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Veröffentlicht
am 06.11.2023
LebenDie Zukunft des Kasernenareals in Schlanders

Abbruch oder Aufbruch?

Veröffentlicht
am 06.11.2023
Schlanders Kasernenareal: Ein historisches Erbe im Spannungsfeld zwischen Erneuerung und Bewahrung. Die BASIS Vinschgau als Vorreiter mit Herausforderungen.
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BASIS Vinschgau Venosta (56)

Es herrscht Ruhe auf dem Exerzierplatz der Drususkaserne in Schlanders, im Vinschgau. Bis auf das vergnügte Vogelgezwitscher in den Baumkronen ist nichts zu hören. Hannes Götsch steht auf dem großen Platz und lässt seinen Blick über das Kasernenareal aus den 1930er Jahren streifen. Rote Mauern mit unzähligen Fenstern ziehen sich in die Höhe und verdecken einen Teil der schneebedeckten Berge. Ein Bauzaun stört das Bild. Er sperrt den Weg zu einem Gebäude, das teils in Schutt und Asche liegt. Es ist die Palazzina Comando, die einstige Kommandozentrale der Kaserne und eines der vier Gebäude auf dem 4 ha großen Areal. Hannes Götsch seufzt, kehrt der halben Ruine den Rücken und steuert auf die Palazzina Servizi zu. Sie ist Sitz von BASIS Vinschgau Venosta, dessen Initiator und Geschäftsführer Hannes Götsch ist.

Hannes Götsch

„Die BASIS ist aus einem politischen Bedürfnis heraus entstanden. Der Vinschgau ist strukturschwach und es siedeln sich wenig Wirtschaftsunternehmen an, gleichzeitig ziehen viele Menschen weg. Als ich das Kasernenareal sah, erkannte ich dessen Potenzial für das Tal,“ sagt Götsch* mit energischer Stimme. Als er damals seine Idee zur Nachnutzung der Palazzina Servizi dem Schlanderser Bürgermeister vorbrachte, hätte er sich nicht träumen lassen, was einmal daraus entstehen wird.

Basis holt die Welt ins Dorf.

Heute ist die BASIS vieles ‒ Kulturzentrum, Ausstellungsort, Coworking Space, Produktionsstätte, Eventlocation, Ort für Wissenstransfer. Ziel der Struktur ist die regionale Entwicklung in den Bereichen Wirtschaft, Kultur, Bildung und Soziales. BASIS soll den ländlichen Raum stärken und auch junge Menschen anziehen. Das Urban Hub hat einen großen Veranstaltungsraum und bietet Platz für Nischenkultur und Undergroundszenen. Götsch selbst ist ein Kulturmensch und war als DJ häufig in Europa unterwegs, hat aber auch jahrelang im Wirtschaftssektor gearbeitet. „Meine Arbeits- und Lebenserfahrung bringe ich in dieses Projekt mit ein“, sagt Götsch. Er hat klare Augen, leicht rötliche Haare und trägt einen lila-schwarzen Pulli. Mittlerweile sitzt er im Salotto, dem Gemeinschaftsraum mit Bar und Pizzaofen im 1. Stock des Gebäudes. Im Hintergrund hallt ein Stimmengewirr durch den Raum. Italienische, deutsche und englische Worthülsen dringen zu Hannes Götsch durch. Eine Frau setzt sich ans Klavier, die andere stimmt die Gitarre. Eine kleine Gruppe plaudert bei einer Tasse Espresso an der Bar, es ist ein fröhliches Durcheinander und Miteinander. BASIS zieht Künstler:innen, Kreative, Neugierige, Entwickler:innen, Musizierende, Denker:innen und Studierende aus ganz Europa an. Es holt die Welt ins Dorf.

BASIS Vinschgau

Der Abriss

Der Bürgermeister von Schlanders, Dieter Pinggera, sieht BASIS als eine Bereicherung ‒ nicht nur für die Gemeinde, sondern für das ganze Tal Vinschgau. Anfang Oktober 2022 ließ er dennoch in einer Nacht-und-Nebel-Aktion die Kommandozentrale, die sogenannte Palazzina Comando, abreisen. Die Palazzina Tagliamento und die Palazzina Misurata sollen folgen. Die Landeskonservatorin Karin dalla Torre hat das Vorhaben gestoppt und die Palazzina Comando unter vorläufigen Denkmalschutz gestellt. Viele sehen den Abriss des Gebäudes als einen Angriff auf die BASIS. „Der Abriss der Palazzina Comando hat mit der BASIS nichts zu tun“, so Pinggera. „Die BASIS bleibt weiterhin bestehen, ansonsten hätten wir nicht einen 30-jährigen Mietvertrag abgeschlossen. Ohne die Gemeinde gäbe es sie heute nicht.“ Pinggera ist im Mai 2010 Bürgermeister von Schlanders geworden, etwa 3 Monate später ging das Kasernenareal vom Staat ans Land über. „2011-2012 haben wir einen Bürgerbeteiligungsprozess gestartet, bei dem es auch um die Nutzung des Kasernenareals ging. Rund 200 Bürger:innen haben aktiv mitgearbeitet, gemeinsam haben wir geträumt und Visionen geschmiedet.“ Mit Hannes Götsch habe er dann das Konzept für die BASIS entwickelt. Für das restliche Areal hat ein Büro in Rom eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Geplant ist der Abriss der bestehenden Gebäude und der Bau von Eigentumswohnungen, Geschäftsräumen und einer Tiefgarage. „Der Bau von Wohnungen ist eine klare Zielsetzung des Gemeinderats und es ist meine Aufgabe, dies umzusetzen“, sagt Pinggera. „Die Landesregierung hat das Projekt mehrmals abgesegnet, rechtlich sind wir vollkommen in Ordnung.“

Alternative Lösungen

Gerda Platzgummer

Gerda Platzgummer von der Initiative Drususkaserne sieht den Abriss dennoch kritisch und erhofft sich andere Lösungsvorschläge. „In einem 6-seitigen Dokument haben wir eine Vision für das Kasernenareal verfasst“, so Platzgummer. „Uns liegt sehr viel am leistbaren Wohnen. In die bestehenden Gebäude würden wir möglichst viele Kleinwohnungen bauen, aber mietbare, da der Bedarf hoch ist.“ Weiters sieht die Vision Ateliers, Hobbyräume und Ausstellungsräume vor. „Man könnte auch die Wachtürme nutzen, Ideen gibt es viele. Es wäre einfach schade, die Gebäude abzureißen, bei all der grauen Energie, die darin steckt.“ Sie sollte mitbedacht werden, wenn es um nachhaltiges Bauen geht. Dass der Bestand gut ist und ein Abriss nicht die sinnvollste Lösung in der heutigen Zeit, finden auch die Teilnehmenden des BASIS Architektur-Workshops „Sanfte Entmilitarisierung“. 40 Studierende der Universitäten Bologna, Wien, Leuven, Lissabon und Ljubljana sowie Professoren waren angereist, um Ideen und Visionen für eine Umnutzung des Kasernenareals zu entwickeln. Ein Vorschlag war, einen universitären Campus auf dem Kasernenareal zu errichten. In den bestehenden Gebäuden könnten außerdem Wohnungen für Schüler :innen oder Senior:innen, Ausstellungsräume und Werkstätten gebaut werden. „Es ist ein emotional aufgeladenes Thema, als Außenstehender ist es schwierig, die richtige Nutzung vorzugeben, aber eines ist klar: Die Kaserne wartet nur darauf, mit Leben gefüllt zu werden,“ sagt ein Architekturstudent.

Der Vinschgau hätte jetzt die Chance, weltweit gesehen zu werden. Seine lokal gewachsenen Kompetenzen zu zeigen und gleichzeitig zu beweisen, was eine Quartiersentwicklung wirklich nachhaltig macht.

Hannes Götsch

Nachhaltige Quartiersentwicklung

In Südtirol gibt es viele leerstehende Kasernen und das Beispiel der BASIS zeigt, wie eine Nachnutzung aussehen könnte. Die BASIS ist aber auch Schauplatz für einen Konflikt, wie er in vielen anderen Orten ausgetragen wird. Ein Konflikt, dem dieselben Fragen zugrunde liegen. Wie sieht eine nachhaltige Quartiersentwicklung aus? Welche Rolle spielen politische und wirtschaftliche Interessen? Wie werden wir Menschen in Zukunft leben?

Katharina Zeller

Auch in Meran Untermais steht ein Militär-Gebäude seit mehreren Jahren leer. Schon bald aber soll zumindest ein Teil der Kaserne zwischengenutzt werden. „Ein Großteil der Rossi-Kaserne ist bereits ans Land Südtirol übergegangen und wir als Gemeinde Meran haben die Zusage erhalten, ein Teilstück kostenlos nutzen zu dürfen. Dort möchte ich gerne Raum schaffen für Jugend und Kultur“, sagt Katharina Zeller, Vize-Bürgermeisterin von Meran.

Philipp Rier

Wichtig sei ihr, das Areal stückchenweiße zu erschließen, damit zukünftigen Generationen noch Spielraum zur Gestaltung bleibt. „Das Konzept wollen wir gemeinsam mit der Bevölkerung entwickeln. Wenn wir die Türen zu den Kasernen öffnen, dann beginnt ein Prozess.“ Das findet auch Urban Planner Philipp Rier. „Es gibt keine Masterplanung mehr, wir sprechen heute von einer kooperativen Stadtentwicklung. Das heißt, es ist immer ein Prozess. Die Stadt oder das Quartier entwickelt sich immer weiter und dies muss schon im Planungsprozess mitbedacht werden“, so Rier. Dabei sollen die Bürger:innen aktiv involviert sein. „Es heißt, in Schlanders hat es eine Bürgerbeteiligung gegeben. Leider interpretieren wir in Südtirol aber oft falsch, was Bürgerbeteiligung eigentlich bedeutet. Einige wenige öffentliche Treffen reichen nicht aus, die Bevölkerung, die Techniker:innen und die Politiker:innen sollten über einen längeren Zeitraum zusammenkommen, um gemeinsam an einer positiven Zukunft zu arbeiten“.  Zudem finde ich es schade, dass kein Wettbewerb stattgefunden hat. Es braucht Wettbewerbe mit interdisziplinären Teams, welche verschiedene Fachbereiche abdecken. Wenn sich 100 verschiedene Köpfe beteiligen, kommt etwas Besseres heraus, als wenn ein Büro in Rom eine Machbarkeitsstudie macht,“ findet Städteplaner Rier. Eine nachhaltige Quartiersentwicklung ist ein Prozess, der verschiedenste Aspekte miteinbezieht. Nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Soziales, Kultur und Umwelt spielen eine Rolle. „Temporäre Zwischennutzungen werden mittlerweile weltweit als Instrument der Quartiersentwicklung angewendet, um eine soziale und kulturelle Basis zu schaffen“. Laut Rier geben Techniker:innen bei der Planung bestimmte Rahmenbedingungen vor, etwa wenn es um Grünraum, Spielräume oder soziale Interaktionsräume geht. Der Rest sollte im Kollektiv und nicht im Alleingang passieren.

Beim Placemaking geht es unter anderem darum, einen Ort nachhaltig und inklusiv zu gestalten. Der Ort soll Menschen anziehen, begeistern und festhalten.

Flexibel für die Zukunft

Werden urbane Räume in einem Prozess und gemeinsam mit der Bevölkerung erschlossen, spricht man von Placemaking. Beim Placemaking geht es unter anderem darum, einen Ort nachhaltig und inklusiv zu gestalten. Der Ort soll Menschen anziehen, begeistern und festhalten. Wenn Orte kollektiv geschaffen werden, stärkt dies die Identifikation der Menschen mit diesen Orten. Da sich die Bedürfnisse der Menschen über die Jahre verändern, sollten Orte zudem so gedacht werden, dass sie in Zukunft flexibel genutzt werden können. Wie etwa die Räume der BASIS in Schlanders. Der Veranstaltungsraum ist bereits jetzt ein Ort für verschiedenste Events: Tagungen, Konzerte, Hochzeiten und Theateraufführungen. Mit einer Grundfläche von 220 m², einer Raumhöhe von 8,34 m und der umlaufenden Empore, hat er ein historisches Alleinstellungsmerkmal. Bei der Sanierung des Gebäudes hat Hannes Götsch darauf geachtet, so viel wie möglich zu erhalten. „Die Nachnutzung des Gebäudes spart Ressourcen, denn es waren vergleichsweise geringe Anpassungen notwendig, nicht einmal das Dach musste repariert werden“, sagt Götsch.

BASIS Vinschgau

Die Kaserne ist im Stil des Rationalismus gebaut, welcher Wert auf Funktionalität und Licht legt. Letzteres strahlt durch den großen Raum, in dem sich das Coworking Space der BASIS befindet. Der Raum ist hoch, mit Pflanzen und Leben gefüllt. Schreibtische und upgecycelte Möbel stehen herum, Pläne hängen an den Wänden. Tritt man vom Coworking Space auf die Terrasse, fällt der Blick auf die halb abgerissene Palazzina Comando. Hannes Götsch sieht den Abriss des Gebäudes nicht als einen Angriff auf die BASIS, wohl aber auf den heutigen Zeitgeist. „Der Vinschgau hätte jetzt die Chance, weltweit gesehen zu werden. Seine lokal gewachsenen Kompetenzen zu zeigen und gleichzeitig zu beweisen, was eine Quartiersentwicklung wirklich nachhaltig macht. Die Entscheidung zum Abriss der Gebäude ist vor über 10 Jahren gefallen, in der Zwischenzeit hat sich die Welt verändert. Wir müssen anfangen über die Berge hinauszudenken,“ so Götsch. Erneut steht er auf dem Exerzierplatz, seine Augen wandern zur BASIS. Ein Symbol des Zeitenwandels, ein Blick in die Zukunft. Hinter ihm die halb abgerissene Palazzina Comando, eine Ruine der Vergangenheit.

Text: Anna Maria Pircher

*Alle Interviews wurden im Februar 2023 geführt.

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