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Lisa Frei
Veröffentlicht
am 12.05.2025
LebenInterview

„Der Aufstand ist in uns“

Veröffentlicht
am 12.05.2025
Vor 500 Jahren begehrten Tirols Bauern unter Michael Gaismair gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit auf. Aus diesem Anlass geht es in seiner Heimatstadt Sterzing nicht nur um die Erinnerung an diese Revolte, sondern auch um aktuelle Fragen von Teilhabe und Veränderung. Projektkoordinatorin Michaela Stolte erklärt, warum der Geist des Aufbruchs heute wichtiger ist denn je.
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Michaela Stolte

1525 brach in Tirol ein Bauernaufstand aus, der mehr war als nur ein Protest gegen Adel und Kirche. Unter Michael Gaismair formierte sich eine Bewegung, die mehr Gerechtigkeit und Mitbestimmung forderte. Der Aufstand gilt bis heute als kraftvolles Zeichen für Freiheit und den Wunsch nach Veränderung. Genau darum geht es im Jubiläumsjahr „Mitmischen! Ma come?“ in Sterzing, wo bei Workshops, Vorträgen, Stadtlabors, Theateraufführungen, Konzerten und Ausstellungen dem Widerstand eine Bühne geboten und die Bevölkerung zum Mitmachen angeregt wird. BARFUSS traf die Projektverantwortliche Michaela Stolte in den historischen Gemäuern des Sterzinger Multschermuseums im Deutschhaus, wo vor 500 Jahren Aufständische den Weinkeller plünderten.

BARFUSS: Frau Stolte, haben Sie heute schon protestiert?
Michaela Stolte: Gewissermaßen, ja. Ich bin mit dem Fahrrad ins Museum gefahren. Ich habe nämlich kein Auto und das ist auf dem Land nicht immer einfach. Mein Radfahren wird das Klima nicht retten, aber immerhin auch nicht verschlechtern. Außerdem will ich meinen Kindern vorleben, dass man auf vieles, was man angeblich unbedingt braucht, durchaus verzichten kann.

Verzicht prägte auch das karge Leben der Bauern im 16. Jahrhundert. Wogegen protestierten sie?
Vor den Aufständen im Jahr 1525 lebte die bäuerliche Bevölkerung in Tirol unter schwierigen Bedingungen. Besonders nach dem Tode von Kaiser Maximilian I. spitzten sich die politischen, religiösen und sozialen Verhältnisse zu. Die hohe Verschuldung der Grafschaft führte zu immer höheren Steuern und Zinsen. Die Preise stiegen. Holz- sowie Fischerei- und Jagdrechte wurden eingeschränkt oder aufgehoben. Adelige und geistliche Grundherren forderten zudem immer höhere Abgaben. Die Kritik an der katholischen Kirche und ihren Missständen war auch hier immens. Die reformatorische Lehre, die mit Flugschriften, evangelischen Predigern und Knappen aus dem mitteldeutschen Raum nach Tirol gelangte, fiel auf fruchtbaren Boden. Und der Bergbau und seine Profite geriet zunehmend in die Hände einiger weniger.

Wie kann man sich die gesellschaftliche Stimmung damals vorstellen?
Es war eine Zeit großer sozialer Spannungen, politischer Herausforderungen, Umbrüche und Krisen. Es gärte überall. Reformation, Buchdruck, die sogenannte Entdeckung Amerikas, der aufkommende Frühkapitalismus, eine prekäre Sicherheitslage. Das alles muss für die Menschen überwältigend gewesen sein und dennoch gaben sie sich nicht dem Gefühl der Ohnmacht hin und versuchten an ihrer Situation etwas zu verändern. Das finde ich inspirierend.

Heute muss es aber auch darum gehen, nicht nur Forderungen zu stellen, sondern selbst ins Tun zu kommen.

Inwiefern?
Ich glaube, das Gefühl der Überwältigung, des Sich-kaum-noch-Auskennens in der Welt ist hochaktuell. Heute muss es aber auch darum gehen, nicht nur Forderungen zu stellen, sondern selbst ins Tun zu kommen. Wir sollten aufhören mit der Rede, dass wir ja eh nichts ändern können. Jede:r kann und sollte etwas wagen. Das haben die Aufständischen damals auch getan – unter ungleich schwierigeren Bedingungen. Mich inspiriert ihrMut und ihre Vorstellungskraft für eine andere Welt, ihr Glaube daran, dass es anders, gerechter, besser gehen könnte.

Auch Gaismair glaubte an eine bessere Welt. Seine Forderungen werden oft als seiner Zeit weit voraus beschrieben. Wie kam er dazu?
Gaismair formulierte in seiner, übrigens zu seinen Lebzeiten nie veröffentlichten, sogenannten Landesordnung einen umfassenden, egalitären Verfassungsentwurf für Tirol, der Adel und Klerus abschaffen und eine freie Bauernrepublik etablieren wollte. Seine Ideen waren radikal, kamen aber natürlich nicht aus dem Nichts. Zunächst fußten sie auf genauer Beobachtung: Gaismair war Schreiber des Tiroler Landeshauptmanns Leonhard von Völs und später Sekretär des Fürstbischofs von Brixen, Sebastian Sprenz. In beiden Positionen erhielt er genauen Einblick in das Sozialgefüge der Zeit, die Privilegien und Missstände. Auch reformatorische Gedanken flossen in seine Landesordnung, insbesondere die Ideen des Reformators Ulrich Zwingli, den Gaismair in Zürich kennenlernte. Und natürlich kannte er die Meraner Artikel, die bereits umfassende Forderungen nach sozialen und politischen Veränderungen bündelten, und die Ergebnisse des sogenannten Bauernlandtages 1525.

Michael Gaismair unterschied sich von anderen Aufständlern auch durch seine diplomatische Art und die Ablehnung von roher Gewalt. Umgibt seine Figur deshalb heute etwas Heldenhaftes?
Sein radikaler, unermüdlicher Einsatz für Gerechtigkeit und Mitbestimmung macht ihn besonders. Er kämpfte weiter, als die meisten schon zufrieden waren. Heute sehen wir ihn als eine Art Helden, aber das war bei Weitem nicht immer so. Im Gegenteil: Als Feind der Habsburger hatte er hierzulande lange keinen Platz in den Geschichtsbüchern. In Deutschland holte man ihn und die Bauernkriege immer dann heraus, wenn man ihn für das eigene politische Programm nutzen konnte: um 1848, im Nationalsozialismus und später in der DDR. Hier in Südtirol entdeckte“ man Gaismair in den 1970er-Jahren, als junge Menschen nach neuen Vorbildern suchten. Eine Wohnsiedlung in Sterzing trägt seitdem seinen Namen und in diesem Jahr wurde das Oberschulzentrum nach ihm benannt.

Im Jubiläumsjahr will man sich der Thematik auch kritisch nähern. Warum ist das wichtig?
Wie Geschichte geschrieben wird, spiegelt die Zeit, über die geschrieben wird und vor allem die Zeit, in der geschrieben wird. Eine neue Sicht auf die Vergangenheit kann die Gegenwart beeinflussen. Jetzt feiern wir den 500. Jahrestag und alle reden über Gaismair. Wir auch, wir heben ihn in gewisser Weise auf ein Podest. Mit unserem Projekt Mitmischen! Ma come?“ wollen wir in Sterzing aber auch ein wenig gegensteuern und setzen woanders an – nämlich bei der Bevölkerung. Statt nur“ Gaismair und die Einzelperson in den Mittelpunkt zu rücken, finde ich es spannender, sich zu fragen, wie viel Gaismair oder vielleicht eher wie viel Bauer und Bäuerin in jedem und jeder von uns stecken kann und stecken sollte in Zeiten wie diesen. Der Aufstand ist ja sozusagen in uns. Gaismair wurde Rebell“ genannt und das war negativ gemeint, für mich ist rebellisches Verhalten komischerweise vor allem positiv besetzt. Ich finde, wir sollten alle rebellischer sein – aber so wie Gaismair, mit tatsächlichen Ideen, mit dem Mut, für sich und andere einzustehen. Nicht nur fordern und abwarten. Es reicht nicht, unseren Wunsch nach Veränderung irgendwohin zu projizieren, sondern wir müssen schon selbst aktiv werden – und bleiben. Veränderung braucht einen langen Atem.

Viele Menschen teilen das Gefühl, dass die Verhältnisse so, wie sie jetzt sind, nicht bleiben sollten, im Großen wie im Kleinen. Aber wie geht Veränderung, wie können wir vom Schimpfen ins Handeln kommen?

Im Jahresprogramm ist viel von diesem Aktiv werden und von Partizipation die Rede. Wie binden Sie die Bevölkerung konkret ein?
Viele Menschen teilen das Gefühl, dass die Verhältnisse so, wie sie jetzt sind, nicht bleiben sollten, im Großen wie im Kleinen. Aber wie geht Veränderung, wie können wir vom Schimpfen ins Handeln kommen? Ganz konkret beschäftigen wir uns damit in einem partizipativen Format, dem Stadtlabor. Hier erarbeiten Bürger:innen ein Manifest für Sterzing, das Ende des Jahres dem neu gewählten Gemeinderat übergeben werden soll. Vergleichbar mit einem Bürger:innenrat halten Gruppen die Punkte, die sie in Sterzing verändern möchten, fest – und erarbeiten zugleich ganz konkrete Vorschläge und Lösungen. Da geht es um Mobilität, Wohnen, Kinderbetreuung, Kultur und vieles mehr. Die bisherigen Treffen hatten eine großartige Energie, es wurde viel geschimpft, aber noch mehr gelacht und es wurden schon tolle Ideen ausgeheckt. Aber auch bei einem Protestsong-Wettbewerb, bei verschiedenen Workshops und im Museum geht es ums Mitmachen und eben Mitmischen“.

Welche Rolle kann in so einem Prozess ein Museum spielen?
Die klassischen Aufgaben eines Museums sind das Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln. Wir legen den Fokus in diesem Jahr ganz klar auf das Vermitteln, wir möchten die Geschichte erlebbar machen, vor allem das Gefühl der eigenen Handlungsmacht, die die Aufständischen damals vielleicht auch gefühlt haben. Wir möchten auch Lücken thematisieren und bieten in der Ausstellung im Stadtmuseum ab Ende Juli künstlerische, spielerische Perspektiven auf die historischen Ereignisse und ihre Verbindungslinien ins Heute. Das Museum gibt hier ganz konkret auch Themen Raum, die in Zusammenhang mit den Bauernkriegen immer noch wenig Erwähnung finden.

Können Sie dazu ein Beispiel nennen?
Wir wissen beispielsweise sehr wenig über die Frauen im Bauernkrieg und darüber, welche Rolle sie gespielt haben – als Kämpferinnen oder Verbündete hinter den Helden. Dieser Thematik widmen wir uns in einer theatralen Stückentwicklung. Wir verweben anhand der Figur von Magdalena Gaismair die Kämpfe des 16. Jahrhunderts mit den Herausforderungen der Sorgearbeit. Und wir fragen uns, welche revolutionäre Kraft Fürsorge entfalten kann.

Was ist vom Aufstand der Bauern und Gaismairs Anliegen geblieben und was nehmen Sie persönlich daraus mit?
Während der Bauernkrieg in Deutschland blutig niedergeschlagen wurde, gelang es den Aufständischen in Tirol mit der Obrigkeit zu verhandeln und Reformen zu erwirken. Gaismairs Forderungen gingen noch viel weiter, waren sicher visionär. Veränderung braucht vielleicht beides: die konkreten, durchaus kleinteiligen Schritte und die große Vision, die es erlaubt, im Alltag kritisch zu bleiben. Ich persönlich halte Selbstwirksamkeit für eine der wichtigsten Erfahrungen – deshalb ja auch das Fahrradfahren – jede:r von uns kann sehr wohl Dinge bewegen und verändern. Dazu möchte Mitmischen. Ma come?“ inspirieren.

Michaela Stolte studierte Medienwissenschaft in Potsdam sowie Dramaturgie in Frankfurt am Main. 2014 bis 2020 war sie Dramaturgin an der Württembergischen Landesbühne in Esslingen. Seit 2023 arbeitet sie im Stadt- und Multschermuseum Sterzing und freischaffend als Dramaturgin. Sie lebt mit ihrem Partner und zwei Kindern in Wiesen.

Das Projekt „Mitmischen! Ma come?“ ist Teil des Euregio-Museumsjahres 2025.. Weitere Informationen zu Programm, aktuellen Terminen und Anmeldungsmöglichkeiten finden Sie auf der Webseitewww.mitmischen-macome.com

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