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Vera Mair am Tinkhof
Veröffentlicht
am 17.09.2013
Leben

Die Smartphone-Heimat

Veröffentlicht
am 17.09.2013
Unsere Social-Media-Accounts als Sammelsurium vergangener Begegnungen: In ewiger Verbundenheit im Onlinekosmos?
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Es soll ja eine Zeit gegeben haben, in der man unliebsamen Menschen aus dem Weg gehen konnte. Und dann kam Facebook.

In diesem Artikel für das New York Magazine zeichnet Maureen O´Connor ein Portrait der Seele der Social Media-Generation und zeigt ein Problem auf, dessen Kernthese sie so formuliert: „Cutting ties is no longer that easy“ – Alles hinter sich zu lassen, sei heute nicht mehr so einfach.

Sie stellt die zentrale Frage: Können wir, zwischen Facebook und Twitter und omnipräsenter Onlinepräsenz, überhaupt noch Schluss machen mit Vergangenem, wo doch alle unsere Bekanntschaften (auch die längst abgelegten) nur einen Klick entfernt sind? Wir bündeln in einem Account unsere soziokulturelle DNA und allen emotionalen Altballast vergangener Beziehungen – alles stets in Reichweite, was uns einst mal was bedeutet hat. Social Media macht unsere Vergangenheit und jeden, der darin mal eine Rolle gespielt hat, in jedem Moment omnipräsent.

Während ihr diesen Text hier lest, habt ihr im anderen Tab vermutlich Facebook offen und kriegt in Echtzeit alles mit, womit andere so ihren Tag verbringen: Ihr wisst, wer gerade müde ist weil er gestern gefeiert hat, ihr wisst, wer wo mit wem eben ihm Urlaub ist, wer am Wochenende welchen Berg zum dritten Mal bestiegen hat. Man verfolgt den Werdegang der anderen weiter, kleine Voyeure die wir alle sind, und mit jedem Like spielen wir auch noch eine kleine Rolle dabei. Mit unserer Anteilnahme am Leben der anderen halten wir die Tür zu diesen immer ein klein wenig offen. „We never shut the door on anything“, heißt es im Artikel, und das mag wahr sein.

Wir sind konstant involviert in anderer Tun und Handeln – auch da, wo man es eigentlich doch nie so genau wissen wollte. Früher waren Bekanntschaften Fußnoten im sozialen Lebenlauf, hier ein Wort, da ein Wort, vielleicht auf Nimmerwiedersehen. Jetzt, mit der belanglosen Frage nach dem Facebook-Namen, macht man diese biografischen Eintagsfliegen zu einem permanenten Teil seines Onlinekosmos. Wo man sonst ein nettes Gespräch nach dem letzten Wort abhakte und ablegte unter ferner liefen, entdeckt man heute beim Betrachten des Profils einen Menschen mit Freunden und Hobbys und zwanzig Reisen auf dem Buckel. Man sieht, wo er vor zwei Jahren mit wem im Urlaub war, oder dass er auf dem gleichen Festival war wie wir, und dass er anscheinend einmal jährlich ganz heftig feiert. Und so werden aus den Schatten der Begegnungen runde Existenzen.

Hat man sie erst mal reingeholt in sein virtuelles Wohnzimmer, ist jede unserer Bekanntschaften stets nur einen Klick entfernt. Auch verflossene Lieben, ehemalige Freundschaften – alles da. Dann sitzt man vor dem PC und die Geister der Vergangenheit schwirren um einen rum, wenn man sie nur ruft. Während man sich früher alle Jahre wieder mal sah, bleibt man nun als stiller Beobachter in Echtzeit auf dem Laufenden. So wird man Zeuge der vielen „living, shifting digital portraits of roads not taken with partners you did not keep", wie O´Connor das nennt. (Bescheidener Übersetzungsversuch: Lebende digitale Porträts von Straßen, die du nicht genommen hast, mit Partnern, die du zurückgelassen hast.)

In manchen Momenten kann das traurig oder nostalgisch machen – dann wiederum, einen auch wieder in seiner Entscheidung bestätigen. Ich fragte kürzlich eine Freundin, ob sie ihren Ex von vor drei Jahren nochmal wiedergesehen hätte. Nein, meinte sie, aber neulich benutzte sie den Facebook-Account ihrer Mitbewohnerin (sie selbst verweigert sich mit beneidenswerter Inkonsequenz dem sozialen Netzwerk), und guckte sich an, was denn der gute Mann jetzt so macht. Die Bilanz war enttäuschend, und damit eine große Erleichterung für sie: Alles, was ihn für sie mal spannend gemacht hätte, sei nun weg, so ihr Fazit. Sein Leben, das nichts mehr mit dem zu tun hatte, das er und sie sich zusammen erträumt hatten und für ein gutes hielten, die Pauschalurlaube, über die er zu ihrer Zeit nur gelacht hätte, die Kleidung, die fünf Kilo mehr auf den Hüften, der Nine-to-five-Job – er sei nicht mehr der, den sie mal gekannt hatte. Das machte es nun einfach für sie. Abstand und Unwissenheit können Menschen verklären, zu etwas, das sie nicht (mehr) sind. Facebook, Twitter und Co. dagegen lassen keine Fragen offen. Unsere Onlinepräsenz raubt uns jede Romantik, weil es keine Geheimnisse mehr gibt.

Mad Men, die hochgelobte Serie über die New Yorker Werbewelt der 60er-Jahre, baut seine Dramaturgie auf der Geschichte eines Mannes auf, der seine Identität hinter sich gelassen hat, um zu dem werden zu können, der er werden wollte: Aus dem Farmersjunge Dick Whitman wurde der Weltmann Don Draper. Die Serie spielt 50 Jahre vor unserer Zeit und mit aller Nostalgie, die technologieverdrossene Zeitgenossen für eine Ära aufbringen können, in der man in jedem Moment nichts weiter war als sein eigener Momentanentwurf und nicht die Summe all seiner vergangenen Social Media-Posts und Facebook-Fotos.

Den Gegenentwurf präsentiert die PR-Strategie für einen deutschen Tarifanbieter: Im Werbespot für einen Handyvertrag feiert ein Mädchen an einem Strand, ganz offensichtlich in weiter Fremde, und dann klingelt das Handy und What's App verlangt nach ihr, und das Herz geht ihr auf. Mit einem Klick fühlt sie sich daheim. „Home is where the heart is", sagte man mal. Zu Hause ist heute, wo dein Smartphone ist. Dort läuft alles zusammen, alle Freunde, ehemals Geliebten und flüchtigen Bekanntschaften. Alles gut, solang der Akku hält.

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