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Veröffentlicht
am 18.07.2014
LebenDer Rockstar hautnah

Das verlorene Interview

Veröffentlicht
am 18.07.2014
Wir haben Al Barr, den Sänger der Dropkick Murphys, Backstage bei Rock im Ring getroffen: Was er preisgab und warum es kein Video davon gibt.
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Es ist kurz nach 23 Uhr. Es regnet in Strömen, aber die Menge bebt. Der Boden unter ihren Füßen weicht immer mehr auf, aber alle Augen sind auf die Bühne gerichtet. Die tiefe, kratzige Stimme von Al Barr dröhnt über die springenden Köpfe, hinter dem Sänger steht in großen Lettern: „Dropkick Murphys“. Al springt von einem Ende der Bühne zum anderen. Er überträgt seine scheinbar endlose Energie auf die hüpfende Menge unter ihm, auf die Besucher des Rock-im-Ring-Festivals.
Wenige Stunden zuvor sah das noch ganz anders aus. Mit finsterem Blick war Al Barr gegen Mittag aus seinem Tourbus gekrochen. „Man, I just woke up“, warf er uns auf unsere Frage nach einem Interview entgegen. Na, das wird wohl nix. Der Headliner des zweiten Festivaltages stand nicht für ein Interview zur Verfügung. Von den übrigen Bandmitgliedern hatte es bereits am Vormittag geheißen, dass sie ein Interview ablehnten. Die letzte Möglichkeit wäre Al gewesen, der den Vormittag über geschlafen hatte. Wir hatten uns den komplizierten Weg über das Management ersparen wollen und auf die kleine Chance gesetzt, die Band direkt vor Ort anzutreffen. Kaum zu glauben, keine zwei Stunden nach Als Abfuhr bekamen wir diese Chance dann doch noch!

„Ich bin bereit für das Interview!”

Auf dem Weg Backstage, wo wir das Videoequipment unterbringen wollten, kam Al auf uns zu: Er wäre nun bereit für ein Interview. Wir waren alles andere als bereit. Das Mikrofon für die Kamera war gerade nicht in Reichweite, zusammen mit Thomas, der zuständig für die Videoaufnahmen war. Egal, diese Chance musste genutzt werden. Sofort. Al führte uns in den Backstage-Bereich der Murphys. Im kahlen Raum stand ein Tisch, darauf ein leerer Pasta-Teller und Wasserflaschen. Wir positionierten Al auf einer Bank in der Ecke des Raumes, auf die von oben Tageslicht fiel. Kurz zuvor hatte Thomas uns gezeigt, wie die Kamera funktionierte. Für den Fall, dass er einmal nicht in der Nähe war. Wir dachten nicht, dass dieser Ernstfall so schnell und dann auch noch mit dem Headliner eintreten würde. Es dauerte etwas, dann war das Stativ positioniert, Schärfegrad und Helligkeiten waren eingestellt, das Zeichen für die Aufnahme erschien auf dem Display. Schön rot, so wie es sein sollte, wohl gemerkt.

Was fragt man den Sänger einer international bekannten Band, die schon mit Bruce Springsteen zusammenarbeitete und seit beinahe zwanzig Jahren erfolgreich Musik macht? Wir beginnen im schönen Smalltalk-Stil bei Südtirol. Al findet unsere Berge toll. Er mag das Wandern, nicht aber das Klettern. Er hat Höhenangst. Das alles erzählt er uns in einer Mischung aus leicht bayerischem Deutsch und Englisch. „Meine Grammatik ist beschissen“, entschuldigt er sich. Deutsch war die erste Sprache, die er von seiner Mutter lernte, die aus Regensburg stammte. Sie selbst war Bergsteigerin und auf allen möglichen Gipfeln der Welt unterwegs, musste sich aber damit abfinden, dass ihr Sohn nicht in ihre Fußstapfen treten würde.
Familie ist Al wichtig. Die Murphys touren seit vielen Wochen. Am Tag zuvor standen sie in Tschechien auf der Bühne, nach dem Auftritt am Ritten ging es weiter nach Frankreich. In sieben Tagen kehrt die Band dann zurück nach Boston, in die Heimat. Seine Frau und seine drei Kinder warten dort auf ihn. Auf den Nachwuchs angesprochen, blüht Al auf. Das dritte Kind sei eine „Überraschung“ gewesen, aber eine „schöne Überraschung“. „Es ist hart, wenn man so lange auf Tour ist“, erklärt er uns. Dass auch die übrigen Bandmitglieder Freundin, Ehefrau und Kinder haben, helfe da. Man teile die gleichen Probleme.

„Ich trinke nicht mehr.”

Wie er so dasitzt im schummrigen Licht des kahlen Raumes, das von draußen durch die dreckige Scheibe dringt, verschiebt sich in uns das Bild vom knallharten Punkrocker. Es mag das weibliche Einfühlungsvermögen sein, das sich da in uns regt, aber irgendwie wirkt der tätowierte Mann vor uns sehr zerbrechlich. „Wie viele Bier hast du heute schon getrunken und wie viele werden es noch werden?“, versuchen wir, das verschobene Bild ins rechte Licht zu rücken. „Ich trinke nicht mehr, schon seit der Geburt meines ersten Sohnes“, die knappe, ernste Antwort.
Al Barr vermisst seine Familie, die lange Tour hat ihn ausgelaugt und es scheint nicht so, als ob er dem überzeitlichen Credo von Sex, Drugs & Rock’n’Roll so sehr anhängt. Ob er manchmal daran denke, aufzuhören? Wir müssen die Frage wiederholen, so unwahrscheinlich kommt sie ihm wohl vor. „Nein, die Musik ist mein Leben.“ Er könne nichts anderes, das sei das einzige, das er gut könne, erklärt er.

Ein paar Stunden später wird klar, was er damit meinte. Al Barr und seine Bandmitglieder haben die Menge im Griff. Es regnet in Strömen und die Schuhe versinken im Matsch, aber für die Dauer des Auftritts der Murphys zählt allein der Blick auf die Bühne, zählen die Musik und das Energiebündel Al Barr, das die Menge für sich eingenommen hat. Während unseres Interviews hatte sich Al über das schlechte Wetter beklagt, er fühle sich erkältet, hätte Kopfschmerzen, seine Stimme sei angeschlagen. Er regte sich über den Fahrstil des zweiten Busfahrers auf, der schuld daran war, dass er in der Nacht zuvor nicht gut geschlafen hatte. Und noch etwas schlug schwer auf seine Stimmung: Am 11. Juli, einen Tag vor dem Auftritt am Ritten, war das letzte noch lebende Gründungsmitglied der Punkrock-Band „The Ramones“, Schlagzeuger Tommy Ramone, gestorben. „Damit ist auch ein Teil von mir gestorben“, erklärte uns Al.

Wir leben den Moment

Und jetzt stehen wir im Regen, starren gebannt auf die Bühne wie tausende andere. Keine Stunde vor dem Konzert der Murphys erfuhren wir, dass unser fünfminütiges Interview nicht aufgezeichnet worden war. Nur etwa zehn Sekunden Smalltalk vor dem eigentlichen Gespräch sind auf Band. Die Enttäuschung ist groß. Wir wollten die Aufnahmen schneiden und veröffentlichen. Beim Konzert sehen wir einige Festivalbesucher, die trotz Regen mit Handy oder Kamera Aufnahmen und Fotos machen. Wo früher Menschen Feuerzeuge hochhielten, schalten sie heute die Bildschirme ihrer Handys ein. Wo man früher den Kopf nach der Bühne reckte, erlebt man heute Momente, die man glaubt festhalten zu müssen, durch den Bildschirm einer Kamera. Auch wir greifen in die Taschen, um unsere Handys herauszuholen: für eine kurze Videoaufnahme, ein schnelles Foto. Aber wir lassen es dann sein. Es wäre nicht dasselbe. Wir wollen das Konzert erleben. Live und nicht durch den Bildschirm einer Kamera.

Zum Trost machen wir dieses Beispiel für unser verlorenes Interview geltend. Wir haben die Situation direkt und damit intensiver erlebt. Ab dem Moment, in dem wir dachten, die Aufnahme zu starten, haben wir direkt mit Al gesprochen und nicht durch den Bildschirm der Kamera. Deshalb wissen wir beide noch genau, wie einsam er während des Interviews kurz auf uns wirkte und wie energiegeladen er später auf der Bühne stand. Und wir wissen, dass Al im Sommer am Strand gerne barfuß läuft, dass er aber nie barfuß auf die Bühne gehen würde. Das sei ihm zu sehr „hippie-dippy“. Das wissen wir von ihm und wir kennen auch seinen Gesichtsausdruck, während er uns das alles erzählte. Das muss reichen.

Irina und Julia

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