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Veronika Ellecosta
Veröffentlicht
am 30.12.2020
MeinungKommentar zu Auslandssüdtirolern

Hört auf, euch besonders zu fühlen!

Veröffentlicht
am 30.12.2020
„Ich bin aus Südtirol“ ist der „Ich bin vegan“-Sager der Südtiroler im Ausland: Wir reiben es allen unter die Nase. Warum wir nicht mit unserer Herkunft prahlen sollten.
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Wir könnten den Ball(on) auch mal flachhalten, meint unsere Autorin.

Manchmal, wenn A. ein Argument gegen mich zu gewinnen droht, vollführe ich einen rhetorischen Kniff und ziehe es vor, die Opferkarte auszuspielen. Du weißt ja nicht, wie sich das anfühlt, als Südtirolerin, als Minderheit, necke ich ihn dann. Dann lacht A., wir legen unsere Auseinandersetzung beiseite und entwerfen zusammen eine ironische Welt, in der ich so wahnsinnig besonders aufgrund meiner Herkunft bin. A. stammt aus Irgendwo-in-Österreich, aber eine regionale Spezifizierung ist an dieser Stelle nicht nötig. Dass die regionale Spezifizierung nicht nötig ist, trifft auch eigentlich genau den Kern des Vergleichs Südtirol-Veganismus: Für A. ist seine Heimatregion nicht sein Hauptidentifikationsmerkmal, sein Aushängeschild, ich möchte sagen: seine Herkunftsregion ist für A. nicht das, was der Veganismus für einen Vegan Lebenden ist. Er muss sie nicht allen und jedem unter die Nase reiben. Denn A. ist nicht aus Südtirol und weiß nicht, wie sich das anfühlt, so als Minderheit.

Bei mir ist das anders. Ich weiß, welche Aufmerksamkeit mir das Südtiroler-Sein außerhalb von Südtirol beschert. Ich habe genügend Gesellschaften besucht, wo ich danke meiner Herkunft mit wohlwollender Herzlichkeit und freundlichem Interesse aufgenommen wurde. Mal liebt man die Berge („Vergangenes Jahr waren wir auf diesem Fernwanderweg bei Meran“), ein anderes Mal erinnert man sich an den Familienskiurlaub („Diese schönen Dolomiten!“), an die Kulinarik („Wir lassen uns immer den Wein aus Tramin liefern!“) und die freundlichen Gemüter („Was für ein niedlicher Dialekt!“).

Ich bin auch gut vertraut mit den wissbegierigen Fragen, die man unter neuen Bekannten immer wieder zu hören bekommt und die je nach Wissensstand der Fragenden unterschiedlich geartet sind. Wie das denn so ist mit dem nationalen Zugehörigkeitsgefühl, fragen die politisch Gebildeten – oder auch diejenigen, die aus den Nachbarländern kommen und denen die Südtirolfrage überhaupt ein Begriff ist. Die anderen, und damit meine ich eigentlich den Rest der Welt, wollen hingegen meistens erst wissen, warum man als Italienerin einen deutschen Akzent hat.

Südtirol generiert Aufmerksamkeit, und die wollen wir alle gerne haben.

Ich habe mir im Laufe der Jahre ein Repertoire an Antworten auf diese Fragen zurechtgelegt, die ich, je nach Stimmung, abfeuern kann. Kurze und knappe Antworten, oder auch ausführliche – wobei ich meistens gründlich über die Geschichte Südtirols und das daraus resultierende Identitätsgefühl meiner Generation erzähle. Denn eigentlich bin ich ja auch ein bisschen stolz, wenn ich Jahreszahlen und Geschehnisse aneinanderreihe, sprachliche und kulturelle Besonderheiten hervorhebe und über die Casa Pound und andere Ewiggestrige schimpfe. Südtirol ist mein Fachgebiet im Smalltalk. Südtirol ist eben was Besonderes. Südtirol ist ja nicht boring Nordrhein-Westfalen, St. Pölten oder Verona.

Mit dieser Selbstinszenierung stehe ich bei weitem nicht alleine da. Wann immer ich Südtirolern im Ausland begegne, spiele ich ein kleines Spiel mit mir selbst und beobachte genau, wann die betreffende Person Südtiroler Herkunft in der Runde sich als Südtiroler zu erkennen geben wird, denn das kommt eigentlich immer vor, und meistens geht es ziemlich schnell. Ich habe diese Undercover-Südtiroler in zwei Gruppen eingeteilt (es kann natürlich auch immer Hybridformen geben): Die raffinierten Köpfe im deutschsprachigen Raum lotsen ihre Gesprächspartner diskret auf die Fährte und reden einen ausgeprägten Dialekt; manche übertreiben es ein bisschen, indem sie mal eben für Südtirol dialekttypische Begriffe verwenden: „angaling, magari, Patent, sell…“. Spätestens zu diesem Zeitpunkt fühlt sich die Gesprächsrunde meistens gezwungen, die Herkunftsfrage zu stellen.

Die zweite Gruppe nenne ich die Komparatisten. Jene also, die aufmerksam ein Gespräch mitverfolgen und lauernd auf die erste Gelegenheit warten, wo sie dann das Besprochene mit den Verhältnissen in Südtirol vergleichen können. Diese beginnen ihre Ausführungen meistens mit „Also bei uns in Südtirol ist es ja so…“. Beide Gruppen, ob raffiniert oder plump, haben eines gemeinsam: Südtirol generiert Aufmerksamkeit, und die wollen wir alle gerne haben.

Wir können gerne ein bisschen stolz sein, aber wir sollten uns auch des Zufallsprinzips hinter unserer Herkunft bewusst sein.

Ich möchte niemandem seinen Lokalpatriotismus vermiesen. Natürlich hat Südtirol eine komplexere und sensiblere jüngere Geschichte als die meisten Nachbarregionen. Und es ist natürlich immer zu begrüßen, wenn sich Menschen mit regionalem, sprachlichem und kulturellem Pluralismus auseinandersetzen und als Boten davon durch die Welt gondeln. Aber ich finde es schade, wie sehr wir Südtiroler im Ausland – und ich nehme mich davon nicht aus – uns über unser Südtiroler-Sein identifizieren. Mir ist dabei bewusst, dass National- und Regionalbewusstsein im Dialog mit den Außenstehenden erst richtig aufblühen. Und natürlich empfinden viele Südtiroler meiner Generation ihre Identität als Südtiroler als vielschichtig und kompliziert und hängen auch ein bisschen zwischen den Stühlen. Wir geben uns deshalb vermutlich besonders Mühe, uns unsere Identität zu erzählen und uns ihrer immer wieder zu versichern. Und wir müssen uns stets gegen Zuschreibungen von Außen zur Wehr setzen: So protestieren wir natürlich, wenn man uns im Ausland für Österreicher hält oder für Schweizer oder, am allerschlimmsten, für „Bundesdeitsche“.

In diesem ausklingenden 2020 sind wir, die Schengengeneration, uns wohl so schmerzhaft wie noch nie zuvor der nationalen Grenzen bewusst geworden. Plötzlich spielten Staatsbürgerschaften und Wohnsitze eine Rolle, und auch der starke italienische Reisepass war kein Freifahrtsschein mehr. Da wurde die Herkunftsfrage noch größer, als sie für uns vorher schon war. Dieses merkwürdige Jahr hat uns auch gezeigt, dass wir uns zwar unser Südtiroler-Sein stolz auf die Fahnen schreiben, denselben Stolz auf die Herkunft aber anderen Menschen gleichzeitig absprechen: Indem wir etwa Menschen aufgrund ihrer syrischen, somalischen oder afghanischen Herkunft mit Misstrauen und Abneigung begegnen, ihnen Asyl verweigern, oder sie menschenunwürdig in Flüchtlingscamps an der EU-Außengrenze dahinvegetieren lassen.

2020 haben Schwarze Menschen uns einmal mehr darauf hingewiesen, dass sie aufgrund der Herkunft ihrer Vorfahren immer noch zu viele Rassismuserfahrungen im Alltag machen. Im Roulette des Lebens sind wir mit unserem Südtiroler-Sein bei unserer Geburt ohne unser Zutun auf die Gewinnerseite gefegt worden. Wir können gerne ein bisschen stolz darauf sein, aber wir sollten uns auch des Zufallsprinzips hinter unserer Herkunft bewusst sein. 2021 möchte ich deshalb ein bisschen weniger regionalpatriotisch durch die Welt gehen und gerne alles sein, was mein Ich mir so zu bieten hat, aber nicht vorrangig Südtirolerin.

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