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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 18.03.2015
LebenEin Besuch in Stilfs

Ein Dorf stirbt

Veröffentlicht
am 18.03.2015
Die Gemeinde Stilfs zählt nur mehr 1.160 Einwohner – vor allem die Jungen suchen das Weite. Wie sich ein Dorf gegen seinen Untergang stemmt.
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Siegfried Platzer steht inmitten seiner umgebauten Scheune. Von der Decke hängen getrocknete Pflanzen. Es duftet nach Kräutern und Blumen. Stolz zeigt er seine Trockenkammern – über und über gefüllt mit getrockneten Blüten –, den Lagerraum, in dem hüfthohe, gefüllte Papiersäcke stehen und die Verpackungskammer. Hier füllt seine Angestellte Paula die Kräuter in die verkaufsfertigen Säckchen. „Es ist eine Mordsarbeit“, sagt Platzer, der von allen nur Siegi genannt wird. Der 57-Jährige betreibt seit zehn Jahren zusammen mit seiner Lebensgefährtin Trudi eine BIO-Kräutermanufaktur. Eine zeitaufwändige Arbeit. Alle Kräuter pflanzen sie auf den steilen Hängen und pflücken sie von Hand.

„Es wäre in der Ebene sicher einfacher“, sagt Platzer im Vinschger Dialekt, mit dem typischen, rollenden „R“. „Aber wenn auch ich weggehe, gibt es hier wieder einen weniger.“ Mit hier meint Platzer Stilfs, sein Heimatdorf. Das kleine Vinschger Bergdorf auf 1.311 Höhenmetern ist terrassenförmig angelegt im steilen Hang. Es gehört zur Gemeinde Stilfs, zusammen mit den Fraktionen Stilfserjoch, Sulden, Trafoi, Gomagoi und Stilfserbrücke. Insgesamt zählt die 144 Quadratkilometer große Gemeinde 1.160 Einwohner. 1970 waren es im Vergleich noch 1.580. Die Gemeinde stirbt langsam aus. Aber warum gehen immer mehr Leute von hier weg? Es gebe keine Arbeitsmöglichkeiten, erklärt sich Platzer das Phänomen. Viele junge Leute ziehen ins Ausland, um zu studieren – manche kommen nicht wieder. Auch Liedermacher Dominik Plangger ist einer von denen, die es von hier wegzog. Schon mit 16 Jahren trieb es ihn von Stilfs nach Laas und von dort hinaus in die Welt: „Ich habe mir gedacht: Das ist mir hier viel zu steil und ich pass da nicht her. Kein Mensch versteht mich. Ich bin da so allein“, erklärte er kürzlich in einem Videointerview.

Einer der Gründe, dass Platzer geblieben ist: Er wolle den Jungen zeigen, dass man sich hier etwas aufbauen kann, wenn man durchhält und an seine Ideen glaubt. Und das hat Platzer getan. Nach 24 Jahren als Bankangestellter gab er seinen sicheren Job auf und baute sich in Stilfs eine neue Existenz auf. Heute läuft das Geschäft gut, er verkauft seine Kräuter- und Teemischungen bis nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz. Platzer will aber noch mehr, er will das Dorf beleben. 2009 rief er das Kulturfestival „Stilfs Vertikal” ins Leben, um den Ort aus seinem Dornröschenschlaf zu wecken: mit Kräuterführungen, Kneipp-Veranstaltungen, Volksliedern und Konzerten etwa. Bis zur letzten Ausgabe 2011 zeigte man damit, dass es aufwärts ging mit dem Dorf, in dem selbst die Hühner Steigeisen brauchen.

Siegfried (Siegi) Platzer – er versucht das Dorf zu beleben.

Gute Gene

Stilfs ist ein ruhiges Dorf. Einige ältere Leute spazieren mit Schubkarren durchs Dorf. Sie sind gefüllt mit Glas oder Pappe, denn heute ist Werkstoffsammlung. Eine Frau schaufelt den letzten Schnee von der Straße. Um elf Uhr am Vormittag hört man hier nur die Kinder der nahe gelegenen Grundschule, dazwischen Vogelgezwitscher. Das liegt vor allem daran, dass es im Dorf keinen Durchzugsverkehr gibt. Durch die schmalen Straßen passen ab einem gewissen Punkt keine Fahrzeuge mehr. Ein Vorteil für die Wohnqualität, denn hier können die Kinder auf den Straßen spielen. Aber auch ein großer Nachteil: Das Weiße Kreuz kommt nicht bis zu jedem Haus und das nächste Krankenhaus ist in Schlanders – viel Zeit also, die da im Ernstfall verloren geht.

„Man darf sich eben nicht wehtun“, sagt Edmund Schöpf und lacht. Der 58-Jährige ist der einzige Malermeister in Stilfs. Neben ihm gibt es noch einen Elektriker, eine Tischlerei und ein paar Fliesenleger. Mehr nicht. Sein jüngerer Sohn, 24, hat Glück. Er kann im Dorf bleiben, ist in den Betrieb seines Vaters eingestiegen und wird ihn später weiterführen. „Viele junge Leute, die keinen Betrieb übernehmen können, gehen von hier weg“, sagt Schöpf. So auch sein älterer Sohn, der in der Schweiz arbeitet.

Edmund Schöpf – er ist der einzige Malermeister im Dorf.

Viele Stilfser wandern ab, Zugezogene gibt es hingegen kaum. Diesen Umstand macht sich eine Gruppe von Genforschern der Europäischen Akademie (Eurac) zunutze. In abgelegenen Dörfern wie Stilfs, sogenannten Mikroisolaten, gab es im Laufe der letzten Jahrhunderte nur wenige genetische Veränderungen. Erbmaterial und Lebensbedingungen sind verhältnismäßig gleich geblieben. Ideale Bedingungen, um das Zusammenwirken von Genen und der Umwelt zu studieren und daraus Erkenntnisse für die Medizin zu ziehen. In Stilfs liegt der Forschungschwerpunkt unter anderem auf der Parkisonerkrankung. Auch Schöpfs Mutter war eine der Probandinnen, deren Genproben die Wissenschaftler dafür untersuchen. Wie der Großteil der Bevölkerung stammt sie von den rund zehn bis 15 Gründerfamilien ab, die es in Stilfs gibt. Viele von ihnen sind in den vergangenen Jahrhunderten weggezogen. Heute stehen ihre Häuser leer, zum Verkauf. „Das Haus dort oben ist für 15.000 Euro zu verkaufen“, sagt Schöpf. Aber nur, wenn man darin wohnt, nicht, um es zu vermieten. Schließlich soll das Dorf bewohnt bleiben. „Ich gehe sicher nicht, mir gefällt es hier am besten“, sagt er und lacht.

Uralte Bräuche und Wirtshausgespräche

Auch wenn immer mehr Leute wegziehen, in mancher Hinsicht ist Stilfs ein typisches Südtiroler Dorf: Eine Gruppe von Männern trifft sich auch hier vormittags in der Bar des neu umgebauten Hotels Sonne bei einem Glas Wein und alten Geschichten. Es riecht nach Kaffee und neuem Holz. Wirt Helmut erzählt, das Geschäft mit den Touristen laufe gut. Derweil geht der Juniorchef mit der Weinflasche von Tisch zu Tisch und schenkt nach. Auch der Pfarrer gönnt sich ein Glas.

Im Gasthaus des Hotels Sonne – wie in vielen Dörfern trifft man auch hier vormittags die Männer bei einem Glas Wein an.

Die Männer erzählen von den Bräuchen im Dorf, die Jahrhunderte zurückreichen und von den Jungen weitergetragen werden. Roland Angerer, pensionierter Lehrer, sei derjenige im Dorf, der sich vor allem für die Weiterführung der Bräuche einsetzt. Da gibt es das Scheibenschlagen zu Fasching: Handgefertigte Zirbenscheiben werden im Feuer zum Glühen gebracht und über das Trafoital geschleudert, oder das Pflugziehen, das alle zwei Jahre zu Fasching stattfindet. Dabei wird ein Pflug durch das Dorf gezogen, Gruppen tragen ungewöhnlich maskiert ein Streitspiel vor. Am wichtigsten ist für die Stilfser aber der große Krampusumzug – das „Klosen“. Es ist der wohl bunteste Krampusumzug des Landes und ein Pflichttermin für die Stilfser Burschen. Sie laufen in bunten Kleidern, mit Stoffmasken mit roter Zunge und schweren Kuhglocken durchs Dorf. „Vom Dorfeingang bis zum Kirchplatz. Bis sie da sind, sind sie besoffen“, sagt der Pfarrer und alle lachen. Dann lädt er uns zum Kaffee ein.

Von Rettungsmaßnahmen

Auch hier im Gasthaus sagt man, es liege vor allem an den fehlenden Arbeitsplätzen, dass immer mehr junge Leute wegziehen. Das bestätigt auch Bürgermeister Hartwig Tschenett: „Die meisten Einwohner arbeiten auswärts.“ In Sulden gäbe es zwar jede Menge Arbeitsplätze, aber viele Einheimische würden nicht gerne im Gastgewerbe arbeiten. „In der Hochsaison gibt es dort bis zu 500 ausländische Arbeiter“, so Tschenett. Auch ein Grund für die Abwanderung: „Es ist wahnsinnig schwierig, im Altdorf zu bauen.“ Man komme mit den Baumaschinen nicht ins Dorf, die Materialien müssten auf der Brücke zur Dorfeinfahrt entleert werden.

Bürgermeister Hartwig Tschenett

Der Gemeinderat versucht der Abwanderung mit verschiedenen Projekten entgegenzuwirken. So soll das Altdorf saniert und eine neue Bauzone zugewiesen werden – dort, wo man mit dem Auto besser hinkommt. Es ist ein Dilemma: Die Jungen wollen in der neuen Zone bauen, doch wenn niemand ins Altdorf zieht, wird es langsam aber sicher zerfallen. Es ist eine Herausforderung, vor der Gemeinderat und Bürgermeister Tschenett da stehen.

Auch das Projekt „Assistenzplattform“ ist in Planung, um Frauen nach der Mutterschaft den Einstieg ins Arbeitsleben zu erleichtern. Sie sollen ältere Bewohner, von denen es hier viele gibt, ein paar Stunden täglich begleiten: beim Arztbesuch oder beim Einkauf etwa. Für die Jugendlichen im Ort hat man ein modernes Jugendzentrum geschaffen. Und die Bewohner von Stilfs versuchen ihrerseits, das Dorf zu beleben. Mit „Stilfs Vertikal” ist das schon einmal gelungen. „Das Festival wird irgendwann sicher wieder organisiert”, sagt Platzer. Noch sind in Stilfs also nicht alle Lichter ausgegangen.

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