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Marianna Kastlunger
Veröffentlicht
am 11.01.2018
LebenJugenddiabetes

Ein ziemlich normales Leben

Veröffentlicht
am 11.01.2018
Ohne Spritze und Insulinkit geht Linda Zeni nirgendwohin. Schon als Kind bekam die Seiserin Typ-1-Diabetes diagnostiziert. Die Krankheit gehört seitdem zu ihrem Alltag.
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Linda Zeni
Seit ihrem achten Lebensjahr lebt Linda Zeni mit der Diagnose Typ 1 Diabetes und kommt gut damit zurecht.

„Nicht drehen, einfach eindrücken“ lautete die Anweisung, als Linda Zeni an einer Mandarine das Insulinspritzen üben musste. Als ihr mitgeteilt wurde, dass sie an Diabetes leidet, war die heute 25-Jährige erst acht Jahre alt. Die Diagnose bedeutete eine große Umstellung für die ganze Familie, die bis dahin noch nie mit der Krankheit zu tun hatte. „Die Betroffenheit war am Anfang natürlich groß. Als erstes suchten meine Eltern nach Lösungen und Heilungschancen, die es aber bis heute nicht gibt“, erzählt Linda. So galt es, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und das Beste daraus zu machen, ohne es zu unter- oder überschätzen. „Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern, sie haben alles richtig gemacht“, sagt sie. Sie lernten, ihr Kind zu unterstützen, und halfen Linda zur Selbsthilfe, um ein freies, selbstbestimmtes Leben zu führen.

„Ich habe mich manchmal in der Schule so lange geweigert, bei Unterzucker etwas zu essen, bis auch meine Mitschüler in der Pause etwas aßen. Ich wollte einfach nicht auffallen, anders sein und habe mich geschämt.“

Heute arbeitet die Seiserin in einer Marketingagentur in Lana und wirkt wie jemand, die sich von nichts aufhalten lässt. Auch nicht von ihrem Diabetes. Dieser verlangt den Betroffenen nämlich einiges ab: „Ich habe mich manchmal in der Schule so lange geweigert, bei Unterzucker etwas zu essen, bis auch meine Mitschüler in der Pause etwas aßen. Ich wollte einfach nicht auffallen, anders sein und habe mich geschämt“, erinnert sich Linda. Es folgten auch die typisch schwierigen Phasen im Teenager-Alter, die die Krankheit mit Existenzängsten auflud: Werde ich je wieder gesund? Das Erwachsensein erleben? Wird mich mein Freund noch lieben, wenn er von meiner Krankheit erfährt?

Was ist Diabetes?

In Südtirol leiden knapp 20.000 Personen an Diabetes – eine Zahl, die laut Experten in Zukunft steigen wird. Es gibt mehrere Arten von Diabetes. Der gängigste ist Typ 2, der bei älteren Personen auftritt. Ihre Bauchspeicheldrüse kann nicht mehr genug Insulin produzieren, ein Hormon, das die Energie aus Kohlenhydraten zum Muskel bringt und sozusagen als Schlüssel zur Treibstoffversorgung dient. Wer Typ 2 aber mit Tabletten behandelt, sich bewegt und gesund ernährt, kann die Krankheit gut einschränken. Eine weitere Form ist der Gestationsdiabetes, der während einer Schwangerschaft auftritt und wieder verschwindet. Ungefährlich ist dieser Diabetes dennoch nicht: Die Krankheit kann zu Missbildungen oder gar Totgeburten führen, sowie zu einer späteren Typ 2 Erkrankung.

Typ 1 Diabetes wird auch Jugenddiabetes genannt, weil er bereits in der Kindheit auftritt. Die Symptome sind gut erkennbar: Wenn Kinder ständig Durst haben, nachts öfter aufs Klo müssen, plötzlich ohne sportlichen Grund viel Gewicht verlieren und dabei müde, lust- und antriebslos wirken, sollten die Eltern stutzig werden und in der Apotheke einen Blutzuckertest machen lassen. Wenn die ermittelten Werte zu hoch sind, sollte man zum Arzt, denn das ist ein Zeichen für Diabetes. Bei Typ 1 kann die Bauchspeicheldrüse gar kein Insulin bilden, es muss also durch Spritzen hinzugeführt werden. Die Ursachen für diese Erkrankung sind noch unklar. Sie könnte vererbbar oder von bestimmten Umweltfaktoren abhängig sein, man weiß es nicht genau. Fakt ist: In Südtirol sind fast 2.000 Jugendliche an Typ 1 erkrankt, auch hier ist die Tendenz steigend. In Zukunft wird Diabetes zu den größten gesundheitlichen Problemen in der Gesellschafft gehören – und auch zu den häufigsten Todesursachen.

„Ich verstehe ja, dass viele Leute wenig bis gar nichts über Diabetes wissen, aber manchmal kann es schon weh tun.“

Sprüche wie „De hot Zucko“ und „Als Kind sicher zu viel genascht“ hat Linda schon oft gehört. Genauso wie die völlig falsche Annahme, die Krankheit wäre ansteckend. „Das ist natürlich Unfug, aber noch mancherorts verbreitet“, gibt sie zu bedenken. Dann beschreibt Linda eine Episode aus einem Urlaub, als ihre Tischnachbarn entrüstet auf ihre Insulinspritze starrten: „Die haben mich so genervt, ich hätte sie am liebsten angeschrien. Da das nicht möglich war, habe ich mich einfach etwas lauter mit meiner Begleitung über Drogenkonsum unterhalten“, erzählt sie schelmisch. Schwarzer Humor war aber nicht immer die Lösung: „Ich verstehe ja, dass viele Leute wenig bis gar nichts über Diabetes wissen, aber manchmal kann es schon weh tun,“ fährt Linda fort. Das eigentliche Problem habe weniger mit dem Unwissen über die Krankheit zu tun, sondern vielmehr mit dem Gefühl, anders zu sein. „Ich wollte nie die Extrawurst sein“, sagt sie. Und lobt die Bestrebungen zu mehr Informationen zum Thema Jugenddiabetes. Betroffene Familien werden heute psychologisch begleitet und Lehrpersonal im Umgang mit der Krankheit und der Klassengemeinschaft geschult: „Wenn man kleinen Kindern erklärt, dass ein Insulinset etwas Lebensnotwendiges ist, verstehen sie das sehr wohl.“

So ein Kit hat auch Linda immer bei sich. Sie muss nämlich an die zehn Mal am Tag ihren Blutzuckerspiegel messen, morgens und abends, vor und nach jeder Mahlzeit. Sie geht auch gerne Kaffeetrinken und packt die Kekse ein, die dazu serviert werden. Darf sie sie eigentlich essen? „Ja natürlich“, lautet die Antwort. „Ich bin ein ganz normaler Mensch, der etwas mehr auf sich achten muss“, betont sie immer wieder und beschreibt ihren Alltag mit der Leichtigkeit einer Person, die an einer Aufgabe gewachsen ist.

Rechnen gehört zum Alltag

Lindas Tagesablauf ist ganz klar getaktet. Um ihren Blutzuckerspiegel zu messen, sticht sie ganz leicht eine Nadel in den Finger und lässt etwas Blut auf ein flaches Stäbchen tropfen. Dieses reagiert sekundenschnell und schickt ihr die Daten direkt aufs Handy: „Die alten Messgeräte waren hässliche, klobige Dinger, heute gibts Bluetooth und Apps. Da spare ich mir das Wertenotieren“, lobt die Diabetikerin die modernen Technologien. Sie achtet sehr auf eine gesunde Ernährung, Sport und einen geregelten Tagesablauf: „Ich sollte beispielsweise nicht spontan einen riesigen Teller Nudeln, dann noch ein belegtes Brot und Kuchen essen. Das würde die notwendige Insulinmenge zu sehr erhöhen“, sagt sie mit scherzhafter Übertreibung. Die Insulinmenge hängt nämlich von den Werten vor der Mahlzeit ab und vom Essen, das sie zu sich nehmen will. Ideal wäre ein Wert zwischen 80 und 130. Wenn Linda aber schon vor dem Essen auf einen Wert von 300 kommt und eine Portion Pasta will, wird die Insulindosis dementsprechend erhöht. Sie muss also stets Rechenaufgaben lösen. Das macht die Planung für längere Urlaube wesentlich aufwändiger: „Da hole ich die notwendige Menge plus Sicherheitsvorrat und Messstäbchen bereits im Vorfeld. Die Insulinrezeptur kann in anderen Ländern nämlich leicht variieren und die Kosten muss ich selber tragen“, schildert die Seiserin.

Ständige Begleiter: Lindas Insulinkit mit Messutensilien, verspielt designter Spritze und Lakritzvorrat.

Darüber hinaus kennt Linda ein paar Tricks, um den Blutzucker zu reduzieren: Sie macht Karate, Poledance, High-Intensity-Training und joggt. „Wenn ich wieder meinen Teller Nudeln essen möchte, und schon weiß, dass ich nachher Sport mache, dann spritze ich weniger, damit ich nicht unterzuckere“, erklärt Linda. Dann gesteht sie: „Früher habe ich Sport immer gehasst, heute weiß ich ihn als Ausgleich zum Schreibtischjob sehr zu schätzen. Außerdem kann ich mir das eine oder andere Stück Kuchen gönnen.“

„Wenn ich Alkohol trinke, gehe ich auch tanzen, um den höheren Zuckergehalt zu kompensieren. Dementsprechend wird auch das Insulin angepasst.“

Wenn sie zu niedrige Zuckerwerte erreicht, greift sie zu einer kleinen Tupper-Dose mit den gesammelten Keksvorräten und Lakritz. Bei Unterzucker muss nämlich ein Snack her. Sie hat gelernt, viele tägliche Einflüsse genau zu beobachten, um gegebenenfalls darauf zu reagieren. Aufs Feiern muss sie übrigens nicht verzichten: „Wenn ich Alkohol trinke, gehe ich auch tanzen, um den höheren Zuckergehalt zu kompensieren. Dementsprechend wird auch das Insulin angepasst.“ Große Exzesse meidet sie aber, um auf ihre Werte und Messungen achten zu können. Wenn sie ein Stück Torte nicht während der Geburtstagsparty, sondern lieber daheim als Nachtisch isst, ist niemand beleidigt: „Meine Freunde haben großes Verständnis für meinen Essensplan. Sie haben mich auch nie wegen der Krankheit ausgegrenzt“, erzählt Linda. In anderen Lebensbereichen scheint es aber schwieriger zu sein, auf die Bedürfnisse von Diabetikern Rücksicht zu nehmen. Das ist etwa in der Arbeitswelt der Fall.

Diabetiker am Arbeitsplatz

„Wir hätten eigene Rechte, aber viele Betroffene wollen nicht auffallen und machen davon nie Gebrauch“, sagt Linda. Dass ein potenzieller Arbeitgeber bei Kandidaten mit identischen Voraussetzungen sich gegen den Diabetiker entscheidet, hält sie für sehr wahrscheinlich. Es ist aber trotzdem besser, wenn der Arbeitgeber und das engere Umfeld Bescheid wissen, um im Notfall richtig zu reagieren. „Wenn unsere Zuckerwerte zu tief sind, können wir ohnmächtig werden. Am besten, ihr holt einen Krankenwagen, dann ist jeder aus dem Schneider“, empfiehlt sie lächelnd und klopft auf Holz. Ihr ist es zum Glück noch nie passiert. Chef und enge Kolleginnen wussten von Anfang an Bescheid.

„Wenn ich durch die Gassen spaziere, sieht niemand, was ich habe. Das macht es für mich einfacher und ich komme gut zurecht.“

Ein Leben mit Typ-1-Diabetes besteht auch aus regelmäßigen Arztbesuchen, da die Krankheit zu einem Rattenschwanz an Problemen führen kann. Ein simpler Schnupfen, schlecht gereinigte Schnittwunden oder Zahnfleischentzündungen bringen die Blutwerte durcheinander und machen die Insulindosierung und das Leben komplizierter. Außerdem können bei Diabetikern Augen-, Gefäß- und Nierenerkrankungen öfter auftreten. Wer aber aufpasst, reduziert die Risken. Natürlich denkt sich Linda manchmal: „Uffa, hätt i den Scheiß net!“ Dann fährt sie mit gelassener Stimme fort: „…aber es gibt viele Krankheiten, die noch schlimmer sind. Wenn ich durch die Gassen spaziere, sieht niemand, was ich habe. Das macht es für mich einfacher und ich komme gut zurecht.“

Heute geht Linda offen mit ihrer Krankheit um. Sie ist Vizepräsidentin der neu formierten Diabetes Union, die mit einer Reihe von Events das Thema stärker an die Öffentlichkeit bringen will. „Durch soziales Engagement wird mein Terminkalender noch voller, aber das mache ich halt auch noch“, sagt Linda in bester Tiefstaplermanier. Lindas Talent für verständliche Diabetes-Vermittlungsarbeit ist riesig. Sie wirkt ehrgeizig, fakten- und meinungsstark. Sie musste früher als andere Kinder lernen, eine große Verantwortung zu übernehmen. Und trotzdem führt Linda ein ziemlich normales Leben.

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