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Veröffentlicht
am 27.10.2016
LebenKaiserschnitt oder natürliche Geburt?

Gesund ins Leben

Veröffentlicht
am 27.10.2016
Immer mehr Frauen in Südtirol bringen ihr Kind per Kaiserschnitt zur Welt. Die vermeintlich einfachere Art der Geburt wirkt verlockend, birgt aber Probleme für Mutter und Kind.
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Maria erwartet ihr erstes Kind. Bereits jetzt weiß sie, dass ihr Kind per Kaiserschnitt geboren wird. Sie möchte das so. Bei den meisten ihrer Freundinnen war es auch so. Die einzige Freundin, die ihr Kind auf natürliche Weise entbunden hat, hat ihr von den unerträglichen Schmerzen erzählt. Die wollte sie auf keinen Fall: „Mein Frauenarzt, der mich auch in der Schwangerschaft betreut, hat mir gesagt, dass es im Meraner Krankenhaus möglich ist, eine Schnittentbindung machen zu lassen. Das ist heute überhaupt kein Risiko mehr und außerdem kann ich den Geburtstermin so gut planen.“ Die 35-Jährige ist sicher, die richtige Entscheidung für sich und ihr Kind getroffen zu haben. Das planbare, klar struktuierte Vorgehen bei einem Kaiserschnitt kommt ihr entgegen.

Das Krankenhaus Brixen.

Fast jedes vierte Kind in Südtirol kommt per Kaiserschnitt zur Welt. Die Angaben zur Kaiserschnittrate aus den öffentlichen Krankenhäusern liegen für das Jahr 2014 etwa bei 20,5 Prozent (Krankenhaus Sterzing) und 30,5 Prozent (Krankenhaus Brixen). Tendenz steigend. Was früher ein Eingriff im Notfall war, ist mittlerweile normal geworden: Frauen können sich heute ohne strenge medizinische Indikation für eine Kaiserschnittgeburt entscheiden. In Südtirol übernimmt das öffentliche Gesundheitssystem die Kosten.

Fachleute haben Bedenken

Kritisch in Bezug auf Kaiserschnittentbindungen äußert sich der Chefarzt am St. Josef Krankenhaus in Berlin Michael Abou-Dakn: „Diese Art auf die Welt zu kommen kann Ursache für verschiedene Erkrankungen wie beispielsweise Diabetes Typ 1, Asthma oder Allergien sein. Weitere Untersuchungen der langfristigen Folgen durch diese Art der Entbindung stehen erst am Anfang“, gibt Abou-Dakn zu bedenken.

Schon länger bekannt ist, dass der Kontakt des – in der Gebärmutter noch sterilen – Neugeborenen mit den Keimen aus dem natürlichen Geburtskanal der Mutter hilft, Erkrankungen vorzubeugen. Ein Schutz, den Kaiserschnittkinder nicht automatisch mitbekommen. Der Chefarzt erklärt weiter: „Kinder, die durch einen operativen Bauchschnitt zur Welt kommen, erfahren nicht den natürlichen Geburtsverlauf durch die Scheide der Mutter und kommen daher auch nicht in Kontakt mit den natürlichen Darmkeimen der Mutter, die auf das Neugeborene übergehen und die Basis für das kindliche Immunsystem legen.“

In der St. Josef Klinik für Geburtshilfe in Berlin wird seit Jahren wieder bewusst die natürliche Geburt einem Kaiserschnitt vorgezogen. Die operative Geburt kommt in begründeten Ausnahmefällen in Frage – nämlich bei einem erhöhten Risiko für Mutter und Kind. Wunschkaiserschnitte werden keine durchgeführt. Hebammen haben dort einen hohen Stellenwert.

„In Südtirol liegen nicht nur Geburten, sondern auch die Betreuung von schwangeren Frauen in medizinisch-ärztlicher Hand.”

Maria kennt keine Hebamme, sie lässt sich von ihrem Frauenarzt betreuen. Jetzt in der Schwangerschaft sogar einmal pro Monat: „Ich gehe regelmäßig zu meinem Frauenarzt. Als Arzt sieht er sofort, wenn etwas nicht stimmt. Er hat mich auch beruhigt, als ich ihm von meiner großen Angst vor Geburtsverletzungen erzählt habe“, erzählt Maria sichtlich erleichtert. Sie fühlt sich gut aufgehoben und medizinisch bestens betreut.

In Südtirol liegen nicht nur Geburten, sondern auch die Betreuung von schwangeren Frauen in medizinisch-ärztlicher Hand: wie Maria werden 90 Prozent der schwangeren Frauen in Südtirol ausschließlich von – oft privaten – Gynäkologinnen oder Gynäkologen betreut. Ärzte aber sind von ihrer Ausbildung her auf Risiko und pathologische Abweichungen des normalen Verlaufs spezialisiert. Ihr Ansatz bei der Betreuung unterscheidet sich daher sehr häufig von der Betreuung durch eine Hebamme, die mit einem empathischen, auf die Stärkung der Frauen ausgerichteten Ansatz Frauen in ihren persönlichen Bedürfnissen unterstützt. Die Betreuung von schwangeren Frauen in einer hebammenzentrierten Geburtshilfe sieht demzufolge auch ganz anders aus.

Für den Berliner Chefarzt Abou-Dakn ist die Rolle der Hebamme immens wichtig. Er plädiert für eine gute Betreuung durch eine Hebamme, im besten Fall eine 1:1 Betreuung – das ist die Betreuung der schwangeren Frau durch eine Hebamme oder ein kleines Hebammenteam, und zwar über den gesamten Verlauf der Schwangerschaft, bei der Geburt und darüber hinaus. Ihm zufolge könnten dadurch Schmerz- und Wehenmedikamente reduziert und die Kaiserschnittrate gesenkt werden. „Das wäre der Schlüssel, um die normale Geburt zu fördern“, hebt Abou-Dakn hervor.

Freiberufliche Hebamme Astrid Di Bella.

Weil in Südtirol die Hebammenbetreuung nur minimal ausgebaut ist, wissen sehr viele Frauen nicht, dass auch Hebammen normal verlaufende Schwangerschaften und Geburten betreuen. Astrid Di Bella, Hebamme und Präsidentin des Kollegiums der Hebammen in Bozen, setzt sich für einen flächendeckenden Ausbau der Hebammenbetreuung in ganz Südtirol ein. Di Bella arbeitet derzeit in der Arbeitsgruppe für Geburtshilfe zur Sanitätsreform mit und hofft, dass die Vorschläge seitens der Hebammen berücksichtigt werden: „Bei der Versorgung der Frauen, Kinder und Familien geht es zwar immer auch um die medizinische Betreuung, eine unterstützende Betreuung durch Hebammen könnte die Qualität der Geburtshilfe aber ohne große Investitionen verbessern. Wir hoffen, dass im Zuge der Reform zumindest die Vor- und Nachversorgung für alle schwangeren Frauen flächendeckend umgesetzt wird“, sagt Di Bella, die in dieser Hinsicht in Südtirol noch großes Entwicklungspotential sieht. Solange es noch keine 1:1-Betreuung gebe, würden Frauen, die zur Entbindung ins Krankenhaus kommen, üblicherweise auf Menschen treffen, die sie überhaupt nicht kennen und müssten sich an eine fremde Umgebung gewöhnen.

Die sanfte Geburt

Der Überwachungsdruck in Krankenhäusern führe zu unnötigen technischen und medizinischen Eingriffen, und zwar bei jeder normalen Geburt. „Man weiß heute, dass Frauen, die ein Aufnahme-CTG (Herzton-Wehenschreiber) bekommen, später ein deutlich höheres Risiko haben, per Kaiserschnitt zu entbinden oder im Verlauf der Geburt ein Wehenmittel verabreicht zu bekommen. Eine Intervention zu Beginn der Geburt kann eine Interventionskaskade in Gang setzen“, klärt Di Bella auf.

„Jede Unterbrechung wirkt sich auf die hormonelle Situation von Mutter und Kind und daher auch auf den Geburtsverlauf selbst aus.”

Einer im American Journal of Obstetrics & Gynecology publizierten Studie zufolge beeinflussen Interventionen – und dabei sind nicht nur medizinisch-technische Eingriffe gemeint, sondern auch das Erscheinen eines Arztes im Kreißsaal oder unbegründete vaginale Untersuchungen – den physiologischen Geburtsverlauf. Jede Unterbrechung wirkt sich auf die hormonelle Situation von Mutter und Kind und daher auch auf den Geburtsverlauf selbst aus. Michel Odent, einer der Begründer der sanften Geburt und Autor von zahlreichen Büchern zu diesem Thema, sagt, man müsse bei jeder Geburt versuchen, alles auszuschalten, was das logische Denken anregt: etwa grelles Licht, laute Geräusche, fremde Menschen oder Gespräche. Seiner Erfahrung nach gibt es einen Unterschied zwischen einer Geburt unter gedämpften Licht oder grellem Licht. Grundsätzlich sind ihm zufolge alle Situationen zu vermeiden, die die Gebärende zwingen aufzupassen, was um sie herum passiert. Odent fordert den Schutz der physiologischen Abläufe.

„Die Qualität der Geburtshilfe ist weniger der technischen Ausstattung eines Krankenhauses oder der medizinischen Betreuung zuzuschreiben, sondern vor allem einer kompetenten und unterstützenden Begleitung.”

Damit vertritt er dieselbe Philosophie wie Ibu Robin Lim. Lim ist Hebamme und Verfechterin der Lotusgeburt und war im September 2016 bei einer Infoveranstaltung an der Universität Brixen zu Gast. Lotusgeburt bezeichnet eine Art der natürlichen Geburt, bei der die Frau und die physiologischen Abläufe einer Geburt derart geschützt werden, dass beispielsweise die Nabelschnur des Kindes erst nach Stunden durchtrennt wird, wenn überhaupt. Lims größtes Anliegen ist es, Frauen in der sensiblen Phase rund um die Geburt zu unterstützen und zu schützen. Dies praktizieren sie und ihr Team täglich in den von ihr gegründeten Zentren Bumi Sehat in Haiti und Indonesien. Für ihr Werk und ihren Einsatz für schwangere Frauen erhielt sie im Jahr 2006 den Alexander-Langer-Preis.

An der Universität Brixen zeigte Lim Videos von ihren Projekten und unterstrich einmal mehr, dass die Qualität der Geburtshilfe weniger der technischen Ausstattung eines Krankenhauses oder der medizinischen Betreuung zuzuschreiben ist, sondern vor allem einer kompetenten und unterstützenden Begleitung.

Jede einzelne Geburt, die in Würde und respektvoller Umgebung erfolgt, ist ein Beitrag für den Frieden in dieser Welt.“

Der eigentliche Grund, warum Odent und andere Wissenschaftler Entscheidungsträgern nahelegen, sich für die natürliche Geburt einzusetzen – und damit auch die Hebammenarbeit entsprechend wertzuschätzen – liegt darin, dass die physiologischen Abläufe in der Schwangerschaft, bei der Geburt und in der Zeit danach prägend für Neugeborene sind. Eine positiv verlaufene Schwangerschaft, Geburt und das erste Lebensjahr bilden die Basis für die Gesundheit der Kinder, auch weil in dieser Lebensphase die individuelle Stressresistenz festgelegt wird. Ibu Robin Lim geht noch weiter indem sie sagt: „In der Zeit unmittelbar nach der Geburt wird die Basis für Vertrauen und Liebesfähigkeit gelegt. Daher ist jede einzelne Geburt, die in Würde und respektvoller Umgebung erfolgt, ein Beitrag für den Frieden in dieser Welt.“

Die Geburtshilfe in Südtirol befindet sich derzeit im Umbruch: Entbindungsstationen werden geschlossen, die Reform des Gesundheitswesen läuft. Hebammen wünschen sich eine Neuausrichtung für die Betreuung rund um die Geburt. Maria wünscht sich in erster Linie ein gesundes Kind. Wie jede andere schwangere Frau auch.

Gastbeitrag von Irene Schlechtleitner. Die Autorin war selbst als Hebamme tätig.

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