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Kurt Gritsch
Veröffentlicht
am 28.08.2023
Leben70 Jahre nach dem Ende des Korea-Kriegs

Die Verantwortungsfrage: Wer wollte den Krieg in Korea?

Veröffentlicht
am 28.08.2023
Der letzte Teil einer vierteiligen Artikelreihe des Zeithistorikers Kurt Gritsch.
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Teil 4

Regionale und internationale Konfliktlinien

„The attack upon Korea makes it plain beyond all doubt that communism has passed beyond the use of subversion to conquer independent nations and will now use armed invasion and war.“[1] (Harry S. Truman)

„It would be much better if the North Korean government launched an all-out attack against the South in the first half of 1950 […] If necessary, we can stealthily put in Chinese soldiers for you. […] They [the USA] will not notice.“[2] (Mao Zedong)

Die Forschung zum Korea-Krieg nahm nach dem Ende des Kalten Krieges nochmals Fahrt auf: In einer Bücherbesprechung im Journal of Contemporary History geht Jeffrey Grey allein auf 18 Fachbücher ein, die dazu zwischen 1998 und 2002 veröffentlicht oder neu aufgelegt wurden,[3] wobei sich auffallend viele Publikationen mit der Rolle Chinas oder der chinesischen und nordkoreanischen Soldaten sowie mit Kriegsgefangenen beschäftigten.[4] Seit damals sind noch Publikationen dazugekommen, die manchmal als Überblicksdarstellung konzipiert sind,[5] sich aber meistens mit weiteren Teilaspekten oder bereits mit der Erinnerungskultur auseinandersetzen.[6]

Neuere Ansätze erklären die Entwicklung des Krieges als ein Ergebnis konfliktreicher Interaktion zwischen verschiedenen Regierungen, die nach eigenem Verständnis nur auf die jeweilige Gegenseite reagierten, sich dabei aber aufgrund vieler Missverständnisse in der Wahl ihrer Mittel gegenseitig hochschaukelten: Die USA intervenierten über die UNO zuerst, um die Herrschaft von Syng-man Rhee wiederherzustellen, und gingen dann vom Containment zu einem Rollback-Krieg über.[7] Aber auch China, das einen Krieg mit den Vereinigten Staaten früher oder später für unvermeidlich hielt, begann mit der Verteidigung Nordkoreas, das als eigene Einflusssphäre betrachtet wurde, und ging dann dazu über, die USA möglichst von der koreanischen Halbinsel zu vertreiben. Entsprechend war das Ergebnis ein Massentöten.[8] Von seinem Ursprung her war der Korea-Krieg ein Bürgerkrieg, in seiner Entwicklung wurde er zum internationalen Krieg mit Stellvertretercharakter.[9]

Der Hauptgrund für den Ausbruch des Korea-Krieges lässt sich, auch gestützt auf Quellen aus Archiven in China[10] und Russland,[11] damit beschreiben, dass sich sowohl Syng-man Rhee im Süden als auch Kim Il-sung im Norden als Vertretung des ganzen Landes definierte und deshalb eine rasche Wiedervereinigung mit militärischer Gewalt anstrebte. Analog zum chinesischen Bürgerkrieg wollten auch in Korea beide Seiten den Konflikt mit militärischer Gewalt für sich entscheiden.

Kim II-sung

Kim Il-sung hatte gerade erst die Volksrepublik gegründet, ein Sieg des Südens hätte sein politisches Ende bedeutet. Aber auch ohne Wiedervereinigung hätte ein erstarktes demokratisches (faktisch autoritär regiertes) und wirtschaftsliberales Südkorea weiterhin Einfluss auf den Norden genommen. Und wie Kim hätte auch Syng-man Rhee von einem Sieg im Bürgerkrieg profitiert, weshalb er den Norden mit seiner explizit antikommunistischen Politik immer wieder provozierte und auch Grenzzwischenfälle auslöste.[12] War der Norden dem Süden bloß zuvorgekommen mit seinen Plänen für eine „Wiedervereinigung Koreas um jeden Preis“?[13] Rhee war innenpolitisch unter Druck, „bei den Parlamentswahlen im Mai hatte er trotz massivster Fälschungen nur 47 von 210 Sitzen errungen“,[14] und ein erfolgreicher Krieg gegen Nordkorea hätte seine Position wieder gefestigt, während eine Niederlage zum Eingreifen der USA geführt hätte.[15]

Auf der Gegenseite herrschte zwischen der UdSSR und China, insbesondere zwischen Stalin und Mao, ein auf Konkurrenzdenken[16] basierendes Klima gegenseitigen Misstrauens.[17] Aus diesem Grund gab es auch keine Einigkeit über das Vorgehen in Korea. Während der Traditionalismus Beijing eine Mitverantwortung am Krieg zuschrieb, ging der Revisionismus davon aus, dass China nichts mit Pjöngjangs Kriegsvorbereitungen zu tun hatte und von den Ereignissen ähnlich überrascht worden sei wie die USA.[18] Der Postrevisionismus schrieb der chinesischen Regierung zwar eine Mitverantwortung für die Eskalation zu, bescheinigte ihr aber zugleich noch, „keinen leichtfertigen ‚Abenteuerkurs‘“[19] gesteuert zu haben. Jüngere Darstellungen relativieren diese Sicht inzwischen, denn Mao dürfte Kim nicht nur zur Invasion Südkoreas ermutigt haben, sondern auch die Unterstützung chinesischer Truppen schon 1949 angeboten haben.[20]

Kim Il-sung, der den Angriff auf Südkorea zur Machtsicherung wollte, spielte allem Anschein nach Stalin und Mao gegeneinander aus.[21] Denn Stalin hatte noch im März 1949 aus Sorge um eine offene Konfrontation mit den USA Kims Plänen einer Invasion des Südens eine Absage erteilt. Mao hingegen, an den sich Kim daraufhin wandte, unterstütze einen nordkoreanischen Krieg zur Einigung der Halbinsel.[22] Er nahm auch einen Krieg mit den USA in Kauf, auch wenn er seine Soldaten als nordkoreanische Truppen tarnen wollte, da er davon ausging, dass die USA den Unterschied zwischen Koreanern und Chinesen nicht erkennen würden.[23] So hatte Beijing schon Anfang Juli 1950 mit den Vorbereitungen einer Intervention begonnen, und die Ausweitung des Krieges durch die UN-Truppen auf nordkoreanischen Boden gab letzten Endes den Ausschlag für das Eingreifen.[24]

Der Krieg befeuert die Rüstungsspirale

Der Korea-Konflikt eskalierte nicht nur militärisch, sondern führte auch zu einer gigantischen Aufrüstung. Innerhalb von drei Jahren verdreifachten die USA ihre Verteidigungsausgaben von 59,8 Mrd. Dollar im Jahr 1950 auf 189,2 Mrd. Dollar im Jahr 1953.[25] Nach Kriegsende sank die Zahl nur mehr leicht auf 143,4 Mrd. US-Dollar im Jahre 1955, und es sollte bis 1967 dauern, ehe die Militärausgaben aus der Zeit des Korea-Krieges übertroffen würden.[26] Die Militärausgaben der Sowjetunion sind weniger gut belegt, sie dürften eine gewaltige Höhe von 15 bis 20 Prozent des BIP erreicht haben.[27] Während unter Historikerinnen und Historikern Einigkeit darin herrscht, dass der Korea-Krieg in den USA zum NSC-68-Programm führte und eine Rüstungsspirale in Gang setzte, ist umstritten, ob dieses Wettrüsten auch für den späteren Kollaps der UdSSR hauptverantwortlich war.[28]

Daneben erhielten die Wiederbewaffnung Deutschlands[29] und Japans[30] und die Integration der beiden Verlierer des Zweiten Weltkriegs in das westliche Bündnissystem einen wesentlichen Schub. Die Planspiele dazu waren allerdings bereits vor der nordkoreanischen Aggression entstanden – u. a. geht eine Studie des NSC-68 vom April 1950 bereits auf die deutsche Wiederbewaffnung ein.[31] Der Kalte Krieg dominierte zu diesem Zeitpunkt schon das strategische Denken der Beteiligten, die Ereignisse in Korea beschleunigten auch zum Teil bereits eingesetzte Prozesse. Die weltpolitischen Folgen des Korea-Kriegs gingen jedoch noch weit darüber hinaus.[32]


[1] Harry S. Truman, Statement by the President on the Situation in Korea, 27.6.1950, online by Gerhard Peters and John T. Woolley, The American Presidency Project, zit. nach https://www.presidency.ucsb.edu/documents/statement-the-president-the-situation-korea, 22.8.2020.

[2] Chang / Halliday, Mao, S. 436.

[3] Jeffrey Grey, Review: The Korean War, in: Journal of Contemporary History 39/4 (2004), S. 667-676.

[4] Zu den erwähnten Büchern gehören u. a. Robert L. Bateman, No Gun Ri: A Military History of the Korean War Incident, Mechanicsburg 2002; John R. Bruning, Crimson Sky: The Air Battle for Korea, Brassey’s 1999; Lewis H. Carlson, Remembered Prisoners of a Forgotten War: An Oral History of Korean War POWs, New York 2002; Conrad C. Crane, American Airpower Strategy in Korea 1950-1953, Lawrence 2000; Cyril Cunningham, No Mercy, No Leniency: Communist Mistreatment of British and Allied Prisoners of War in Korea, Barnsley 2000; William M. Donnelly, Under Army Orders: The Army National Guard during the Korean War, College Station 2000; Michael E. Haas, In the Devil’s Shadow: UN Special Operations during the Korean War, Naval Institute Press 2000; Michael Hickey, The Korean War: The West Confronts Communism 1950-1953, London 1999; Raymond B. Lech, The Korean War, Champaign 2000; Xiaobing Li / Allan R. Millett / Bin Yu, Mao’s Generals Remember Korea, Lawrence 2001; Peter Lowe, The Korean War, London / New York 2000 (Reprint der 2. Auflage 1997; Erstauflage 1986); Kevin Mahoney, Formidable Enemies: The North Korean and Chinese Soldier in the Korean War, New York 2001; Milliken, The Social Construction of the Korean War; Harry Spiller, American POWs in Korea: Sixteen Personal Accounts, Jefferson 1998; Spencer C. Tucker, Encyclopedia of the Korean War: A Political, Social and Military History, Santa Barbara 2000; Brent Byron Watson, Far Eastern Tour: The Canadian Infantry in Korea 1950-1953, Montreal 2002; Charles Whiting, Battleground Korea: The British in Korea, Sutton Publishing 1999; Xiaoming Zhang, Red Wings over the Yalu: China, the Soviet Union and the Air War in Korea, College Station 2002.

[5] Vgl. z. B. das militärische Aspekte fokussierende, 2014 wieder aufgelegte Buch von Sandler, The Korean War; Kleßmann / Stöver (Hg.). Der Koreakrieg; James Lee Longsoo, The Partition of Korea after World War II. A Global History, Basingstoke 2006; Stueck, Rethinking the Korean War; Lowe, The origins of the Korean War; Bruce Cumings, The Korean war: A History, New York 2010; Lee, The Korean War.

[6] Vgl. dazu den Sammelband von Kleßmann / Stöver (Hg.), Der Koreakrieg: Wahrnehmung-Wirkung-Erinnerung, Köln / Weimar 2008.

[7] Milliken, The Social Construction of the Korean War, S. 2.

[8] Ebd., S. 1.

[9] Vgl. Chen Jian, China’s road to the Korean War: The making of the Sino-American confrontation, New York 1994, S. X.

[10] Vgl. Yufan / Zhihai. China’s Decision to Enter the Korean War, S. 94-115. Erste Quellen wurden schon Mitte der 1980-er Jahre publiziert, vgl. Bernd Bonwetsch / Peter Kuhfus, Neue Quellen zum Eintritt Chinas in den Koreakrieg (Juni-Oktober 1950), in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 34/2 (1986), S. 269-289.

[11] Milliken, The Social Construction of the Korean War, S. 3.

[12] Vgl. M. Park, The ‘American boundary’, provocation, and the outbreak of the Korean War, Social Science Japan Journal, Volume 1, Issue 1, April 1998, S. 31–56, https://doi.org/10.1093/ssjj/1.1.31, 22.8.2020.

[13] Steininger, Die USA und der Korea-Krieg, S. 46.

[14] Ebd.

[15] Ebd.

[16] Bonwetsch / Kuhfus, Die Sowjetunion, China und der Koreakrieg, S. 29.

[17] Vgl. Goncharov / Lewis / Litai, Uncertain Partners, S. 221.

[18] Vgl. Wilfried Bartel, Chinas Eintritt in den Korea-Krieg 1950: Aggression oder Provokation?, in: Vereinte Nationen 20, 3/1972, S. 87-93, S. 87.

[19] Bonwetsch / Kuhfus, Die Sowjetunion, China und der Koreakrieg, S. 87.

[20] Chang / Halliday, Mao, S. 436.

[21] Ebd., S. 437.

[22] Vgl. Jian, China’s road to the Korean War, S. X.

[23] Chang / Halliday, Mao, S. 436.

[24] Vgl. Milliken, The Social Construction of the Korean War, S. 111-122. So auch Jian, China’s road to the Korean War, S. 138f.

[25] Vgl. Robert Higgs, U.S. Military Spending in the Cold War Era: Opportunity Costs, Foreign Crises, and domestic Constraints, in: Polica Analysis No. 114, 30.9.1988, zit. nach https://www.sas.upenn.edu/~dludden/USmilitarybudget02a.htm, 22.8.2020. Görtemaker geht von beinahe einer Vervierfachung des Budgets aus, nennt aber mit 12,5 Mrd. 1950 und 48,2 Mrd. 1953 wesentlich niedrigere Zahlen als Higgs. Vgl. Görtemaker, Zwang zur Koexistenz, bpb, 9.7.2004.

[26] Vgl. Higgs, U.S. Military Spending in the Cold War Era.

[27] Vgl. José Luis Ricón, The Soviet Union: Military Spending, Nintil (2016-05-31), zit. nach https://nintil.com/the-soviet-union-military-spending/, 22.8.2020.

[28] Vgl. Ernest R. May (Hg.), American Cold War Strategy: Interpreting NSC-68, Boston 1993. Andere Autoren stehen der Überrüstungsthese kritisch gegenüber, vgl. Alan P. Dobson, The Reagan administration, economic warfare, and starting to close down the Cold War, in: Diplomatic History 29(3) 2005, S. 531-556.

[29] Vgl. Görtemaker, Zwang zur Koexistenz, bpb, 9.7.2004.

[30] Vgl. Lee, The Korean War, S. 102.

[31] Vgl. Günther Mai, Westliche Sicherheitspolitik im Kalten Krieg: der Korea-Krieg und die deutsche Wiederbewaffnung 1950, Vol. 4. Boldt, 1977.

[32] Vgl. Lee, The Korean War, bes. S. 98-110.

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