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Veröffentlicht
am 25.04.2018
LebenProjekt Promemoria Auschwitz

Die Reise beginnt jetzt

Veröffentlicht
am 25.04.2018
Im Rahmen von „Promemoria Auschwitz“ reisen Jugendliche nach Polen und setzen sich mit den NS-Verbrechen auseinander. Zwei Teilnehmer erzählen.
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„Die Reise der Erinnerung“ – so nennt sich das grenzüberschreitende Bildungsprojekt Promemoria Auschwitz auch. Doch es ist viel mehr als nur eine Reise in die Vergangenheit, auf der sich Jugendliche unterschiedlicher Sprachgruppen und kultureller Herkunft der gemeinsamen Geschichte nähern. Die wichtigste Station des Projekts ist die sechstägige Fahrt nach Polen. Dort besichtigten wir Jugendliche das jüdische Ghetto, die Fabrik von Oskar Schindler in Kraków und das KZ Auschwitz-Birkenau und verknüpften die Vorkomnisse des Zweiten Weltkrieges mit den Geschehnissen der Gegenwart.

Unsere eigentliche Reise begann aber schon sehr viel früher, noch im Jahr 2017. Nach Abgabe eines Motivationsschreibens lernten wir Teilnehmer uns kennen. Gemeinsam machten wir uns mit dem Projekt, das uns nicht mehr loslassen würde, vertraut. Wir alle stellten uns die Frage, wie wir auf die Erlebnisse, die uns erwarteten, reagieren würden. Ein Besuch im ehemaligen polizeilichen Durchgangslager in Bozen und in der Synagoge von Meran gaben uns erste Einblicke, wie umfangreich diese Reise sein würde. Schließlich kam der Tag, an dem wir durch den Schnee am Brenner stapften und in den Zug der Erinnerungen stiegen.

Nachts hatten wir mulmige Gedanken, fremde Gefühle kamen auf und Fragen, deren Antworten wir nicht kannten. Nach einer 17-stündigen Zugfahrt hatten wir wieder festen Boden unter uns. Wir waren in Polen angekommen.

79 Jahre zuvor, im Jahre 1939, marschierten deutsche Truppen in Polen ein. Das Leben der Bewohner änderte sich radikal. Und nur zwei Jahre darauf beschloss man, die gesamte jüdische Bevölkerung auszurotten. Wenig später wurde das KZ Auschwitz-Birkenau errichtet. Innerhalb von nur vier Jahren wurden dort rund 1,3 Millionen Menschen hingerichtet – 900.000 davon waren Juden.

Auf unserer Reise besichtigten wir das Stadtbild von Krakau, besuchten die Fabrik von Oskar Schindler und das ehemalige jüdische Ghetto. Mit jedem Besuch dieser Ort wurden unsere Schritte schwerer. Schließlich standen wir auf dem Gelände des KZ Auschwitz-Birkenau.

Das KZ ist ein lebendiger Friedhof. An den Wirtschaftsbaracken vorbei erreicht man die Wachtürme und das Tor mit der Aufschrift „Arbeit macht frei“. Das gesamte Gelände ist von einem Stacheldraht umrahmt. In den ehemaligen Häftlingsbaracken befinden sich heute Ausstellungsräume. Berge von Brillen, Kleidungsstücke, Koffer mit den Namen der Opfer und persönliche Gegenstände zeigen, dass hier einmal Leben war. Zwei Tonnen Haare liegen hinter Vitrinen – Haare, die einst wunderschönen Frauen gehörten. Auch leere Dosen des Giftgases Zyklon B, die im Lager gefunden wurden, sind ausgestellt. Genauso wie die Bilder ausgehungerter Kinder. Kinder, deren Namen durch Nummern ersetzt wurden und für die der Gedanke an die Zukunft nicht mehr real war. Mit der Ankunft im KZ gab es das Kind-Sein für sie nicht mehr.

Gefühle von Verzweiflung, Schuld, Traurigkeit überkamen uns Besucher beim Gedanken an die Insassen im KZ. Unsere Sinne waren wie betäubt. Die Geschichten der Vergangenheit wurden plötzlich zu unserer Gegenwart.

Drei Kilometer von Auschwitz entfernt liegt das Vernichtungslager Birkenau. Es war das größte deutsche Vernichtungslager zur Zeit der Nationalsozialisten. Schon bei der Ankunft waren wir angesichts der Größe des rund fünf Quadratkilometer großen Geländes schockiert. Die meisten Opfer kamen mit dem Zug hierher, eine tagelange Fahrt in einem Viehwaggon lag da schon hinter ihnen. Zunächst führten die Nationalsozialisten eine „Selektion” durch: Die Kranken und Schwachen wurden von den Arbeitsfähigen getrennt. Auch Frauen und Kinder trennte man. Sie wurden meist direkt in die Gaskammer geführt.

Einige Baracken kann man heute noch besichtigen. Sie geben einen kleinen Einblick in die menschenunwürdigen Zustände. Auschwitz-Birkenau besaß insgesamt sechs Gaskammern und vier Krematorien, von denen heute nur noch Ruinen zu sehen sind.

Die sogenannte „Zentrale Sauna“ ist das letzte Gebäude, das Besucher besichtigen können. Es war das Aufnahmegebäude und zugleich auch die Desinfektions- und Entwesungsanlage. In diesem Gebäude nahm man den neu angekommenen Häftlingen ihre Identität, die Menschen wurden zu Nummern.

In Birkenau und in den zahlreichen anderen Lagern starben Tag für Tag Inhaftierte, entweder durch Zwangsarbeit, Hunger, Krankheiten oder Vergasung. Die Zahl der Toten ist groß – unfassbar groß. Ihnen nahm man nicht nur ihr Leben, sondern auch die Hoffnung. Man versprach ihnen viel, darunter die Hoffnung auf ein neues Leben, ein besseres Leben. Man lockte sie mit diesen Sätzen in den Tod.

Wir wissen, dass wir an diesem Verbrechen nicht schuld sind, doch wir machen uns schuldig, wenn wir nichts darüber wissen wollen.

Trotz dieser bedrückenden Reise kehrten wir Teilnehmer von Promemoria Auschwitz als Menschen zurück, mit neuen Erfahrungen, Gedanken und Gefühlen. Wir haben die kleinen Dinge mehr zu schätzen gelernt und fanden Antworten auf viele Fragen. Doch ständig kommen neue, unbeantwortete Fragen hinzu.

Wir sind an jenen Ort gefahren, um zu verstehen und um mehr über die Geschichte zu erfahren. Wir leben in einer Welt, in der Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz weiter existieren. „Niemals wieder!“ muss deshalb die Botschaft sein. Die Geschichte ist nicht passé. Es ist unsere Pflicht, über den Holocaust zu informieren, um eine Wiederholung dieses grausamen Teils unserer Geschichte zu verhindern. Wir wissen, dass wir an diesem Verbrechen nicht schuld sind, doch wir machen uns schuldig, wenn wir nichts darüber wissen wollen.

Wir Jugendliche wollen wissen und verstehen und wir wollen die Erinnerung daran wach halten. Das ist unsere Aufgabe und wir füllen sie mit Leben, weil die Missstände, die durch Rassismus und Radikalismus entstehen, mit dem Ende des Nationalsozialismus nicht beseitigt wurden. Je mehr man über die Menschheit weiß, desto weniger kann man an die Menschlichkeit glauben. Wahrscheinlich steckt in jedem Gutes und Böses. Damit müssen wir wohl leben.

„Tanti anni fa sono salito su un treno dal quale non ho più voluto scendere … non scendere neanche tu!“ Kim

Text von Gabriel Grunser und Anna Schmiedhofer

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