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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 20.01.2020
LebenMehrsprachige Lyrik

Ein miscuglio

Veröffentlicht
am 20.01.2020
Mehrsprachigkeit als Selbstverständlichkeit? Erika Unterpeintner hat erforscht, warum Südtiroler Autoren Lyrik mehrsprachig gestalten.
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Dialekt, Italienisch, Standarddeutsch, Ladinisch, Albanisch, Arabisch oder Chinesisch: Auf Südtirols Straßen hört man viele Sprachen, und oft vermischen sie sich in einem Gespräch zu einem miscuglio, zueinem Gemisch an Sprachen. Dieser Alltag spiegelt sich auch in Südtiroler Belletristik und Lyrik wieder und zeigt sich in mehrsprachigen Texten. Erika Unterpeintner ist im Rahmen ihres Literaturwissenschaftlichen Studiums an der Universität Wien aufgefallen, wie wenig sich Wissenschaft mit dieser Sprachenvielfalt beschäftigt. In ihrer Masterarbeit hat sie deshalb untersucht, wie in Südtirol mehrsprachige Lyrik geschrieben wird, wer sie verfasst und warum die Verfasser mehrere Sprachen nutzen.

Du hast dich in deiner Masterarbeit mit mehrsprachiger Lyrik beschäftigt. Was kann man sich darunter vorstellen?
Mehrsprachige Lyrik ist Lyrik, in der mehrere Sprachen neben- und miteinander vorkommen. Es gibt darin sowohl Sprachwechsel als auch Sprachmischungen. Ich habe mich in meiner Masterarbeit damit auseinandergesetzt, welche Formen solche Lyrik annimmt und mit welchen Verfahren gearbeitet wird. Dafür habe ich 150 lyrische Texte von 43 Autorinnen und Autoren analysiert, die entweder aus Südtirol kommen oder hier leben und einen emotionalen Bezug zu Südtirol haben.

Hat sich die Art und Weise, wie mehrsprachig geschrieben wird, verändert?
In Südtirol wurde ab den 70er-Jahren vermehrt mehrsprachig geschrieben. Norbert C. Kaser, Joseph Zoderer und Kurt Lanthaler sind den meisten ein Begriff – für sie war mehrsprachige Lyrik ein Ausdruck der politischen Opposition. Mit den 90er-Jahren kam ein neuer Wind in die Literaturszene, es wurde wieder mehr experimentiert. Zu dieser Zeit entstand eine neue Riege an Autorinnen und Autoren, die Mehrsprachigkeit anders nutzen: das hängt auch mit der politischen Lage zusammen. Diese hat sich bis in die 90er-Jahre mehr oder weniger konsolidiert, die Autonomie ist gefestigt. Deshalb wird Mehrsprachigkeit in der Lyrik mehr zu einem generellen Ausdruck der mehrsprachigen Situation in Südtirol.

Erika Unterpeintner

Dann würdest du sagen, dass mehrsprachige Lyrik heute nicht mehr den Charakter einer politischen Positionierung hat?
Im Gegenteil: Es ist sehr wohl ein politisches Statement. Mehrsprachigkeit ist ein Alltag in Südtirol, der immer mitschwingt. In den 70er-Jahren, als Kaser mehrsprachig geschrieben hat, war das ein Zeichen der Bereitschaft, zusammenzuleben: „Hey, wir wollen mit denen zusammenleben, wir gehören zusammen und zeigen das, indem wir mehrsprachig schreiben.“ Das war eine andere Form des politischen Schreibens als heutzutage: Jungen Lyrikerinnen und Lyrikern geht es heute mehr um den Alltag. Es gibt zum Beispiel eine junge Schriftstellerinnengruppe, die sich „Die Glühbirne“ nennt. Sie setzt sich aus Personen aus den verschiedenen Sprachgruppen zusammen. Jede der „Glühbirnen“ ist sehr aktiv und sie schreiben bunt durchgemischt quer durch alle Sprachen, die sie sprechen. Für sie steht es nicht zur Debatte, ob sie mehrsprachig schreiben, sie tun es einfach. In Gedichten von Kaser wurde Italienisch verwendet, wenn jemand auf eine fremde Situation getroffen ist. Heute wird das oft nicht mehr so stark getrennt. Die vielen Sprachen, die wir sprechen, fließen natürlicher in die mehrsprachige Lyrik ein.

Hast du ein Beispiel für mehrsprachige Lyrik, in der die Sprachen verschmelzen?
Josef Kostner ist ein ladinischsprachiger Autor, der das spannend hinbekommt. Die Ladiner schreiben grundsätzlich eher weniger mehrsprachig. Sie entscheiden sich oft für eine Sprache – deutsch oder italienisch – und bleiben dann dabei, wenn sie als Autorinnen oder Autoren für ein breites Publikum publizieren möchten. Die Zielgruppe ist bei den beiden anderen Landessprachen einfach größer als beim Ladinischen, das insgesamt ca. 40.000 Sprecherinnen und Sprecher weltweit hat. Kostner beschreibt im Gedicht „L‘ oma ladina“ (übers. „Die ladinische Mutter“), wie die Mutter des lyrischen Ichs sich von klein auf zwischen den Sprachen bewegt:

“L’oma ladina

(Josef Kostner: L’oma Ladina. In: Josef und Maria Luise Maurer (Hg): Ladinische Dichter. Calliano: Manfrini Editori 1993, S. 38)

Die verschiedenen Sprachen stellen eine Abfolge von Begriffen dar, die zusammengehören, aber irgendwie doch nicht. Das Gedicht stellt einerseits die Frage nach Zugehörigkeit, andererseits zeigt es aber auch, dass diese Frage ein Teil der ladinischen – und meiner Meinung nach auch der Südtiroler – Identität ist. Sehr bekannt ist auch das Gedicht „Alto adige, alto fragile“ von N.C. Kaser. Da geht es auch um die Frage nach Identität, wobei er ja auf die Kisten mit Weinflaschen anspielt, auf denen „alto fragile“ steht. Mit diesem Wortspiel zeigt er aber auch, wie zerbrechlich die Beziehung der Sprachgruppen zueinander ist, was er im Folgenden weiter ausführt. Der Umgang mit Mehrsprachigkeit ist bei Kaser zwar auch spielerisch, aber es fällt gerade in dem Gedicht anders ins Gewicht als bei Kostner.

„alto adige

reiseland durchgangsland niemandsland

Warum hast du dich auf Lyrik beschränkt?
Ich habe mich auf Lyrik konzentriert, weil ich damit gut eine große Menge an Texten relativ detailliert anschauen konnte – hätte ich mit Belletristik gearbeitet, hätte ich das nicht tun können. Klar sind auch Südtiroler Romane und Erzählungen mehrsprachig: Man denke zum Beispiel an „Die Walsche“ von Zoderer aber auch an „Eva dorme“ von Francesca Melandri. Da wird ganz selbstverständlich mehrsprachig geschrieben. Romane gehen mit Mehrsprachigkeit anders um als Gedichte. Lyrik hat viel mehr Freiheit. Sie eignet sich gut als Spielwiese für mehrsprachiges Schreiben, weil man eine sehr knappe Form hat, in der es sehr große Freiheit gibt.

Gehen verschiedene Sprachgruppen unterschiedlich mit der Mehrsprachigkeit um?
Pauschal kann ich das nicht sagen. Mir sind bei meiner Korpusanalyse aber einige Dinge aufgefallen. Deutschsprachige Autorinnen und Autoren mischen sehr viele Sprachen, dabei vorrangig Englisch, Italienisch, Französisch und den Südtiroler Dialekt. Daneben tauchen noch viele andere Sprachen auf, zum Beispiel Griechisch, Spanisch oder Ladinisch. Bei den italienischen Autorinnen und Autoren geht es genauso divers zu. Es kommen mehrsprachige Elemente aus anderen romanischen Sprachen vor, daneben Standarddeutsch, Englisch und Dialekt. Die Dialektlyrik arbeitet viel und hauptsächlich mit Standarddeutsch, Italienisch und Ladinisch. Bei den Ladinern stehen Standarddeutsch, Italienisch und der Dialekt im Vordergrund, also die Landessprachen. In meinem Korpus hatte ich nur eine kleine Zahl ladinischer Beispiele mehrsprachiger Lyrik. Bei denen ist mir aber aufgefallen, dass sie sehr stark mehrsprachig sind, also ganz viel mischen. Das sind die Tendenzen, die bei meinem Korpus aufgefallen sind. Es kann aber sein, dass man das alles in den nächsten Jahren wieder relativieren muss, weil andere Autorinnen und Autoren auftreten und wieder ganz anders schreiben.

Hast du auch berücksichtigt, welche Muttersprache die Autorinnen und Autoren sprechen?
Ich habe mir angeschaut, welche Muttersprache die Autorinnen und Autoren haben, aber mit der Sprachbiografie – also welche Sprachen sie wie gut können – habe ich mich nicht beschäftigt, auch wenn das sicherlich einen Einfluss hat. Mir geht es um die Sprachen, die in der Lyrik eingesetzt werden. Im Endeffekt ist es egal, wie gut jemand eine Sprache kann, solange sie verwendet wird. Es gibt aber einen Ansatz in der Literaturtheorie, der sich damit beschäftigt: Wie gut können Autorinnen und Autoren eine Sprache und wie wirkt sich das auf ihre Werke aus? Das wäre spannend näher zu erforschen, das hat bis jetzt kaum jemand in Südtirol gemacht.

Wie ordnet die Literaturtheorie eigentlich Mehrsprachigkeit ein?
In der Theorie gibt es zwei zentrale Strömungen: Zum einen die interkulturelle Literatur, zum anderen die Lyrikforschung. Bei der interkulturellen Literatur geht es um mehrsprachige Literatur generell, aber im Zentrum steht meistens Prosa. Wenn Lyrik vorkommt, dann eigentlich als Einzelfallstudie. Es gibt aber einen Autor, der in einem Essay propagiert, dass Lyrik prinzipiell mehrsprachig möglich ist. In der Lyrikforschung ist Mehrsprachigkeit kein großes Thema. Beide Bereiche haben zwar Anknüpfungspunkte, der Austausch besteht aber noch nicht wirklich. Es gibt auch nicht viele Forscherinnen und Forscher, die sich dezidiert mit mehrsprachiger Lyrik auseinandersetzen. Daneben gibt es dann bereichsübergreifende Theorien, die versuchen alles zu verbinden, aber die sind sehr weit von der Praxis entfernt. Ich habe in meiner Masterarbeit versucht, das alles zusammenzufassen. Und bin zum – möglicherweise banal klingenden – Schluss gekommen, dass es mehrsprachige Lyrik sehr wohl gibt und dass das auch theoretisch möglich ist. Ich habe das mittlerweile auch als Paper veröffentlichen können.

Was hat dich bei der Beschäftigung mit diesem Thema überrascht?
Am meisten hat mich beeindruckt, wie vielfältig Südtirol hinsichtlich der Mehrsprachigkeit ist. Ich habe viel zu Heimat, Konflikte zwischen den Sprachgruppen und Identitätsprobleme erwartet. Davon gab es auch viel, aber gleichzeitig gibt es auch so viel spielerische Mehrsprachigkeit, in der es um ganz andere Dinge, den Alltag geht. Es ist eine Faszination, die geblieben ist. Die mehrsprachige Lyrik zeigt, wie Menschen, die in derselben Stadt, in derselben Region wohnen, die Welt so unterschiedlich wahrnehmen können, so unterschiedlich darüber schreiben können und alles ist dennoch mehrsprachige Lyrik. Die Lyrik zeigt zumindest für mich außerdem, dass Südtirol sich wandelt.

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