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Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 03.05.2024
LebenAss & Activism

Die nackte Wahrheit

Veröffentlicht
am 03.05.2024
Im Bikini über Themen wie den Klimawandel, den Nahost-Konflikt oder Demokratie sprechen? Angesichts wachsender Einschränkungen bei politischen Inhalten in den sozialen Medien wird nach Alternativen gesucht. Dabei wird das eine oder andere Kleidungsstück auch gerne mal abgelegt – das wird vom Algorithmus nämlich besonders gerne gesehen.
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„Feminist:in zu sein bedeutet, aktiv für soziale, politische und wirtschaftliche Gleichstellung der Geschlechter einzustehen“, erklärt die Influencerin und Aktivistin @dariadaria, als sie nur im Bikini auf Instagram und TikTok ihre Follower:innen anspricht. Dabei geht es dem Social-Media-Star nicht darum, ihren eigenen Körper in Szene zu setzen, Körperpositivität zu fördern oder gar eine Bikini-Kooperation zu bewerben. Influencerin Madeleine Darya Alizadeh möchte den Algorithmus austricksen, da Social-Media-Plattformen immer häufiger Videos von nicht „normschönen“ Menschen zensieren und politische Inhalte gesperrt werden. Daher greift die 35-Jährige auf eine altbekannte Strategie zurück, die auch dem Algorithmus zu gefallen scheint: sex sells. Diesen algorithmischen Vorteil – und sexistischen Nachteil – nutzt die Influencerin nun, um ihre politischen Ansichten und Botschaften zu verbreiten.

No tits without politics und Arsch gegen Algorithmus: ein sexistischer Algorithmus?
Verschiedene Studien, darunter Untersuchungen von Amnesty International, Stanford und dem MIT, belegen, dass Algorithmen bestimmte Inhalte bevorzugen oder zensieren, je nach Geschlecht, Körperbild und anderen persönlichen Merkmalen der Benutzer:innen. Aufgrund dieser Erkenntnisse werden Social-Media-Algorithmen häufig als diskriminierend, rassistisch, sexistisch und undemokratisch kritisiert.

Algorithmen sind weder neutral noch objektiv. Sie werden von Menschen gemacht, die dabei bestimmte Annahmen treffen, gewisse Interessen und Ziele verfolgen.

www.humanrights.ch 

Zusätzlich verstärkt jede:r Nutzer:in selbst die algorithmische Tendenz zum Sexismus, indem bestimmte Inhalte bevorzugt angeklickt werden. Zum Beispiel zeigen Statistiken, dass TikTok-Nutzer:innen häufig länger auf Videos verweilen, die normschöne – oft weiße, schlanke Frauen – zeigen, während bei Personen mit Behinderungen, dickeren Körpern oder People of Color schneller zum nächsten Video gescrollt wird. Vereinfacht zusammengefasst könnte man behaupten, dass der Algorithmus durch gesellschaftlichen Alltags-Sexismus sowie von unseren oftmals unbewussten diskriminierenden Tendenzen beeinflusst wird – sex sells klappt sogar beim Algorithmus.

Viele Content-Creator:innen sind sich dieser Tatsache bewusst und präsentieren sich daher oft leicht bekleidet, um dem Algorithmus zu „gefallen“ und ihre Videos zu bewerben. Immer häufiger werden kontextlose Produkte von leichtbekleideten – meist normschönen – Frauen beworben, Sport-Workouts im Bikini gefilmt und bei Vlogs im Home-Office auf das T-Shirt verzichtet. Es ist jedoch schwierig, dem digitalen Sexismus allein Vorwürfe zu machen, da auch der analoge Markt von sexistischer Werbung lebt und dem Prinzip von „Angebot und Nachfrage“ folgt.

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Aus diesem Grund nutzen nun auch politische Aktivist:innen weltweit beliebte Algorithmusstrategien, wie das Drehen von Videos im knappen Outfit während der Skin-Care-Routine, um sowohl auf die Problematik dahinter hinzuweisen aber auch gleichzeitig andere – immer öfter – politische Inhalte zu verbreiten.

Social-Media-Acitvism: Du gehst auf die Barrikaden – ich geh digital
Politischer Aktivismus auf Social Media ist heutzutage ein etabliertes Phänomen. Laut einer Studie nutzen insbesondere Menschen unter 30 Social Media, um sich über politische Geschehnisse und Themen zu informieren. Plattformen wie X (ehemals Twitter) sind dabei besonders beliebt, ebenso wie Videoplattformen wie Youtube sowie Kurzvideos auf Instagram und TikTok. Unter den unter 30-Jährigen geben 78 % an, dass soziale Netzwerke ihnen den schnellsten Zugang zum Weltgeschehen ermöglichen. Des Weiteren beeinflussen laut der Studie 43 % der unter 30-Jährigen ihre politischen Meinungen durch soziale Netzwerke. Mehr als die Hälfte dieser Altersgruppe stimmt zudem der Aussage zu, dass sie ohne soziale Netzwerke oft nicht über aktuelle Ereignisse informiert wären.

Online-Aktivismus hat sich zu einer maßgeblichen Form des Engagements junger Menschen entwickelt. Plattformen wie Instagram, Twitter, Facebook und TikTok bieten Benutzern die Möglichkeit, Bewusstsein für politische und soziale Anliegen zu schaffen sowie Spenden zu sammeln. Diese Dynamik hat zu erfolgreichen Kampagnen geführt, die sogar zu Gesetzesänderungen geführt haben. Zu den bemerkenswertesten Beispielen der jüngsten Vergangenheit gehören Aktionen der Fridays-for-Future- und Black-Lives-Matter-Bewegungen sowie der #MeToo-Hashtag, der seit dem Weinstein-Skandal im Jahr 2017 vor allem auf Twitter und Facebook zur Aufdeckung sexueller Belästigung und Übergriffe geführt hat.

Nun wollen einige Social-Media-Konzerne aber gegen politische Inhalte vorgehen. Viele Plattformen schränken die Verbreitung politischer Inhalte zunehmend ein, sodass beispielsweise politische Beiträge auf Facebook nicht mehr beworben werden können. Zudem werden zahlreiche politische Videos auf TikTok, X und Instagram gesperrt, eingeschränkt oder vom Algorithmus „vernachlässigt“.

Willkommen bei Ass and Activism, wo politische Bildung im BH stattfindet, weil der Algorithmus das besser findet […] Möse für Meinungsfreiheit sozusagen.

– Madeleine Darya Alizadeh

Mehr Haut für mehr politische Inhalte?
Die Limitierung von politischen Inhalten wollen sich einige Aktivist:innen nicht länger gefallen lassen. Angesichts des starken Einflusses und der Prägung von Social Media auf die individuelle politische Meinungsbildung sind sie überzeugt von der Bedeutung politischer Aufklärung und Bildung über diese Plattformen. Aus diesem Grund entscheiden sich manche Aktivist:innen dafür, sich leicht bekleidet zu präsentieren, um ihre Botschaften zu verbreiten. Durch solche Aktionen gelangen die Videos der Ass-and-Activism-Akteur:innen wieder in die For You Pages vieler TikTok-Nutzer:innen. Ihr Ziel ist es, Politik, Gesellschaftskritik und relevante Debatten unserer Zeit zu den „einfachen Bürger:innen“ zu bringen und es auch auf die Bildschirmen derjenigen zugänglich zu schaffen, die sich normalerweise nicht für Politik interessieren. 

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Für den Mut „blank zu ziehen“ und die politische Aufklärungsarbeit wird der #assandactivism Trend von vielen gefeiert. Einige Feminist:innen kritisieren jedoch diesen Trend, da in deren Augen normschönen Körpern vermehrt Plattformen geboten und der Algorithmus weiterhin mit Sexismus gefüttert wird. Demnach sei es besser, sich gegen die diskriminierenden Algorithmen aufzulehnen, anstatt sie zu nutzen.
Nichtsdestotrotz informieren sich immer mehr Menschen (ausschließlich) digital. Daher müssen – früher oder später – politische Inhalte reformiert und an ein Social-Media-orientiertes Publikum angepasst werden. Ob man sich dafür entscheidet, mit dem bestehenden Algorithmus zu arbeiten und „freizügige“ aktivistische Videos zu produzieren oder ob man sich für einen weniger sexistischen neuen Algorithmus einsetzt, bleibt offen.

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