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Der 10. September ist seit 2003 der Welttag der Suizidprävention. In den USA wird sogar der gesamte September als „Suicide Prevention Month” begangen. Ziel ist es, das Bewusstsein für psychische Gesundheit zu stärken und das Schweigen über Suizid zu brechen.
Das Wort, über das niemand spricht
Das Wort „Suizid“ gehört zu den am meisten vermiedenen Begriffen – ob in Medienberichten, Todesanzeigen oder im alltäglichen Gespräch. Was nicht ausgesprochen wird, bleibt tabu. Für suizidale Menschen kann es dadurch wie eine unüberwindbare Hürde erscheinen, offen über ihre Gefühlswelt zu sprechen. Warum aber ist es immer noch so schwer, darüber zu reden? Warum bleibt ein Thema, das so viele Menschen betrifft, mit so viel Scham behaftet?
Tabu mit Tradition
In der Bibel finden sich Berichte von sieben Suiziden, darunter Saul, sein Waffenträger, Ahitofel, Simri, Abimelech und der wohl bekannteste: Judas Iskariot, der Jünger, der Jesus verraten hat. Was all diese gemeinsam hatten? Sie befanden sich in ausweglosen Situationen- waren meist Schuldige, Verräter oder Ehrenlose.
Menschen, die den Freitod wählten, werden in der Schrift meist eher negativ dargestellt. Als böse und sündhaft. In der theologischen Tradition wurde daraus oft die Deutung, Suizid sei ein Akt der Sünde. Gott sei schließlich derjenige, der entscheidet, wann und wie ein Mensch sterben sollte. Diese Macht in seine eigenen Hände zu nehmen, verstand man als Gotteslästerung.
Eselsbegräbnis
Nicht nur in religiösen Schriften wurde Suizid tabuisiert. Auch im Mittelalter bis ins 19. Jahrhundert hinein wurden Menschen, die sich das Leben nahmen, gesellschaftlich geächtet. Oft verweigerte man ihnen ein kirchliches Begräbnis. Stattdessen erhielten sie ein sogenanntes „Eselsbegräbnis“. So nannte man die unehrenhafte Bestattung einer gesellschaftlich marginalisierten Person, meistens eines Suizidenten.* Der oder die „Verfluchte“ sollte demnach „wie ein Esel begraben werden, fortgeschleift und hinausgeworfen vor die Tore Jerusalems“(Jer 22,19).
Menschen, die sich ihr Leben nahmen, galten also als Sünder, Feiglinge, Ehrenlose.
Die medizinische Debatte setzte erst im letzten Drittel des 18.Jahrhunderts ein: Suizid wurde erstmals als Symptom einer psychischen Erkrankung verstanden – und nicht länger nur als „Melancholie“ oder gar als Ausdruck teuflischen Einflusses, wie es viele Pastoren im Mittelalter beschrieben.
Es macht einen Unterschied, wie wir über Suizid und psychische Krisen sprechen. Offenheit und Hoffnung können Leben retten.
Werther- und Papageno-Effekt
Auch in der modernen Gesellschaft bleibt Suizid ein Tabu. In Todesanzeigen wird die Ursache meist verschwiegen – zu groß sind Schmerz und Scham für die Hinterbliebenen. Angehörige werden zudem nicht selten mit Schuldzuweisungen konfrontiert: „Das hätte man doch verhindern können.“ Solche Reaktionen erschweren die Trauerarbeit zusätzlich.
Ein weiterer Grund für Zurückhaltung ist der sogenannte „Werther-Effekt“. Der Begriff geht auf Goethes Roman Die Leiden des jungen Werther (1774) zurück, nach dessen Veröffentlichung es Berichte über Nachahmungssuizide gab.* Bis heute gilt: Eine unbedachte öffentliche Berichterstattung über Suizid – insbesondere über prominente Personen – kann Nachahmungstaten begünstigen und die Suizidrate kurzfristig ansteigen lassen. Deshalb gibt es klare Empfehlungen für Journalist:innen: sachlich berichten, keine Details zur Methode nennen und Hilfsangebote sichtbar machen.
Demgegenüber steht der „Papageno-Effekt“: Benannt nach der Figur aus Mozarts Zauberflöte, die in letzter Minute vom Suizid abgehalten wird, beschreibt er den positiven Einfluss von Geschichten über Krisenbewältigung.* Wenn Medien zeigen, wie Menschen in ausweglos scheinenden Situationen neue Hoffnung finden, kann das Betroffene ermutigen und schützen.
Für Journalist:innen, Medienschaffende – aber auch für uns als Gesellschaft – bedeutet das: Es macht einen Unterschied, wie wir über Suizid und psychische Krisen sprechen. Offenheit und Hoffnung können Leben retten.
Wie Angehörige reagieren können
Für jemanden, der unter Suizidgedanken leidet, sind die engsten Vertrauten oft die ersten Personen, an die sie sich wenden. Das ist ein sehr großer Vertrauensbeweis, dem man am besten mit Zuhören und Ernstnehmen begegnet. Sätze wie „Das geht schon wieder vorbei“ oder „Reiß dich zusammen“ sind wenig hilfreich und verschließen die Tür oft sofort wieder. Viel hilfreicher ist es, offen, ruhig und wertfrei zu bleiben und zu signalisieren, dass man die Schwere ihrer Gefühle aushalten kann. Man kann auch ermutigen, gemeinsam nach professioneller Hilfe zu suchen.
Angehörige oder Freund:innen müssen nämlich keine Therapeut:innen sein – menschlich präsent sein reicht oft schon.
Was wir als Gesellschaft tun können
Wir können Suizid nicht verhindern, wenn wir Angst haben, das Wort auszusprechen. Schweigen rettet kein Leben, Konversation schon. Das Sprechen darüber pflanzt keine Idee in den Köpfen, sondern gibt Betroffenen Sicherheit. Schweigen aber füttert die Scham.
Am Ende des Tages will jede:r von uns Verständnis und Zugehörigkeit erfahren – nicht Ablehnung oder Ausgrenzung. Ganz besonders in dem wohl einsamsten Zustand, in dem sich ein Mensch befinden kann. Je mehr wir behutsam darüber sprechen, desto mehr symbolisieren wir Betroffenen, dass sie im Kampf ums Bleiben nicht alleine sind. Dass sie wichtig sind. Dass ihr Ableben keinen Schmerz enden lässt, sondern nur auf andere überträgt. Dass kein Zustand für immer ist und der Tod eine sehr endgültige Lösung für einen temporären Zustand ist.
Du bist wichtig. Du wirst geliebt. Wir sehen dich.
Befindest auch du dich in einer psychischen Krise oder hast Suizidgedanken? Hier findest du Hilfe und Unterstützung.
Psychologisches Krisentelefon (Südtiroler Sanitätsbetrieb) | Rund um die Uhr (24/7) erreichbar unter der Grünen Nummer 800 101 800 – mit Psycholog:innen zur Einschätzung der Situation und Vermittlung passender Hilfenasdaa.itsuizid-praevention.it. |
Caritas Telefonseelsorge | Anonyme Telefonberatung jederzeit, auch online und im Chat: Tel. +39 0471 052 052 oder über [telefonseelsorge-online.bz.it]Caritas+1suizid-praevention.it. |
Young & Direct (speziell für junge Menschen) | Kostenlose, vertrauliche Beratung: Tel. 0471 155 1551, WhatsApp: +39 345 0817 056, E-Mail: online@young-direct.it (Mo–Fr 14:30–19:30)infopoint.bz | red mor amol driberCaritas. |
Telefon-Hilfe „Telefono Amico“ | Anonym und erreichbar: Tel. 02 2327 2327, WhatsApp: +39 324 011 7252; täglich ab 15 Uhrinfopoint.bz | red mor amol driber. |
Notfallpsychologische Hilfe (Südtirol) | Rund um die Uhr erreichbar in den Gesundheitsbezirken: Bozen, Meran, Brixen, Bruneck (jeweils eigene Nummern)infopoint.bz | red mor amol driberforum-p.it. |
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