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Irina Angerer
Veröffentlicht
am 17.04.2019
LebenEltern-Kind-Verhältnis

„Mama, ich ziehe nicht zurück“

Veröffentlicht
am 17.04.2019
Viele Akademiker bleiben nach ihrem Studium im Ausland – oft gegen den Wunsch ihrer Familie. Aber was sind wir unseren Eltern eigentlich schuldig?
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Nach dem Osteressen wird Sarah, 28, ihre Mutter und ihren Vater traurig machen. Das weiß sie. Denn schon oft hat sie in der Vergangenheit mit ihnen über ihre Zukunftspläne gesprochen. Immer wieder wollte ihre Mutter Sarah überzeugen, nach dem Studium wieder nach Hause zurückzukommen. Bei Kaffee und Kuchen haben sie gescherzt und geweint, gestritten und sich wieder versöhnt. Immer und immer wieder. So lange, bis das Thema gewechselt wurde. Nun muss es die Tochter ihren Eltern aber sagen: Sarah hat die Zusage zu einem Job bekommen, weit weg von daheim, zieht nicht so schnell wieder zurück. Sarah freut sich auf ihre Zukunft und fühlt sich gleichzeitig schuldig. Mit diesem Problem ist Sarah nicht alleine.

„Weder der Verweis auf das Lebensgeschenk, noch der auf das ,dicke Blut’ oder der auf die elterliche Fürsorge bürden den Kindern moralische Pflichten auf.“

In Südtirol zieht es immer mehr Akademiker und Akademikerinnen aus Karrieregründen ins Ausland. Das ist das Ergebnis einer kürzlich veröffentlichten Studie des WIFO, des Instituts für Wirtschaftsforschung der Handelskammer Bozen und des Amts für Arbeitsmarktbeobachtung. Oft wird der Ort, an dem man studiert hat, als neuer Wohnsitz gewählt. Eine Entscheidung, die vielen nicht leicht fällt. Gerade in Situationen, wo sich die eigenen Eltern eigentlich etwas anderes erhofft hätten. Sich gewünscht hätten, dass die Kinder nach dem Studium wieder in das Heimatdorf zurückkehren. Für die Kinder ein moralisches Dilemma: Das Gefühl von Freiheit und der Wunsch, sich selbst zu verwirklichen, werden begleitet von einem schlechten Gewissen der eigenen Familie gegenüber. Und von der Frage: Was sind wir unseren Eltern eigentlich schuldig?

Wenn es nach der Schweizer Philosophin Barbara Bleisch geht: genau gar nichts. In ihrem Buch „Warum wir unseren Eltern nichts schulden“ beschäftigt sie sich mit den Fragen nach Schuld und Dankbarkeit. In einem Interview mit dem „Standard” bezeichnet sie Kinder zu bekommen als einen „egoistischen und instinktiven Akt, der darauf hinausläuft, sich weiter fortzupflanzen“. Und: „Weder der Verweis auf das Lebensgeschenk, noch der auf das ,dicke Blut’ oder der auf die elterliche Fürsorge bürden den Kindern moralische Pflichten auf.“ Kinder hätten um ihre Existenz nicht gebeten, und die Kinder aufzuziehen war die Pflicht der Eltern. Außerdem hätten leider nicht alle Kinder fürsorgliche Eltern. Kinder im Erwachsenenalter generell als moralische Schuldner ihrer Eltern zu sehen, überzeugt Bleisch deshalb nicht. Aber ist es nicht genauso egoistisch, nichts von all dem, das Eltern für ihre Kinder aufgegeben haben, wieder zurückzugeben?

„Je weiter eine Beziehung fortschreitet, desto verletzlicher werden die Eltern.“

Spätestens dann, wenn die eigenen Eltern älter werden, erkranken oder vereinsamen. Schließlich haben sie uns nicht nur auf die Welt gebracht, uns ernährt und unsere Ausbildung finanziert, sondern uns auch zu dem Menschen gemacht, der wir heute sind – unabhängig davon, ob die Beziehung zu den eigenen Eltern gut war oder nicht. Auch in Internetforen wird über die Frage nach der sogenannten „Bringschuld“ diskutiert. So schreibt eine junge Frau über ihre Mutter: „Ich möchte so gerne stark sein und mich von ihr lösen. Doch wenn ich schon daran denke, habe ich ein schlechtes Gewissen.“ Ein anderer Leser meint zu dem Thema: „Ich bin ein Anhänger der Reziprozität, man schuldet, was man selbst bekommen hat und hat in der Regel als Mensch auch die Empfindung dieser Verpflichtung.“ Und auch ein zweifacher Vater äußert sich dazu: „Immer wieder wurde einem gesagt, dass man den Eltern dankbar sein soll und denen was schuldet, deshalb auch Vater- und Muttertag. Aber die Entscheidung, ein Kind zu wollen, haben meine Frau und ich getroffen – natürlich auch hergeleitet von der Natur und der Gesellschaft. Ich möchte, dass es mein Kind gut hat, dass es eine schöne Kindheit hat und ihr nichts passiert. Aber sie schuldet mir dafür nichts – wieso auch?“

Für Bleisch ist das Verhältnis von Eltern und ihren Kindern speziell, wie sie in einem weiteren Interview sagt: „Die Beziehung ist einmalig. Man kann sie nicht wählen, und es gibt auch keine Exit-Option. Sie können den Kontakt abbrechen, aber Ihre Eltern bleiben Ihre Eltern, für immer.“ Zudem: „Je weiter eine Beziehung fortschreitet, desto verletzlicher werden die Eltern“, meint Bleisch gegenüber dem St. Galler Tagblatt. Familiäre Beziehungen könnten uns durch ihre Exklusivität und Unkündbarkeit besonders glücklich, aber eben auch sehr unglücklich machen. Und dessen sollten wir uns bewusst sein. Bleibt man nach seinem Studium im Ausland, um seine Träume zu verwirklichen, muss man sich nicht schuldig fühlen. Zumindest wenn es nach nach der Philosophin und der weitläufigen Meinung von Kommentatoren und Kommentatorinnen im Internet geht: Eine Familie sei weder ein Vertrag, den man eingeht, noch eine Pflicht zu lebenslanger Dankbarkeit. Gefühle, den eigenen Eltern etwas schuldig zu sein, trennen und verbinden nicht. Will man später dennoch etwas zurückgeben, dann nicht aus Pflichtgefühl, sondern weil man es will. Der Liebe wegen – so die Botschaft.

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