage, wo sich denn die echten Sarner verstecken, antwortet sie: „Do müesche lei wortn. De kemmen woltapol, sein olle af do Begräbnis." Ich beschließe zu warten und einen Ratscher mit der Nandl zu machen. Sie spricht viel über alte Zeiten und die Veränderungen zu heute und bedauert, dass die meisten Sarner Originale bereits unter der Erde liegen. Einzig ein paar Fotos könnte sie mir von „den Echten" noch zeigen.
Als ich sie auf die typischen Sarner Klischees anspreche, fängt sie sofort an zu grinsen und erzählen. „Sarnar Toppar" hat früher keiner gehabt. Man war arm, da haben Stieflknospn und Zeitungspapier als Socken gereicht. „Schloppret banond, mit an Huat au; sell isch dor typische Sarnar", sagt die Nandl. Ich solle doch zu den Kleklarn nochmal kommen, da könne ich mir anschauen, wie die Sarner früher ausgesehen haben.

Sarner Originale

„Und wie ticken die Sarner so?", hake ich frech nach. „Jo ticken tean sie", lacht sie verschmitzt vor sich hin. Im Hintergrund fängt ein Glockenkonzert an. Das Begräbnis ist zu Ende. Nach und nach laufen stolze Sarner im Bayerischen an mir vorbei. Meine neugewonnene Freundin ruft sogleich die Lini zu uns rüber. Ohne sie würden hier sicherlich nicht so viele in Tracht rumlaufen. Sie ist als Schneiderin die Quelle der Bayerischen und kennt sich mit ihren Kunden, den echten Sarnern, aus. Die Klischees über das Volk im Tal stimmen alle, sagt sie. Verschmitzt und zweideutig seien sie. „An Sarner konn man net einilegen", da ist sie sich sicher. Sie seien zwar langsam, aber am Ende verstehen sie doch alles.

Weltsprache Sarner Dialekt

Als ich sie auf den Churchill Wastl anspreche, überlegt sie kurz, doch dann kommt der Geistesblitz. Den Freidenker vom Ende des Sarntals kennt man also doch. „Der hot ollm schun zi di heachern gwellt", lachen die beiden Frauen, „gleich wie der Sturm Hons". Von dem höre ich zum ersten Mal. Aber Nandl und Lini klären mich schnell auf. Der Hons war derselbe wie der Wastl, immer wollten sie zur höheren Gesellschaftsschicht und haben es mit ihrem Sarner Charme dann schlussendlich auch jedes Mal geschafft. Mit Motorrad und bekleidet mit einem Wetterrock, einem Mantel, der an den Draculas erinnert und vor allen Wettern schützt, hat der Hons für jede Hürde einen Sarner Spruch parat gehabt und ist damit bis nach München gekommen. „Sellige sollasch auweckn kennen, dei hettn Gschichtn zu drzehln, oh Maria", schwärmt Nandl von ihren Vorfahren.

Doch, dass sich Churchill und der Wastl im Brief verständigen konnten, ohne einen Übersetzer zu brauchen, wundert die Frauen doch etwas. Der Penser Dialekt sei nämlich viel härter als der ihre. Überhaupt seien die Penser ein eigenes Volk. Urige Sarner eben. Da hinten im Tal gibt es auch fast keine jungen Leute. Viele hätten keine Lust mehr auf die Traditionen von früher. Zu ungeduldig zum Spinnen seien sie, was ja auch klar sei: Wenn sie nur Jeans tragen, brauchen sie das nicht können, klagt die Nandl. Die „hell müesche, hell woasche woll"–Gesellschaft, so beschreiben die Frauen die jungen Leute. Jung und Alt scheinen sich im Tal also wirklich nicht mehr so gut zu verstehen. Ob es an den verloren gegangenen Dialektwörtern liegt, die nur noch die eine Generation beherrscht, verstehe ich nicht. Aber die Nandl will diese von nun an sowieso in einem Büchlein festhalten, damit sie nicht verloren gehen. Dann werde man sich schon wieder verstehen, irgendwann. In der Tat fällt mir jedoch auf, dass ich bis jetzt gleich viele junge Leute wie Sarner Originale angetroffen habe. Keine nämlich. Die Frauen raten mir, ich solle doch noch ein Stück weiter rein ins Tal, da werde ich viele Geschichten finden.

Sarntal oder Schneetal?

Also fasse ich mir ein Herz und mache mich auf den Weg. Pens soll es sein. Je tiefer ich ins Tal komme, desto weiter sinkt die Temperatur auf dem Thermometer in meinem Auto und desto höher werden die Schneemassen. Links und rechts, weit und breit nur noch Schnee. Bedeckt mit Sahara-Sand, scheinen es ägyptische Dünen zu sein.

Sarner Dünen

Immer mehr unbekannte Straßenschilder entdecke ich. Dass es im Sarntal so viele Orte gibt, wusste ich gar nicht. Von Agratsberg, Auen, Außerpens, Dick, Essenberg, Gebracksberg, Gentersberg, Glern, Innerpens, Kandelsberg, Muls, Nordheim, Öttenbach, Putzen, Rabenstein und Steet habe ich noch nie zuvor etwas gehört. Zum Hof vom mittlerweile verstorbenen Wastl schaffe ich es nicht. Da hätte ich Schneeketten einpacken müssen. Knapp unter dem Penser-Joch nämlich liegt als letzter Hof der jahrhundertealte Asterhof. Mission gescheitert. Doch bis nach Durnholz schaffe ich es trotzdem.

Kaum ausgestiegen, stapft mir schon der erste urige Sarner durch die Schneemassen entgegen. Endlich ein Original. Während ich in meiner Funktionskleidung leicht friere, trägt er nur eine Pfoat, an Pfierte und a Jeppl. Kalt scheint ihm nicht zu sein, denn für ein kurzes Geschichtchen bleibt er gerne stehen, während uns der kalte Wind um die Ohren saust. Vierwitze sei er zwar nicht, aber ein Sarner Witz fiele ihm immer noch ein: „Hot dor Sarnar amol in oan gsog: Wenn hoschn du dei Frau eigentlich kennenglernt? Jo sell wöll gschwin nöchn heiratn!" Kurzes Gelächter. Dann wird der Sepp wieder ruhig und schaut unter seinem Lodenhut hervor. Frau habe er keine, aber ledig lebe es sich sowieso besser, meint der Sarner. Als ich danach frage, was den echten Sarner ausmache, wird er todernst und erklärt mir, dass der Echte halt noch originell sei. Im Sarntal gehe man den alten Bräuchen nach, gehe fleißig in die Kirche, schaue, dass in der Familie alles in Ordnung ist, gebe großzügig auch hin und wieder Mal was aus und trinke auch gerne ein Gläschen. Vom Gläschen Wein kommt der Seppl auch grad, erzählt er. Die rote Nase stammt also nicht von der Kälte. „Iez fohri mitn Pöstauto hoem", nuschelt er. Das sollte mein Stichwort und das Ende meines Tages im Sarntal sein. Originale muss man im Sarntal hart suchen, aber aufgeben darf man nicht, denn Zeit für ein lehrreiches oder lustiges Geschichtchen haben sie immer, die Sarner.

Nandls Antik-Sarner-Wörterbuch:

Tschoap = Jäckchen
zwougnen = Haare waschen
Fierte = Schurz
Pfoat = Hemd
Sommebond = Teil der Tracht
Söldor = Balkon
Sied = Kessel zum Kartoffeln sieden
Erdepflmüator = Behälter mit drei Löchern im Boden zum Auskühlen lassen der Kartoffeln
Sauretstutz = Krug, in dem man den Tschotten (= Topfen) gären lässt
Tschottnen = Salat mit gegorenem Topfen würzen
Mognnuidn = den Mohn aufklopfen
Kleklar = Die drei Klöckelnächte sind die Donnerstagabende im Advent vor der Wintersonnenwende. Mit Lärm, Getöse und Bockhorntuten ziehen Gruppen vermummter Männer von Haus zu Haus, singen und heischen um Gaben.
Toppar = typische Sarner Filzpantoffeln

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