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Veröffentlicht
am 10.10.2019
LebenStraßenzeitung zebra.

„Ein absurdes Szenario“

Veröffentlicht
am 10.10.2019
Unternehmen suchen händeringend nach Arbeitskräften. Gleichzeitig finden junge Südtiroler, deren Name fremd klingt oder die ein Kopftuch tragen, kaum einen Job.
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EURAC-Forscherin Johanna Mitterhofer

Johanna Mitterhofer und Martha Jiménez Rosano vom Institut für Minderheitenrecht von Eurac Research haben im Mai den Forschungsbericht „Von der Schule in die Arbeitswelt: Jugendliche mit Migrationshintergrund in Südtirol“ vorgelegt. zebra. hat nachgefragt, was sich seitdem getan hat.

Warum ist das Thema “Migrationshintergrund und Berufseinstieg” nach wie vor aktuell?
Sobald derzeit von Migration die Rede ist, sind meist geflüchtete Personen gemeint. Dabei ist das Phänomen viel breiter. So begegnen uns in Südtirol immer mehr Kinder immigrierter Eltern. Untersuchungen zu ihnen fehlen aber bisher. Wir haben erforscht, ob Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Übergangsphase von der Schule zur Arbeit gegenüber Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund vor besonderen Herausforderungen stehen.

Wer ist mit „Jugendliche mit Migrationshintergrund“ oder „Zweiten Generation“ gemeint?
Es geht um junge Südtiroler*innen mit mindestens einem Elternteil, das aus dem Ausland stammt. Das sind Jugendliche und junge Erwachsene, die bereits in Südtirol geboren wurden oder hier zumindest einen Großteil ihrer Schullaufbahn abgeschlossen haben. Meist sprechen sie perfekt Dialekt, Ladinisch oder Italienisch und natürlich noch weitere Sprachen. Die Zahlen sind schwer zu schätzen, weil die Statistiken nicht die passenden Kategorien enthalten. Wir gehen aber davon aus, dass in Südtirol etwa 10.000 Menschen zu dieser Personengruppe zählen. Dabei steigt der Anteil an der Bevölkerung fortwährend an.

Der Begriff „Zweite Generation“ ist umstritten.
In der Forschungsliteratur ist oft von der „zweiten“ und auch „dritten Generation“ die Rede. Diese Begriffe werden von einigen Personen mit Migrationshintergrund akzeptiert. Viele lehnen sie mittlerweile ab, weil sie auf die Migrationserfahrungen der Eltern oder Großeltern verweisen und die eigene Lebenswelt nicht angemessen abbilden. So nennt sich in Italien die größte Vereinigung von Kindern immigrierter Personen CoNNGI – die letzten beiden Buchstaben stehen dabei für „Nuove Generazioni“. Außerhalb Italiens wird auch von „postmigrantischen Generationen“ gesprochen, um auszudrücken, dass Menschen buchstäblich zwischen Grenzen oder über Grenzen hinweg leben.

Zitat aus der Studie:

„Ein junges Mädchen hat hier die Schule gemacht, konnte perfekt Italienisch, Deutsch, Dialekt, aber sie hatte eine dunkle Hautfarbe. (…) Ein Arbeitgeber sagte: ‚Tut mir leid, ich würde dem Mädchen raten, irgendwo in einen Beruf zu gehen, wo man nicht sichtbar ist.‘“ – Mitarbeiterin einer Arbeitsvermittlungsstelle

Zurück zum Forschungsprojekt: Wie haben Sie den Berufseinstieg dieser Jugendlichen untersucht?
Wir haben in einer qualitativen Befragung mit circa 50 Personen gesprochen: mit Expert*innen aus den Bereichen Schule, Arbeitswelt, Soziales einerseits, und mit jungen Personen der zweiten Generation andererseits.

Reicht dies aus, um repräsentative Aussagen für eine so große Bevölkerungsgruppe zu treffen? Worauf zielte die Studie ab?
Unsere Studie ist ein erster Versuch, um zu verstehen, wer zu dieser Personengruppe gehört und vor welchen besonderen Herausforderungen einige ihrer Mitglieder in Südtirol stehen. Dabei haben wir ungefähr gleich viele weibliche und männliche Personen im Alter zwischen 15 und 35 Jahren befragt. Sie befinden sich entweder noch in Ausbildung oder sind in den letzten Jahren in die Arbeitswelt eingestiegen. Es geht um diese Übergangsphase.

Warum ist gerade diese Phase relevant?
Schule ist, trotz aller Problematiken, die sich auch in ihr wiederfinden, ein gut strukturierter Raum, der fast allen Jugendlichen zugänglich ist. Die Arbeitswelt sieht da ganz anders aus. Hier bekommen viele Menschen zu spüren, welche Auswirkungen es hat, wenn man sich in manchen Aspekten von der Mehrheit unterscheidet.

Zu welchem Schluss sind Sie gekommen? Fällt der Übergang von der Schule in den Beruf für Personen mit und ohne Migrationshintergrund unterschiedlich aus?
Die Unterschiede sind beachtlich. Die größte Rolle spielt dabei, wie Personen von Arbeitgeber*innen wahrgenommen werden. Wir haben durch Gespräche mit Lehrpersonen und Arbeitsvermittler*innen herausgefunden, dass eine Person mit „ausländisch“ klingendem Nachnamen in Südtirol weitaus größere Schwierigkeiten hat, zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden als andere. Auch wenn eine junge Südtirolerin Kopftuch trägt, sind ihre Jobaussichten drastisch reduziert. Es geht aber nicht nur um wahrnehmbare Merkmale. Bei der Suche nach Arbeit oder auch nur einem ersten Praktikum ist das persönliche Netzwerk wichtig. Personen mit Migrationshintergrund haben ein anderes Netzwerk als Menschen, deren Familien von jeher in Südtirol leben. Natürlich fällt auch der sozioökonomische Hintergrund ins Gewicht. So ist es für junge Menschen schwer, aus gegebenen Strukturen auszubrechen und beispielsweise eine Unikarriere anzustreben, wenn die Eltern nicht studiert haben.

Zitat aus der Studie:

„Bei Vorstellungsgesprächen ist es oft so, dass man begeistert von meinen Sprachkenntnissen und meiner Ausbildung ist. Man bietet mir die Arbeit dann aber nur unter der Kondition an, dass ich das Kopftuch abnehme. Das kann und will ich nicht. Ich suche dann weiter, aber einfach ist das nicht.“ – Studentin, Muslima

Das hört sich nach Opferrolle an: Das gesellschaftliche und familiäre Umfeld sind für die Schwierigkeiten beim Berufseinstieg verantwortlich – ist das nicht zu einfach?
In unserem Bericht stellen wir auch viele erfolgreiche junge Personen der zweiten Generation dar. Allerdings sagen sie oft, dass sie es „trotz“ Migrationshintergrund weit gebracht haben und dass sie sich doppelt anstrengen mussten, um dasselbe zu erreichen wie Gleichaltrige ohne Migrationshintergrund. Um eben die Darstellung als Opfer zu vermeiden, haben wir gezeigt, welche Strategien manche junge Menschen entwickeln, um trotz der besonderen Herausforderungen Arbeit zu finden. Es gibt etwa junge Erwachsene mit Migrationshintergrund, die proaktiv ihre interkulturellen Fähigkeiten, ihre Sprachkenntnisse oder auch ihr persönliches Netzwerk außerhalb Südtirols nutzen, um in der Arbeitswelt zu punkten. Andere versuchen ihr „Anders-sein“ so weit wie möglich zu verstecken.

Auf der einen Seite haben wir Firmen, die nach Arbeitskräften suchen, auf der anderen Südtiroler*innen mit Migrationshintergrund, die sich schwer tun, freie Stellen zu besetzen.
Ja, das ist ein geradezu absurdes Szenario. Hinzu kommt, dass junge Menschen mit Migrationshintergrund auch leicht über die Grenzen der Provinz hinausschauen. Wenn es hier nicht klappt, haben sie das Werkzeug – die Sprachkenntnisse, interkulturellen Fähigkeiten und ein manchmal weitreichendes familiäres Netzwerk – um es mit der Arbeitssuche auch anderswo zu versuchen. Der sogenannte „Brain-Drain“ ist da vorprogrammiert. Südtirol verliert dadurch möglicher Weise wertvolle und hoch qualifizierte Arbeitskräfte an Nachbarprovinzen und an das Ausland.

Ein Umdenken in der Gesellschaft und komplexe Marktmechanismen brauchen Zeit. Lösen sich diese Schwierigkeit nicht nach und nach von allein?
Eines Tages wird es ganz selbstverständlich auch in Südtirol Bankangestellte mit Kopftuch geben oder Provinzangestellte mit pakistanischem Namen. Diese werden dann gewisse Türen öffnen und eine Vorbildfunktion für weitere junge Menschen mit Migrationshintergrund einnehmen.

Wo könnte die Politik eingreifen, um Benachteiligungen heute entgegenzuwirken?
Die Einrichtung einer politisch legitimierten und unabhängigen Antidiskriminierungsstelle wäre in Südtirol fundamental. Diskriminierungen sind ungerechtfertigte Benachteiligungen, zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt. Sie sollten gemeldet und verzeichnet werden. Außerdem müsste die Antidiskriminierungsstelle auch Bewusstseinsbildung betreiben. So muss Arbeitgeber*innen klar werden, dass Diskriminierung nicht legal ist. Und auch die Betroffenen selbst sind über ihre Rechte oft nicht ausreichend informiert. Darüber hinaus sollte auf das Empowerment – die Stärkung – von jungen Personen mit Migrationshintergrund gesetzt werden.

Zitat aus der Studie:

„Du trägst in Wirklichkeit einen Reichtum in dir, den nur wenige Bürger dieses Landes haben (…). In einer globalisierten Welt, wo Sprachen so wichtig sind, bist du mit deiner Mehrsprachigkeit schon einen Schritt weiter!” – Student, Eltern aus Marokko

Was können Unternehmen tun?
Firmen, die als positives Beispiel voran gehen möchten, können auch Praktikumsstellen oder Tage der offenen Tür speziell für Personen anbieten, die in bestimmten Bereichen des Arbeitsmarkts unterrepräsentiert sind.

Würde das nicht umgekehrt Südtiroler*innen ohne Migrationshintergrund benachteiligen?
Positive Diskriminierung kann ein wichtiges Instrument sein, um Gleichberechtigung zu erzielen. Doch fairerweise sollten Arbeitnehmer*innen in erster Linie nach Personen mit bestimmten Kompetenzen suchen, das kann etwa auch die Kenntnis der arabischen Sprache sein. Auf eine entsprechende Ausschreibung könnten sich dann alle Personen bewerben, die Arabisch beherrschen – auch Südtiroler*innen ohne Migrationshintergrund.

Seit der Veröffentlichung der Studie ist bald ein halbes Jahr vergangen. Wurden schon Maßnahmen durch die Politik getroffen?
Es gab sehr viel Interesse von Seiten der Medien und auch Vertreter*innen aus der Verwaltung der Autonomen Provinz haben an der Vorstellung unserer Ergebnisse teilgenommen. Ich wüsste nicht, dass bisher konkrete Maßnahmen umgesetzt wurden. So steht die Einrichtung einer Antidiskriminierungsstelle – die immerhin durch ein Landesgesetz vorgesehen ist – noch immer aus. Ich hoffe aber, dass ein breites Bewusstsein für das Thema geschaffen wurde und wir, zum Wohl von Bürger*innen und der lokalen Wirtschaft, auf lange Sicht Auswirkungen der Studie beobachten können.

Von Adrian Luncke und Sandra Sgarbossa

Der Artikel ist erstmals in der 52. Ausgabe (September 2019) der Straßenzeitung zebra. erschienen.

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