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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 17.03.2015
LebenWir Ypsiloner

Generation Stress

Veröffentlicht
am 17.03.2015
In einem Ypsiloner-Leben ist Zeit Mangelware. Jammern hilft, denn Stress ist die neue Freiheit.
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Jammern, das können wir gut. Sagen zumindest die Wissenschaftler über uns. Und ich muss zugeben, dass es Tage gibt, an denen ich mir die Weltmeisterkrone der Jammerei aufsetzen könnte. Besonders wenn es um das Thema Stress geht. Neulich ist es mir schon wieder passiert: Ich habe auf die einfache Frage „Wie geht’s dir so?“ nicht etwa eine einfache Antwort gegeben, sondern ganz lässig die Ypsiloner-Standard-Floskel gezückt: „Super, danke, nur ein bisschen stressig grad.“

Klar, zwei Seminararbeiten warteten darauf, von mir fertiggetippt zu werden und die Schreibarbeit stapelte sich ebenso auf meinem Schreibtisch wie die Tempotaschentücher meiner Grippe. Aber muss man deshalb gleich jedem diesen Stress als persönlichen Gemütszustand unter die Nase reiben? Reicht nicht einfach ein simples „gut“ oder„schlecht, danke“?
Scheinbar nicht. Aber scheinbar bin ich auch kein Einzelfall, was die Stressanfälligkeit im Ypsiloner-Alltag anbelangt. Wenn ich so durch meine Nachrichten scrolle, ist das Wort Stress ein wirklich unangenehmer, aber vielgesehener Gast. Die einen stecken im Lernstress, die anderen im Urlaubsstress, wieder andere haben Stress, weil sie zu viele Ideen haben, die sie in ihrem stressigen Leben umsetzen wollen. Unistress, Freizeitstress, Freundesstress, Arbeitsstress. Dieses kleine, lästige Wörtchen scheint wirklich mit jedem Substantiv, das der Duden zu bieten hat, kombinierbar zu sein. Der Grund: Stress ist der Puffer unserer Generation.

Stress, die neue Freiheit

Denn in so einem Ypsiloner-Leben wird die Zeit gerne knapp. Wir wollen uns schließlich keine Gelegenheit entgehen lassen. Am besten alles haben und nichts versäumen. Doch zwischen Lernen, Arbeiten, Feiern, Ausschlafen, Reisen, Sport, Freunden und Co. brauchen wir irgendwo doch auch noch ein bisschen Zeit für uns. Da muss eben der Stresspuffer her.

Sechs Buchstaben, die uns die Luft zum Atmen geben. Weil sie immer und überall als Ausrede eingesetzt werden können. Sechs Buchstaben, die jeder als Rechtfertigung akzeptiert, ohne nachzufragen. Hat man Stress, ist man entschuldigt. Stress ist sozusagen die neue Freiheit und Stress zu haben also streng genommen gar nicht einmal so übel. Am Ende bleibt eine einfache Gleichung: Je mehr Stress man hat, desto mehr Freiheit bekommt und desto weniger Ausreden braucht man. Die ganze Jammerei hat also doch einen Sinn!

Eine Prise Stress, bitte

Ohne das Wörtchen, das wie eine giftige Schlange aus unseren Sätzen zischt, würde ja auch alles halb so tragisch klingen und dadurch halb so gut wirken. Wer schreibt schon ehrlich und direkt: „Sorry, hatte einfach grad keine Lust, zurückzuschreiben“, wenn er auf den guten, alten Stress als Entschuldigung zurückgreifen kann.
Ohne den Stress würde niemand unsere Ausreden ohne Widerworte annehmen. Niemand würde uns mitleidig entschuldigen, oder uns mit einer gewissen Anerkennung ansehen, weil wir ja so viel zu tun hätten und doch immer wieder alles unter einen Hut kriegten. Ohne den Stress fehlt unseren Aussagen die nötige Prise Dramatik.

So kommt es uns auch komisch vor, wenn ab und an der utopische Fall eintritt und jemand stressfrei glücklich ist. Wie würden wir schon reagieren, wenn jemand auf unser „Wie geht’s dir so?“ ganz einfach erwidern würde: „Oh, ausgezeichnet, danke. Ich hatte die letzten Tage unverschämt viel Zeit für mich. Ich bin viel herumgesessen, habe den blauen Himmel beobachtet und jetzt geht’s mir einfach prächtig.“ Mit Anerkennung? Mitleid? Akzeptanz? Von wegen. Wir fragen uns wohl eher, was dieser Jemand in seinem Leben falsch gemacht hat, dass er jetzt nicht im Stress ist so wie wir. So wie ich und du.

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