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Magdalena Jöchler
Veröffentlicht
am 14.05.2013
Leben

Das Land der Vollidioten?

Veröffentlicht
am 14.05.2013
Seit Wochen belegen sie Platz eins der deutschen Albumcharts und werden als rechtsextrem beschimpft. Eine Brixnerin war beim Frei.Wild-Konzert in Graz.
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Der Auftritt von Frei.Wild in Graz ist für mich zwar das zweite Konzert der Deutschrocker aus Brixen, und doch fühlt es sich wie das erste an. Damals, vor neun Jahren, standen Philipp, Jonas, Jochen und Christian noch in Schottenröcken auf der Bühne der Brixner Eishalle. Ähnlich enthusiastisch wie heute, grölte Frontmann Philipp die Zeilen „Südtirol, wir tragen deine Fahne, denn du bist das schönste Land der Welt …” in das Mikrophon. Vor der Bühne hüpften ein paar kahlrasierte Halbstarke auf und ab.

Diese Bilder und die Erinnerungen an meine Jugendzeit, als sich Gleichaltrige ihre Topffrisuren zu einer Glatze rasierten, einBlood & Honour-T-Shirt überstreiften, in eine Bomberjacke (außen olivgrün, innen orange) schlüpften, ihre Füße in schwarze Springerstiefel (Stahlkappe und weiße Schuhlitzen) steckten und sich am Wochenende vor der Disko Max mit den Albanern die Zähne einschlugen, blieben in meinem Kopf hängen. 2001 stieg Frei.Wild-Frontmann Philipp Burger nach einer Massenschlägerei zwischen verfeindeten Skinheadgruppen aus der Szene aus – viele andere auch. Von Jahr zu Jahr verschwanden die Glatzen aus dem Stadtbild, doch die Einstellung änderte sich bei vielen nicht wesentlich. Wie sieht das Publikum von Frei.Wild neun Jahre später aus? Für mich eine der spannendsten Fragen, die an diesem Abend in Graz beantwortet werden sollte.

Massives Polizeiaufgebot

Graz, 10. Mai 2013: Es ist das vorletzte Konzert auf ihrer „Feinde deiner Feinde“-Tour durch den deutschsprachigen Raum. Seit dem späten Nachmittag gehen wolkenbruchartige Regengüsse über der Stadt nieder. Eines ist klar, das Frei.Wild-Konzert auf der Freiluftbühne B der Grazer Stadthalle wird trotz Überdachung ein feuchtes Erlebnis. Weder die Fans noch die Gegendemonstranten lassen sich davon die Laune vermiesen – ein Aufeinandertreffen der beiden Gruppen wird mit einem massiven Polizeiaufgebot verhindert. Mehr als Worte fliegen nicht.

Schon am Eingang wird klar: Schwarz gibt hier den modischen Ton an. Wie bei anderen Konzerten auch, werden vor dem Einlass Taschen durchwühlt, Beine und Rücken abgetastet. Aber etwas ist anders: Die Sicherheitsleute hier sind nicht nur auf der Suche nach Waffen oder ähnlichem Gefahrengut, sie suchen auch nach einschlägigem Material aus der rechtsextremen Szene. Pullover, Jacken, T-Shirts oder Kappen von Marken wie Lonsdale oder Thor Steinar, die mit der Szene in Verbindung gebracht werden können, werden vor dem Konzert eingesammelt und können nachher wieder abgeholt werden. An diesem Abend seien schon recht viele Lonsdale-Sachen dabei, sagt eine Mitarbeiterin.

Von der Bühne dringen Gitarrenriffs zum Eingang durch. Die Vorbands aus Oberösterreich und Neuseeland sind gerade an der Reihe. Vor der Bühne herrscht noch Ruhe, der Ansturm auf das Konzert hält sich in Grenzen. Männer sind deutlich in der Überzahl, auffallend viele davon tragen ihr Haar sehr, sehr kurz. Daneben scheint auch Frontmann Philipp mit seiner Halbglatze-andersrum, frisurentechnisches Vorbild zu sein: Um die Ohren rasiert, oben lang und dann alles zur Seite gekämmt. Die Halle ist immer noch nicht so voll, wie ich es mir erwartet hätte, als endlich Frei.Wild die Bühne betritt. Unter den 2.000 Fans, die entlang der Absperrung Richtung Bühne drängen, sind 800 Anhänger aus Wels. Deren Heimkonzert ist auf politischen Druck hin abgesagt worden, in Graz ist das nicht gelungen.

Land der Vollidioten

Brav spult die Band ihr aktuelles Album „Feinde deiner Feinde ab”. „Wir sollen euch von unseren Leuten in Südtirol grüßen“, richtet Burger in nahezu akzentfreiem Hochdeutsch den Fans zwischendurch aus – mit der Bewahrung des Südtiroler Dialekts, wie sie im Lied „Wahre Werte” besungen wird, ist es selbst beim Frontmann nicht mehr weit her. Applaus, Schreie. Was jetzt kommt weiß hier jeder: „Südtirol”. Das Grazer Publikum kennt das Lied in- und auswendig, jetzt kommt Stimmung auf.„Südtirol, deinen Brüdern entrissen, schreit es raus, dass es alle wissen, Südtirol du bist nicht verloren!“ Eine Südtirolfahne wird in die Höhe gestreckt. Nicht schon wieder diese alten Geschichten, schießt es mir durch den Kopf. Seine eigene Vergangenheit möchte Burger am liebsten begraben, die unseres Landes wird aber immer und immer wieder beschworen. „Ist die Botschaft angekommen?“ fragt Burger anschließend mit breitem Grinsen. Neben viel Lokalpatriotismus darf auch der Verweis auf den Widerstand, den die Band derzeit erfährt, nicht fehlen: „Zwölf Grüne wollen das Konzert hier absagen? Gehts noch?“ Burgers Antwort: „Land der Vollidioten“. Das Lied ist beim Publikum eindeutig der Renner. Glatzköpfige Männer grölen inbrünstig: „Wir sind keine Neonazis und keine Anarchisten!“ Der Geruch von Cannabis strömt mir in die Nase. Punks in engen Karohosen und bunten Irokesen tanzen eifrig zu den Akkorden. Einen eingefleischten Nazi würden diese Szenen wohl hochgradig verstören.

Befremdlicher Heimatbegriff

Zum großen Showdown mit Stichflammen und Pyrotechnik wird das Lieblingslied des Grazer Publikums ein zweites Mal angestimmt: „Das Land der Vollidioten“. Dann gehen die Lichter aus und die Zugabe-Rufe verstummen. Ich bleibe mit geteilten Gefühlen zurück: Einerseits ein Konzert, das meine Beine durchaus zum Wippen gebracht hat, andererseits ein zelebrierter Heimatbegriff, der in mir Befremden hervorruft. Eines ist mir in Graz klarer geworden: Ich verbinde mit Südtirol eindeutig mehr als schöne Berge, duftende Wiesen und Schützenromantik. Mit Werten wie Glaube, Sprache und Tradition wird unser Land unter Wert verkauft. Für mich hat es viel mehr zu bieten.

Eine Naziband sind Frei.Wild nicht, für Nazis bleiben die Aussagen zu schwammig – wer Nazibands sehen möchte, dem sei der Dokufilm „Blut muss fließen“ von Thomas Kuban empfohlen. Dennoch, die Distanzierung von Burgers Vergangenheit fällt für mich etwas unglaubwürdig aus, da helfen auch keine „Gegen Rassismus und Extremismus“- Aufkleber, die Bilder in meinem Kopf bleiben. Die Band zu verbieten wäre deshalb der falsche Weg, immerhin hat Frei.Wild die Diskussion über Jugend und Rechtsextremismus neu entfacht. Und die sollte jetzt nicht mit Hysterievorwürfen von Seiten der Verfechter der Band im Keim erstickt, sondern endlich mal geführt werden. Danke, Frei.Wild!

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