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Marion Gamper
Veröffentlicht
am 14.08.2025
Leben

Gibt es Talent?

Veröffentlicht
am 14.08.2025
Sei es in der Kunst, der Musik, der Wissenschaft oder im Sport: Es scheint so, als wären einige dazu auserkoren, Großes zu vollbringen, während andere mühsam um ihre bestmögliche Leistung kämpfen. Doch was verbirgt sich hinter diesem Konzept des Talentes? Ist es etwas, das uns in die Wiege gelegt wird, oder können wir alle ein Talent erwerben, wenn wir nur genügend üben?
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Die meisten von uns führen Können auf natürliches Talent zurück – auf vorinstallierte Fähigkeiten. Wir betrachten Wissenschaftler:innen, Sportler:innen, Musiker:innen und Weltmeister:innen als Übermenschen, deren Ruhm von Geburt an vorbestimmt war. Wir sagen dann Dinge wie: „Er ist ja so talentiert“, „Sie ist ein wahres Naturtalent“ oder „Er hat diese angeborene musikalische Fähigkeit“. Ist also angeborenes Talent entscheidend dafür, ob wir in einer bestimmten Tätigkeit gut oder besser als andere sind? Kann jede:r ein Talent haben? Stimmt das ganze Gerede über gottgegebene Fähigkeiten?

„Talent gibt es eindeutig“, sagt Andreas Conca, Psychiater, Psychotherapeut und Direktor des psychiatrischen Dienstes im Gesundheitsbezirk Bozen. „Allerdings hat es nicht jeder von uns und es liegt zum Teil in unserem Erbgut.“

Angeborene Fähigkeiten oder erlernbare Kunst?
Genetische Merkmale wie blaue Augen, blonde Haare oder eine krumme Nase sind gut nachvollziehbar. Doch stellt sich die interessante Frage, ob Talent ebenfalls ein genetisches Phänomen ist. Wenn dem so wäre, müsste man annehmen, dass Talente feste Eigenschaften von Menschen sind. Aber warum haben dann nur bestimmte Personen diese besonderen Fähigkeiten? Talente und Begabungen sind nicht universell. „Es könnte zwar sein, dass eine genetische Veranlagung dafür vorhanden ist, doch um wirklich außergewöhnliche Talente hervorbringen – wie die von Albert Einstein, Isaac Newton oder William Shakespeare – braucht es viel mehr. Sogar Donald Trump hat bestimmte Talente, ob uns diese gefallen oder nicht, ist eine andere Frage“, erklärt Conca. 

Anlagen für Talente werden häufig in Familien weitergegeben. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen jedes oder zumindest fast jedes Mitglied einen musischen, sportlichen oder kreativen Hang zeigt. Denken wir an die Kelly Family, die Familien Bach und Beethoven oder die Künstlerfamilie Tischbein. Andreas Conca erklärt dies ganz einfach: „Man könnte sagen, Mama Hafner und Papa Mair treffen aufeinander und schaffen durch ihre besondere Kombination eine kreative ,Mischung‘, die es ermöglicht, dass Talent oder Begabung gedeihen. Doch das ist nicht die ganze Geschichte. Talente und Begabungen werden auch durch Umwelteinflüsse und Lebensbedingungen geformt und gefördert.“

Einige Eltern neigen dazu, ihre eigene Begabung auf ihr Kind zu projizieren. Die Mathelehrerin ist enttäuscht, wenn ihr Sohn immer wieder beim kleinen Einmaleins stolpert, oder der künstlerisch begabte Vater ärgert sich, wenn seine Tochter lieber Sachbücher liest als Bilder malt. „Man kann Begabung und Talent nicht einfach so weitergeben“, erklärt Andreas Conca.

Michael Howe, ein britischer Kognitionspsychologe, schätzte, dass Mozart schon vor seinem sechsten Geburtstag 3.500 Stunden Klavier geübt hatte.

Eines dieser besagten „Wunderkinder“ ist mit Sicherheit Mozart. Vielleicht lassen wir uns hier aber vom äußeren Erscheinungsbild blenden: Zum einen war Mozarts Vater ein berühmter Komponist sowie ein versierter Musiklehrer, der seine eigene Pädagogik entwickelte. Das sind gute Karten für einen aufstrebenden Musiker. Mozart begann schon in sehr jungen Jahren, bei seinem Vater Klavier zu lernen. Michael Howe, ein britischer Kognitionspsychologe, schätzte, dass Mozart schon vor seinem sechsten Geburtstag 3.500 Stunden Klavier geübt hatte. Das sind 500 siebenstündige Arbeitstage, die er mit Klavierspielen verbrachte. Kein Wunder, dass er an den europäischen Höfen seiner Zeit für Aufsehen sorgte. 

Vielleicht ist Talent gar nicht so wichtig, sondern nur das gezielte Üben? Das ist jedenfalls die These, mit der der aus Schweden stammende Psychologe Karl Anders Ericsson berühmt wurde. 10.000 Stunden diszipliniertes Training würden reichen, um ein Meister zu werden. Sollte die magische Zahl von 10.000 Stunden Üben stimmen, wäre sie nicht für alle interessant, die an die Weltspitze wollen? Wenn Training genügen würde, könnte jedes Kind ein neuer Pablo Picasso, Diego Maradona oder Jannik Sinner werden. Andreas Conca ist da anderer Meinung: „Wir erlangen niemals mit reinem Fleiß und stundenlangem Üben dasselbe Niveau wie jemand, der ein bestimmtes Talent besitzt.“

Gene und Umwelt – eine kreative Mischung
Es gibt viele faszinierende Unterschiede zwischen uns, die weit über unsere genetischen Anlagen hinausgehen – und sie haben definitiv etwas mit der bemerkenswerten Funktionsweise unseres Gehirns zu tun. Wenn es darum geht, Fähigkeiten zu entwickeln – sprachliche, emotionale, musikalische, mathematische oder psychomotorische – spielt unser Gehirn die zentrale Rolle.

Wenn wir unserem Talent allerdings keine Beachtung schenken oder es links liegen lassen, dann kann es auch verkümmern.

Wieder hat Andreas Conca eine gut verständliche Erklärung: „Unser Gehirn funktioniert wie ein 3D-Drucker. Es produziert Sprache, formt Emotionen, speichert Erinnerungen und kreiert Verhaltensweisen. Doch genau wie ein Drucker selbst nicht das Modell ist, das er druckt, sondern es lediglich erstellt, ist auch unser Gehirn nicht die Fähigkeit an sich – es verarbeitet sie nur. Aber ohne unsere ,Drucker‘ hätte es die Meisterwerke, die wir Talent nennen, nie gegeben.“

Talent scheint also ein angeborenes Merkmal zu sein. Die Strukturen in unserem Gehirn – oder eben die Mechanismen unseres 3D-Druckers – beginnen sich schon in der neunten bis zehnten Schwangerschaftswoche zu entwickeln. Dabei gibt es in der „Anlage“ dieses Druckers möglicherweise etwas, das von Natur aus leicht anders funktioniert als bei den meisten anderen. Talent hat absolut nichts mit unserem Intelligenzquotienten zu tun. Es ist ein einzigartiges Potenzial, das in uns schlummert, und das darauf wartet, entdeckt und entfaltet zu werden. Wenn wir unserem Talent allerdings keine Beachtung schenken oder es links liegen lassen, dann kann es auch verkümmern. „Umgekehrt kann es aber auch so sein, dass wir eine besondere Fähigkeit besitzen, von der wir erst spät oder vielleicht gar nie erfahren“, so Conca.

Andreas Conca

Inselbegabungen und ihre Besonderheiten
Wir sind sicher schon einmal auf den Begriff „Savant- oder Inselbegabung“ gestoßen oder haben darüber gehört. Diese Form des Talents zeichnet sich durch außergewöhnliche Fähigkeiten in spezifischen Bereichen aus, während die betroffenen Personen in anderen Aspekten des Lebens oft mit signifikanten Herausforderungen kämpfen. „Ein bekanntes Beispiel ist die Figur des Raymond gespielt von Dustin Hoffman im Film ,Rain Man‘, der eindrucksvoll zeigt, wie jemand über bemerkenswerte mathematische Fähigkeiten und ein erstaunliches Gedächtnis verfügen kann, während dies mit Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen einhergeht.“

Jeder Mensch ist förderungsfähig und sollte unterstützt und gefördert werden.

Andreas Cognac

Doch was genau steckt hinter dieser besonderen Begabung? Andreas Conca erklärt, dass es keine klare Definition für Inselbegabungen gibt. Bei diesen besonderen Menschen handelt es sich oft um Personen, die in bestimmten Bereichen ihres Lebens unterdurchschnittlich sind oder anders wahrgenommen werden – sei es im Rahmen einer autistischen Störung, interkulturellen Herausforderungen oder nach einem Schädel-Hirn-Trauma. Trotz dieser Herausforderungen zeigen sie innerhalb ihrer jeweiligen Situation außergewöhnliche Talente und Begabungen. „Jeder Mensch ist förderungsfähig und sollte unterstützt und gefördert werden. Genauso wichtig ist die Bildung – sie ist eine der wichtigsten gesundheitsförderndsten Maßnahmen. Je gebildeter wir sind, umso gesünder können wir leben.“

Auch wenn nicht jede:r von uns mit einem besonderen Talent gesegnet ist, sollten wir uns davon nicht entmutigen lassen. Vielmehr sollten wir Dinge tun, die uns Freude bereiten, denn mit Leidenschaft, Fleiß und dem Streben nach Wissen können wir erstaunliche Höhen erreichen.

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