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Marion Gamper
Veröffentlicht
am 27.06.2025
LebenInterview mit Nikolaus Netzer

Im Reich der Träume

Veröffentlicht
am 27.06.2025
Träume faszinieren – doch was sagen sie wirklich über uns aus? Schlafforscher Nikolaus Netzer erklärt im Interview, warum Träume weniger tiefgründig sind als viele glauben, und was wir dennoch aus ihnen lernen können.
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Wenn wir nachts die Augen schließen und in den Schlaf gleiten, eröffnet sich eine grenzenlose Welt in unserem Inneren, in der das Unmögliche wahr werden kann. Jeder von uns verbringt rund fünf Jahre seines Lebens im Traum, auch wenn wir uns am nächsten Morgen selten oder kaum daran erinnern können. Träume unterscheiden sich voneinander, je nachdem, in welchem Schlafstadium sie auftreten. So sind unsere Träume in der sogenannten REM-Phase meistens intensiver und emotionaler.

Warum wir träumen, ist jedoch eines der größten Rätsel der Wissenschaft. Laut Sigmund Freud versprach das Träumen einen Blick in die verborgenen Winkel und Ecken der Psyche. Ob hinter dem Traum eine geheime Botschaft steckt, darüber diskutieren Forschende seit Jahrzehnten. Diese Theorie gilt mittlerweile als überholt.

Aber was geschieht in unserem Gehirn während des Träumens? Welche Rolle spielen Träume in unserem Leben? Antworten auf diese Fragen gibt Nikolaus Netzer, vielfach ausgezeichneter Mediziner und weltweit anerkannter Spezialist im Bereich der Schlafmedizin. Er arbeitet in mehreren Universitäts-Schlaflaboren in Deutschland, Italien und den USA.  Außerdem ist Netzer medizinischer Leiter des Schlaflabors in der Melitta Klinik in Bozen.

BARFUSS: Können Sie den Prozess des Träumens aus neurologischer Sicht erklären?
Nikolaus Netzer: Beim Träumen spielen mehrere spezifische Gehirnstrukturen eine entscheidende Rolle, die mit verschiedenen Aspekten des Gedächtnisses, der Emotion und der hormonellen Regulation verbunden sind. Es entstehen spezielle Verbindungen zwischen Neuronen, die mit den Hormonen des vegetativen Nervensystems zusammenhängen. Diese Verbindungen während des Traumes sind wichtig für unser Gedächtnis. Bisher wurde geglaubt, dass dies hauptsächlich während der REM-Schlafphase und im Frontalhirn geschieht. Neueste Erkenntnisse zeigen jedoch, dass bestimmte Bereiche im Mittelhirn und in der Amygdala, die sich oberhalb des Hippocampus befinden, ebenfalls eine bedeutende Rolle beim Träumen spielen. Diese Bereiche sind wichtig für unsere hormonelle Steuerung, einschließlich der Sexualfunktionen.
Zwar träumt man hauptsächlich in der REM-Phase, aber nicht ausschließlich. Auch beim Schlafwandeln, das im Tiefschlaf stattfindet, laufen traumähnliche Prozesse ab. Aktuelle Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass vor allem zwischen den Schlafphasen häufig geträumt wird.

Nikolaus Netzer

Manchmal haben wir das Gefühl, kurz vor dem Aufwachen noch ganz intensiv geträumt zu haben.
Im Rahmen unserer Forschung zum Thema Schlaf und Träume wird deutlich, dass insbesondere der REM-Schlaf, der in der zweiten Nachthälfte intensiver wird, eine entscheidende Rolle spielt. Es ist von großer Bedeutung, dass wir in dieser Zeit ausreichend ausschlafen können.
Wussten Sie, dass in der zweiten Nachthälfte auch der Cortisolspiegel ansteigt? Besonders interessant ist jedoch der Anstieg des Acetylcholins, eines Neurotransmitters, der dafür bekannt ist, starke Verbindungen im Gedächtnis zu knüpfen. Diese Aktivitäten im Gehirn während der REM-Phase ermöglichen es uns, komplexe Gedanken und Emotionen zu verarbeiten, was sich in den Inhalten unserer Träume widerspiegelt.
Wenn wir jedoch aus einer tiefen und intensiven Schlafphase abrupt aufwachen oder geweckt werden, haben wir oft die Möglichkeit, uns besser an unsere Träume zu erinnern. Das hängt jedoch nicht nur mit der Intensität der Trauminhalte zusammen, sondern auch damit, dass wir uns an die vorherigen Traumphasen schlichtweg nicht mehr erinnern können.

Wie viele Träume können wir in einer Nacht erleben?
Wenn wir schlafen, verlieren wir unser Zeitgefühl, und das beeinflusst, wie wir unsere Träume wahrnehmen. Manche Menschen berichten, dass sie von den Trauminhalten das Gefühl haben, stundenlang unterwegs gewesen zu sein – dabei waren es in der Realität nur 15 bis 20 Minuten.
Und das bringt uns tatsächlich zu Herausforderungen in der Schlafmedizin. Viele Schlafpatient:innen schätzen ihre Wachzeiten oder Einschlafzeiten falsch ein. Sie glauben oft, dass sie viel länger wach waren als tatsächlich, weil ihre innere Uhr „stehengeblieben“ ist.

Wie beeinflussen unsere täglichen Erfahrungen und Erinnerungen die Inhalte unserer Träume?
Die Inhalte unserer Träume sind oft eine interessante Mischung aus persönlichen Erfahrungen, Eindrücken und tatsächlich auch aus Einflüssen, die wir nur passiv erlebt haben, wie beispielsweise Filme oder Bücher. Es ist faszinierend zu beobachten, wie unser Gehirn aus diesen Inspirationen völlig neue, oft bizarre Szenarien kreiert, die wir im realen Leben nie so erleben würden.
Dennoch ist es wahr, dass Träume in engem Zusammenhang mit dem stehen, was wir während des Tages erlebt haben. Selbst alltägliche Erlebnisse, die uns vielleicht nicht einmal bewusst im Gedächtnis geblieben sind, können sich in unseren Träumen manifestieren und dort verarbeitet werden.
Sie können davon ausgehen, dass jeder Mensch träumt, auch Personen mit Schlafstörungen. Meistens erinnern wir uns nur für einen kurzen Moment nach dem Aufwachen an unsere Träume, bevor sie zusehends verblassen. Einmal im Wachzustand, gelangen wir schnell wieder in den „Alltagsmodus“ und lassen die Traumsequenzen hinter uns.

Die Idee, dass jedes Traumsymbol eine spezifische Bedeutung hat oder dass sie eine Art Botschaft des Unterbewusstseins darstellen, ist möglicherweise zu stark vereinfacht.

Warum kehren bestimmte Träume immer wieder zurück?
Das hat jeder Mensch, ich habe das auch. Bei mir kommt es immer wieder vor, dass ich davon träume, noch einmal in der Schule zu hocken. Ich bin dann schon alt und muss trotzdem mit den Jüngeren noch einmal zur Schule gehen. Das sind einfach persönliche Erlebnisse, die uns offensichtlich stärker beeinflusst haben, als wir denken oder die wir noch nicht komplett verarbeitet haben.

Was halten Sie von der Idee, dass Träume eine tiefere Bedeutung oder sogar Botschaften enthalten?
In der Tat sind es oft Überinterpretationen, die Träume mit tiefgründigen Bedeutungen aufladen, sei es durch psychologische Theorien oder kulturelle Deutungen. Die Idee, dass jedes Traumsymbol eine spezifische Bedeutung hat oder dass sie eine Art Botschaft des Unterbewusstseins darstellen, ist möglicherweise zu stark vereinfacht.
Wissenschaftler:innen argumentieren zunehmend, dass Träume eher als ein Produkt der chemisch-physiologischen und neurologischen Prozesse unseres Gehirns während des Schlafs betrachtet werden sollten. Diese Prozesse beinhalten neuronale Aktivität, die Erinnerungen, Emotionen und sogar alltägliche Eindrücke verarbeitet. Ein weiteres Beispiel, das oft zitiert wird, ist das Phänomen, dass Menschen von Lottozahlen träumen, die sie dann tatsächlich nicht gewinnen, was die Vorstellung untergräbt, dass Träume klare oder verlässliche Hinweise auf die Zukunft geben können.

Was genau sind Alpträume und wie unterscheiden sie sich von anderen Träumen?
Wir Schlafforscher erklären einen Alptraum so: Immer, wenn sich die physische Integrität eines Menschen im Traum bedroht fühlt, wenn wir zum Beispiel davon träumen, erstochen oder erschossen zu werden. Das erklärt auch, warum viele Menschen, die traumatische Erlebnisse durchlebt haben, wie Soldaten, häufig von Alpträumen geplagt sind.

Die Schlafqualität spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Alpträumen.

Wie kann die Schlafqualität das Auftreten von Alpträumen beeinflussen?
Die Schlafqualität spielt eine entscheidende Rolle bei der Entstehung von Alpträumen. Patient:innen mit Schlafapnoe erleben oft Erstickungsgefühle, die ihre körperliche Integrität bedrohen – und das schlägt sich direkt in ihren Träumen nieder. Ihr Körper reagiert zwar, aber das Gehirn hat oft Schwierigkeiten, die tiefen Ängste voll zu verarbeiten.
Ähnliches gilt für Menschen mit unvollständiger muskulärer Lähmung in der REM-Phase oder für Schlafwandler:innen und Narkoleptiker:innen. Diese Gruppen sind besonders anfällig für lebhafte und angsterfüllte Träume. Sogar Personen, die tatsächlich einen Herzinfarkt oder Angina pectoris erleiden, können von Alpträumen betroffen sein.
Wenn jemand immer wieder unter Alpträumen leidet, sollte er oder sie prüfen, ob vielleicht eine körperliche Ursache dahintersteckt, die behandelt werden könnte.

Kann man das Träumen oder das Erinnern an den Traum trainieren?
Wenn wir uns nicht an einen Traum erinnern können, sollten wir das als positiv bewerten, weil wir schon mal keinen Alptraum hatten, aus dem wir meistens geweckt werden. Unser Gehirn sagt uns: „Hey du Depp, wach auf oder lauf weg.“
Träume passieren und sind eher angenehmer Natur, als dass sie eine große Bedeutung für uns haben. Wir sollten nicht allzu viel in sie hineininterpretieren.

Was sind luzide Träume?
Sie entstehen in einer speziellen Mischung aus Wachzustand und Traum, was bedeutet, dass wir uns bewusst sind, dass wir träumen, während wir träumen. Früher nannte man jemanden, der oder die gedankenverloren in die Luft schaute, oft eine:n Träumer:in. Bei luziden Träumen können wir in unsere eigenen Vorstellungswelten eintauchen und sie aktiv gestalten. Das ist, als würden wir unserem Gehirn freien Lauf lassen.
Allerdings ist es interessant zu erwähnen, dass ich durch luzide Träume nicht unbedingt meine Fähigkeit verbessern kann, mich an meine nächtlichen Träume zu erinnern.
Viele Fantasiefilme und Romane, wie zum Beispiel die „Harry Potter“-Reihe, haben wahrscheinlich ihren Ursprung in diesen traumhaften Erfahrungen. Luzide Träumer:innen nutzen die Freiheit ihrer Träume, um fantastische Welten zu erschaffen.

Wer mehr zum Thema Träumen erfahren möchte, findet interessante Informationen unter www.traum.ac.at

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