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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 19.06.2014
LebenGewalt im Alltag

Druck und Explosion

Veröffentlicht
am 19.06.2014
Sie schlugen ihre Partnerin und wurden vor den Augen ihrer Kinder handgreiflich. Zwei Gewalttäter über Extremsituationen und den Weg in ein normales Leben.
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Hannes* ist wieder einmal voller Hass. Der junge Mann merkt, wie sich in ihm ein extremer Druck aufbaut. Der Streit mit seiner Freundin droht zu eskalieren. Hannes müsste schon längst auf dem Weg zur Arbeit sein, aber seine Freundin stellt sich ihm in den Weg. Dass er heute im Dorf seiner Exfreundin arbeiten muss, ist der jungen Mutter zu viel. Sie ist sehr temperamentvoll und eifersüchtig. Die beiden streiten sich häufig. In der Vergangenheit hat er sie in ähnlichen Situationen schon oft geschubst oder in einen Raum gesperrt. Aber das kann er nicht mehr, sie hat alle Türgriffe der Wohnung entfernt. Hannes fühlt sich bedrängt. Er muss sich abreagieren, den Druck abbauen. Das kann er nur, wenn er etwas kaputt schlägt. In der Wohnung des Paares sind schon etliche Türen und Möbel kaputt gegangen. Hannes weiß: Wenn seine Freundin nicht bald zur Seite geht, passiert etwas. Dann schlägt er zu. Zum ersten Mal hat er sie geschlagen, als sie schwanger war. Später schlug sie zurück. Gewalt in den eigenen vier Wänden gehört seither zum Alltag.

„Ich habe mich nie als aggressiv empfunden“

Das war vor zwei Jahren. Heute sitzt er auf der Terrasse eines Cafés in Bozen und spricht offen über seine Vergangenheit. „Wenn ich mich nicht abreagieren konnte, indem ich etwas kaputt geschlagen habe, hat es meine Freundin abgekriegt“, erzählt Hannes. Erst als wieder einmal ein Streit eskalierte, auf der Autobahn bei 130 Stundenkilometern, mit dem Sohn seiner Freundin aus einer früheren Beziehung und seiner kleinen Tochter auf dem Rücksitz, wird dem Familienvater klar, dass es so nicht mehr weitergehen kann. „Ich habe sie überredet, gemeinsam zur Psychologin zu gehen“, sagt er.
Seine Vergangenheit sieht man dem 33-Jährigen nicht an. Der Bozner ist modisch gekleidet, wirkt nett und ist höflich. Hannes ist einer von 7% jener gewalttätigen Männer, die vom Psychologen zum Anti-Gewalt-Training geschickt werden. 30% nehmen spontan daran teil, 63% werden vom Gericht geschickt, um Partnerin und Kinder zu schützen.

„Die Folgen von aggressivem Verhalten innerhalb der Familie sind schwerwiegend“, so Artur Obexer. Gemeinsam mit Sonja Fischnaller leitet der Psychologe und Psychotherapeut das Training der Caritas Männerberatung, in dem Männer lernen, in Konfliktsituationen nicht mehr mit Gewalt zu reagieren. Sie lernen die Folgen und die Zusammenhänge wahrzunehmen. Zuerst aber müssen die Männer überhaupt erkennen, aggressives Potential zu haben.
„Ich habe mich vorher nie als aggressiv empfunden“, sagt Hannes, obwohl er bereits in der Volksschule auffällig war. Laut Obexer ist die Geschichte von Hannes kein Einzelfall. Mit Gewalt erreichen Männer Macht und Kontrolle. Oft sind sie sich nicht bewusst darüber, wie sehr sie ihre Partnerin verletzen, weiß der Psychologe.

Vor den Augen seiner Tochter

Auch der 41-jährige Stefan* hat im letzten Jahr mit insgesamt 30 Männern am Anti-Gewalt-Training teilgenommen. Auch er schlug seine Frau und auch er beschreibt den Druck, den er damals verspürte. Der sich so lange aufbaut, bis er explodiert. „Ein großer Teil der Kontrolle ist weg, man will sich einfach nur abreagieren“, sagt der Bozner.

An einem Abend artete die Situation aus: Es ist spät, wieder einmal gibt es zwischen Stefan und seiner Ehefrau eine heftige Auseinandersetzung. Eigentlich wäre es jetzt an der Zeit, ihre kleine Tochter ins Bett zu bringen, aber daran denken die beiden nicht, sie sind zu sehr damit beschäftigt, zu streiten. „Ich bin ausgerastet, es ist zu Handgreiflichkeiten gekommen“, gibt der Mann heute zu. Er verletzt sich an seiner Hand, als er sich mit den Fäusten an der Tür abreagiert. Seine Tochter sieht die ganze Zeit zu. „In dem Moment realisiert man, was man gemacht hat und hat Angst vor sich selber“, erklärt er.

Die Polizei schreitet ein, der Familienvater kommt ins Krankenhaus. Dort diagnostizieren die Ärzte eine schwere Depression. „Ab diesem Tag ging es aufwärts“, sagt Stefan. Er kam nach drei Wochen Krankenhausaufenthalt für acht Wochen in die Psychiatrie. Durch Zufall sah er einen Flyer des Anti-Gewalt-Trainings und ging jeden Montagabend nach der Arbeit hin. Dort lernte er, durch Einsicht Verantwortung für sein Verhalten zu übernehmen. „Das ist ein Meilenstein für einen konstruktiven Dialog“, sagt Obexer. Gewalttätige Männer müssen verstehen, in welchen Situationen es zur Eskalation kommt. Sie müssen die Signale kennenlernen, die ihnen aufzeigen, in welcher Stufe sie sich befinden, um aggressiven Konflikten entgegenzuwirken.
Auch Stefan hat gelernt, sachlich zu bleiben. Er kann heute über seine Gefühle offen sprechen. „Aus Gewalt entsteht Gewalt, besonders, wenn es die Eltern vorleben“, sagt Stefan. Davor, dass seine sechsjährige Tochter Konflikte auch mal mit Gewalt lösen wird, hat er große Angst. Mittlerweile hat er sich von seiner Frau getrennt und kämpft um sein Besuchsrecht.

Angst vor der Zukunft

Obexer arbeitet im Anti-Gewalt-Training auch mit verschiedenen Zentren und Beratungsstellen für Frauen zusammen. Es schließt die Betreuung und Unterstützung der Partnerin mit ein. Für das Projekt sei es sehr wichtig, gemeinsam gegen Gewalt vorzugehen, um aus dem Täter-Opfer-Kreislauf auszusteigen, so Psychologe Obexer. Stefan würde sich wünschen, dass noch mehr gemacht wird. Seiner Meinung nach sollte es auch ein Gewalttraining für Frauen geben, um den Partner besser einschätzen zu können und um zu verstehen, warum es zu Gewalt kommt. „Ich glaube, das würde vielen Frauen helfen, wenn es zu extremen Situationen kommt“, sagt er.

Bis heute ist Stefan nicht rückfällig geworden. Auch Hannes hat gelernt zu reagieren, ohne gewalttätig zu werden. Während er die Männergruppe besuchte, machte seine Freundin parallel eine Nebentherapie mit Fischnaller. „Das war sehr wichtig“, sagt Hannes. So habe sie gelernt, wann sie ihn zu sehr einengt und sich zurücknehmen muss. Alleine hätten sie es nicht geschafft, sagt er. Beide Männer empfehlen das Anti-Gewalt-Training allen Männern, die auch nur aggressives und nervöses Verhalten zeigen.
Hannes will ein Haus bauen und heiraten. Obwohl er seiner Freundin gegenüber nicht mehr handgreiflich geworden ist, klappt es im Alltag noch nicht immer, gibt er zu. Er hat ständig Angst, dass auch zu Hause wieder etwas passiert. Aber er wird weiter an sich und seiner Beziehung arbeiten und die drei Kinder ohne Gewalt erziehen. „Ich hoffe, dass sie nie so aggressiv werden wie die Mama und der Tata.“

*Name von der Redaktion geändert.

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