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Veröffentlicht
am 28.02.2020
MeinungHe says, she says

Therapie Frauenquoten?

Veröffentlicht
am 28.02.2020
Frauenquoten sind auch in Südtirol – dem Land des ethnischen Proporzes – umstritten. Sie sollen Ungleichheit abschaffen, können sie aber auch verstärken.
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She says:

Pünktlich zu Landtags- oder Gemeinderatswahlen diskutiert Südtirol immer wieder mal über die Präsenz von Frauen im öffentlichen Leben. Doch obwohl bei solchen Diskussionsrunden die Geschlechter-Bilanz immer noch schlecht ausfällt, bleiben die heftigen Reaktionen meist aus, und die Empörung richtet sich stattdessen gegen das „Unwort“, das in diesen Debatten oft aufgegriffen wird: Frauenquoten. Für viele gelten sie als der Inbegriff der Geschlechterdiskriminierung im umgekehrten Sinne und als Anfang vom Untergang des Abendlandes.

Doch wo liegt der Unterschied zum ethnischen Proporz in Südtirol? Ist eine Berücksichtigung ethnischer Herkunft bei Stellenbesetzungen nicht genauso unfair wie eine Berücksichtigung der Geschlechter? Nein, würden die meisten sagen, denn es geht um eine proportionale Beteiligung der Sprachgruppen. Genau darum geht es aber auch bei Frauenquoten: Um eine gerechtere Vertretung beider Geschlechter im öffentlichen Leben. Man kann nicht von einer wahren Demokratie sprechen, wenn die Hälfte der Bevölkerung bei aktiven Entscheidungen nicht repräsentiert ist.

Studien zeigen, dass Quotenregelungen dabei helfen. Zum Beispiel eine Studie des europäischen Parlaments: Mehr als ein Drittel Frauen sind in jenen EU-Ländern vertreten, die entweder seit 70 Jahren für Gleichberechtigung kämpfen, wie die skandinavischen Länder, oder Quoten gesetzlich festgeschrieben haben, wie etwa Spanien, Portugal und Belgien. Auch Deutschland zählt dazu, weil dort jede Partei eine Quotenregelung freiwillig durchsetzt. Natürlich funktionieren Quoten nur, wenn sie auch wirklich umgesetzt werden. Und genau darin liegt häufig das Problem. Auch in Südtirol.

Dass ein ausgeglichenes Geschlechterbild in Führungspositionen zu besseren Resultaten des Unternehmens führt, ist durch etliche Studien bewiesen.

Aber nicht nur in der Politik, auch in der Wirtschaft muss das Verhältnis zwischen Männern und Frauen ausgewogener werden. Dass ein ausgeglichenes Geschlechterbild in Führungspositionen zu besseren Resultaten des Unternehmens führt, ist durch etliche Studien bewiesen. So zeigte 2007 die Beratungsgesellschaft McKinsey, dass eine Frau im Aufsichtsrat zu einem besseren Börsenkurs beiträgt. Doch bevor es wieder einen Aufschrei nach dem Motto „Die Fähigkeiten zählen, nicht das Geschlecht“ gibt – bei Quotenregelungen wird eine Frau nur dann bevorzugt, wenn sie dieselben beruflichen Qualifikationen wie der Mann aufweist. Das heißt, keinem Mann, der bessere Voraussetzungen für den Beruf mitbringt als die weibliche Konkurrentin, würde die Stelle aufgrund seines Geschlechts verwehrt.

Wer jetzt immer noch von Ungerechtigkeit spricht, dem gebe ich recht, dass Bevorzugung anhand von Geschlechtern unfair ist. Doch ist es nicht viel unfairer, dass nicht einmal zwei Prozent aller beschäftigten Frauen in Südtirol eine Führungsposition innehaben? Oder dass wir Frauen im Durchschnitt 17 Prozent weniger verdienen als Männer? Ist also die Benachteiligung der Frau aufgrund von Geschlechterrollen und -stereotypen (sie sind zu emotional, zu schwanger, zu unzuverlässig), die sich über Jahrhunderte entwickeln konnte, nicht ein viel größeres Problem?

Eine echte Gleichstellung ist ohne diese „Zwangsmaßnahme“ nicht möglich. Frauenquoten sind ein „notwendiges Übel“, um Gleichheit zu schaffen. Sobald diese erreicht ist und Vorurteile abgebaut sind, können sie wieder abgeschafft werden. Oder, um es in den Worten von Brigitte Foppa auszudrücken: „Frauenquoten sind wie Hustensaft. Solange man krank ist, muss man ihn nehmen, immer mit dem Ziel, ihn irgendwann absetzen zu können, wenn der Husten vorbei ist.“ Na dann, gute Besserung, liebe Gesellschaft im 21. Jahrhundert. Mit der richtigen Therapie klappt die Genesung bestimmt.

He says:

Ich versuche generell, auf Medikamente zu verzichten und setze lieber auf das körpereigene Immunsystem. Aber davon will ich jetzt keine allgemeingültigen Aussagen ableiten.

Ein Hauptargument für Frauenquoten ist ja die Vorbild- bzw. Pionierfunktion, die von Frauen in Führungspositionen ausgeht. Der geringe Anteil an Frauen in den oberen Etagen hänge nämlich auch damit zusammen, dass viele Frauen es sich aufgrund ihrer Sozialisation gar nicht zutrauen, bestimmte Positionen zu bekleiden und daher bestimmte Karrierewege von Beginn an vermeiden. Einzelne Ausnahmefrauen, die dann auch mal „Mutti“ genannt werden, können daran nichts ändern. Erst, wenn Frauen in Führungspositionen die Norm werden (zum Beispiel durch Frauenquoten), dann kann sich auch strukturell etwas ändern und junge Frauen werden sich vermehrt um höhere Stellen bewerben. Darunter wird es auch Frauen geben, die ihren Job viel besser machen, als ihre männlichen Kollegen von heute. Viel, viel weniger menschliches Potential würde verschwendet werden.

Das leuchtet ein und in diesem Lichte sind Frauenquoten auch sinnvoll. Es wäre schwierig, dagegen zu argumentieren, es sei denn, man gehört zu genau jenen Männern, deren Arbeitsstelle in diesem Szenario von einer fähigeren Frau besetzt würde.

Früher schafften es auch noch Arbeitersöhne in die hohen Positionen, jetzt werden sie von Bürgerstöchtern verdrängt.

Wichtige Schritte in diese Richtung werden zurzeit schon gesetzt, auch wenn es noch nicht genug sind. Die Kommissare der Europäischen Kommission setzen sich unter der Leitung von Ursula von der Leyen zum Beispiel zur Hälfte aus Frauen, zur Hälfte aus Männern zusammen. Auch ich würde mich dem allgemeinen Beifall anschließen und das ein zukunftweisendes Manöver nennen. Leider geht die Therapie „Frauenquote” – besonders im Falle Ursula von der Leyens – mit unerwünschten sozialen Nebenwirkungen einher, die von den (meist linken) Verfechtern der Geschlechtergerechtigkeit großteils völlig ignoriert werden.

Michael Hartmann, ein deutscher Elitenforscher, ist selbst ein Befürworter von Frauenquoten, hat aber auch die Nebenwirkungen genauer untersucht. Durch die Quoten, so kritisiert Hartmann, verschärfe sich die soziale Selektion nämlich noch weiter, das heißt, es kommen im Grunde fast ausschließlich jene Frauen in Spitzenpositionen, die einen bürgerlichen bis großbürgerlichen Hintergrund haben. So geschehen auch im Falle Ursula von der Leyens. Früher schafften es auch manchmal noch Arbeitersöhne in die hohen Positionen, jetzt werden sie zunehmend von Bürgerstöchtern verdrängt. Bedenklich sei dieser Trend vor allem in der Politik, sagt Hartmann: Menschen aus wohlsituierten Familien seien nämlich im Durchschnitt nachweislich weniger empfänglich für Fragen der sozialen Gleichheit als Menschen aus Arbeiterfamilien.

Wenn bestimmte soziale Schichten politisch unterrepräsentiert sind, ist das ein großes Problem. Hartmanns Untersuchungen zeigen, dass bis Mitte der 60er-Jahre nur ein Drittel der deutschen Minister aus dem Bürgertum – also aus den oberen drei bis fünf Prozent der Bevölkerung – stammten. Heute sind es über zwei Drittel. Nur noch zwei Kabinettsmitglieder stammen dagegen aus Arbeiterfamilien. Der Trend zur Unterrepräsentiertheit der Arbeiterschicht geht einher mit einer zunehmenden Erosion des Sozialstaats, Liberalisierungen und einer immer tieferen Kluft zwischen Arm und Reich. Ein Beispiel: Bis Mitte der 1990er-Jahre verdiente ein Vorstandsmitglied eines Dax-Konzerns im Schnitt das 14-Fache dessen, was ein Beschäftigter desselben Unternehmens verdiente. Heute ist es, je nach Studie, das 50- oder sogar 70-Fache.

Frauenquoten sind notwendig. Es wäre aber schade, wenn sie dieser Entwicklung weiteren Vorschub leisten.

Autorin: Julia Tappeiner
Seit ihrer Zeit im patriarchalen Kasachstan eine überzeugte Feministin. Steht nichtsdestotrotz auf rasierte Achseln, hasst keine Männer und lässt sich von ihrem Freund auch mal einladen. Der nächste Aperitivo geht dann wieder auf sie.

Autor: Teseo La Marca
Progressiv mit Vorbehalten. Glühender Verfechter der echten Gleichberechtigung. Ärgert sich aber insgeheim, wenn er im Haushalt mehr machen muss als seine Freundin.

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