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„Bete für uns, dass dieser blöde Krieg aufhört.“ Dieser Krieg, das ist der Krieg, der die Menschen im Sudan seit über einem Jahr in Atem hält; diese Worte sind das erste, was Adell mir auf eine besorgte Whatsapp-Nachricht antwortet. Adell, den ich im Februar 2023 auf einer Reise durch den Sudan kennengelernt habe, lebt in Wad Madani, knapp 150 Kilometer östlich der sudanesischen Hauptstadt Khartum. Als im April 2023 der Krieg in Khartum ausbrach, blieb Wad Madani zunächst von den Milizen verschont und viele Menschen flohen in die nur vier Autostunden entfernte Stadt. Doch im Dezember letzten Jahres erreichten die Kämpfe auch Wad Madani.
Heute ist kein Ort im Sudan mehr sicher. Auslöser des Krieges war ein Machtkampf zwischen dem Anführer der paramilitärischen Rebellengruppe Rapid Support Forces (RSF) und dem obersten General der sudanesischen Armee, die seit einem Putsch im Jahr 2019 eine Übergangsregierung stellt. Im April 2023 eskalierte die Situation und mündete in einen brutalen Bürgerkrieg, der seit nunmehr 15 Monaten tobt. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben bisher rund 13.000 Menschen in diesem Krieg, die Dunkelziffer wird um ein Vielfaches höher vermutet. Mehr als die Hälfte der 47 Millionen Einwohner des Landes sind in Not, 18 Millionen leiden akut an Hunger.
„Wer sich widersetzt, wird verprügelt, im schlimmsten Fall erschossen“
Bevor mich Adells Whatsapp-Nachricht erreichte, hatte er sich länger nicht gemeldet. Im Moment ist der Strom knapp, das Internet fällt häufig aus und das Gesundheits- und Sicherheitssystem ist praktisch inexistent. Vor dem Krieg hat Adell in einer Zigarettenfabrik gearbeitet, die jetzt wie die meisten Betriebe in der Stadt geschlossen ist. „Seit die RSF Wad Madani eingenommen haben, wird die Situation immer schlimmer. Kein Viertel ist mehr sicher. Nicht selten stehen Soldaten vor der Tür und fordern Motorräder, Geld oder andere Wertsachen. Wer sich widersetzt, wird verprügelt, im schlimmsten Fall erschossen“, berichtet Adell. Von Anfang an hätten die Soldaten auch Krankenwagen und öffentliche Verkehrsmittel in ihre Gewalt gebracht. „Mit Waffengewalt fordern sie Lebensmittel von Bäckereien und Geschäften, oft stehlen sie auch direkt von den Bauern oder aus Getreidelagern.“
In der Folge sind die Lebensmittelpreise ins Unvorstellbare gestiegen: Der Preis für Mehl hat sich verzehnfacht, viele können sich keine zwei Mahlzeiten am Tag mehr leisten. Vor ein paar Tagen kam Adells Nachbar abgemagert und voller Prellungen aus einem Lager der RSF zurück: „Er berichtete von unmenschlichen Zuständen. Den Gefangenen wurde eine einzige Mahlzeit versprochen, die oft tagelang ausblieb, zu trinken gab es einen halben Becher Wasser pro Person“ , sagt Adell. Langfristige Pläne gibt es für sie alle nicht mehr: „Wir leben von Tag zu Tag. Ich versuche, etwas zu essen für meine Mutter und meine Schwestern zu finden, hoffe, dass uns die Soldaten in Ruhe lassen und bete, dass dieser Krieg bald zu Ende ist. Mehr bleibt uns nicht.“
Jenseits der Landesgrenzen
Der Sudan ist seit dem Ende der britischen Kolonialzeit 1956 innenpolitisch instabil. Das Land umfasst mehr als 500 Ethnien, zwischen denen es zum Teil seit jeher Konflikte gibt. Vor allem in der Region West-Darfur im Südwesten des Landes werden seit den 1980er Jahren afrikanische Volksgruppen wie die Masalit von arabischen Volksgruppen systematisch diskriminiert und ermordet. Heute sind es die Rapid Support Forces, die die gezielte Ermordung der Masalit vorantreiben. Nach Einschätzung internationaler Beobachter hat sich die Lage in West-Darfur in den letzten Monaten derart zugespitzt, dass von einem Genozid gesprochen werden muss.
Dieser Krieg sei eng mit dem Westen verbunden.
Wie der sudanesische Aktivist Hamadelnil Saifeldin, der sich in den Niederlanden für die Rechte geflüchteter Sudanes:innen einsetzt, erklärt, sei es aber wichtig zu verstehen, dass es sich im Sudan „nicht nur um einen weiteren Bürgerkrieg in einem afrikanischen Land handelt“. Dieser Krieg sei eng mit dem Westen verbunden. „Der Sudan ist ein rohstoffreiches Land: Nicht nur Arabisches Gummi, sondern auch Gold sind begehrte Güter, die in alle Welt exportiert werden und das Interesse internationaler Mächte wecken.“ Um den Krieg zu beenden, sei es notwendig, sowohl die internen Konflikte aufzuarbeiten als auch die Beteiligung von außen aufzuzeigen.
Ein Land namens Sudan
Fast zehn Millionen Menschen mussten wegen der prekären Lage im Sudan ihre Heimat verlassen – die derzeit größte Zahl von Vertriebenen aufgrund eines bewaffneten Konflikts weltweit. Einer von ihnen ist Mohamed aus al-Qadarif, einer Stadt nahe der äthiopischen Grenze im Osten des Landes. Die umliegende Region gehört zu den fruchtbarsten des Sudans, hier werden unter anderem Sesam, Erdnüsse und Arabischer Gummi für den nationalen und internationalen Handel angebaut. Auch Mohamed arbeitete vor dem Krieg als Verwalter einer Sesamfabrik. Mit seiner Familie lebte er auf einem Anwesen etwas außerhalb der Stadt. Als der Krieg ausbrach, kümmerte er sich als erstes um die Evakuierung seiner Schwestern aus Khartum, die nur wenige Straßen vom Schauplatz der ersten Kämpfe entfernt wohnten. Inzwischen ist die gesamte Familie nach Ägypten geflohen.
Mohamed sagt: „Um ehrlich zu sein, ich bin im Moment so überwältigt, ich versuche immer noch zu verarbeiten, was passiert ist“. Ob sein Haus in al-Qadarif noch steht, weiß er nicht. Wie Mohameds Schwestern hielt sich auch Mohamed Titi – oder Moh, wie ihn seine vielen internationalen Freunde nennen, die er über die Plattform Couchsurfing kennengelernt hat – bei Ausbruch des Konflikts in der Hauptstadt Khartum auf. Als Firmenchef im Landwirtschaftssektor ermöglichte er dort nicht nur über zwanzig Mitarbeiter:innen ein stabiles Einkommen, sondern stellte auch sein Privathaus als Firmenhub zur Verfügung, wo nach Feierabend gemeinsam gekocht, gegessen und ferngesehen wurde. All das ist nun Vergangenheit. Als klar wurde, dass die Kämpfe andauern würden, floh Moh mit seiner französischen Frau und den drei Kindern über Djibouti nach Europa. Die doppelte Staatsbürgerschaft und etwas Schmiergeld halfen ihnen dabei. Trotz aller Sicherheitsvorkehrungen wurde ihr Konvoi auf dem Weg von Khartum nach Djibouti von bewaffneten Milizen überfallen, und er und seine Familie kamen nur knapp mit dem Leben davon.
„Dann wissen die Leute wenigstens, dass es ein Land namens Sudan gibt, das in Flammen steht.“
Viele von Mohs Mitarbeiter:innen flüchteten in benachbarte Länder, andere in den damals noch sicher geglaubten Osten. Wenige Wochen nach Kriegsbeginn kehrte ein Mitarbeiter zu Mohs Haus zurück und machte Videos: Die Einrichtung war zerstört, die Vorräte geplündert, alles Wertvolle gestohlen. Moh leitet die Videos ohne zu zögern an seine Freunde weiter. Er findet, die Menschen sollten wissen, was im Sudan passiert. Als ich ihn frage, ob er es für eine gute Idee hält, einen Text über den Sudan zu veröffentlichen, antwortet er: „Dann wissen die Leute wenigstens, dass es ein Land namens Sudan gibt, das in Flammen steht.“
Text: Anna Palmann
Über Krieg schreiben? Während ich diesen Text geschrieben habe, habe ich viel nachgedacht und mich manchmal gefragt, wozu das alles gut sein soll. Wie kann ich unverzerrt und umfassend über Krieg berichten? Darf ich das überhaupt, wo ich doch in Amsterdam sitze, wo es seit dem Zweiten Weltkrieg keinen Bombenalarm mehr gegeben hat? Helfe ich meinen sudanesischen Freunden, wenn ich schreibe? Auch der Krieg im Gazastreifen geht mir nahe. Seit Oktober vergeht kein Tag, an dem wir zu Hause nicht über den Krieg sprechen. Im Zuge der großen Aufmerksamkeit, die der Nahostkonflikt – auch im Vergleich zum Sudan – erfährt, fällt mir immer wieder auf, dass oft eine politische Meinung geäußert und Partei ergriffen wird, ohne die Betroffenen selbst zu Wort kommen zu lassen. Nicht zuletzt deshalb will ich über den Krieg im Sudan schreiben. In der Hoffnung, dass wenn man über Menschen und ihre Lebensrealitäten und nicht über ein Land „zem untn in Afrika“ spricht, das unbeschreibliche Leid und die Hoffnung auf ein Ende des Konfliktes ein Gesicht bekommen.
Dieser Text erschien erstmals in der Straßenzeitung zebra. (01.07.2024 – 31.07.2024 | 97)
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