Die verrückte Sardin
Angela Vacca hat lange gearbeitet, bis sie ihr Agriturismo eröffnen konnte.
Die staubige Schotterstraße vergisst man schnell, sobald man über den letzten Pass gefahren ist und sich ein Panorama auftut, das an ein Szenario einer Winnetou-Episode erinnert. Hinter einer harmonischen Hügellandschaft auf der linken, dem Meer am Horizont und der malerischen Felsenkette des Ar Cuentu auf der rechten Seite, liegt die L’Oasi del Cervo. Inmitten jener Gegend Sardiniens, die bis vor einigen Jahrzehnten dank des Bergbaus noch blühte. Doch dann kam der wirtschaftliche Abstieg im „Sulcis Iglesiente", der Südwestküste der Insel: Die Minenarbeiter verloren ihren Platz, ihre Kinder die Zukunft. „Jeder war daran gewöhnt, einen festen Arbeitsplatz zu haben. Nachdem die Mine geschlossen wurde, wussten die Leute nicht mehr, was sie anfangen sollten. Denn der Unternehmergeist, der fehlt den Leuten hier“, sagt Angela Vacca, selbst Tochter einer Bergbaufamilie.
Der Mittfünfzigerin fehlt der Unternehmergeist dagegen nicht. Wie Don Quichotte gegen die Windmühlen, kämpfte sie anfangs gegen die Skepsis des Dorfes, der Gemeindeverwaltung und ihrer Familie. Als Angela nämlich vor über einem Jahrzehnt mit der Idee eines Agriturismo auftrat, schüttelten die Männer nur den Kopf. La Matta, die Verrückte, nannten die Dorfbewohner Angela. Sie ließ sich aber nicht abschrecken, sondern folgte ihrem Traum, am isolierten Berghügel, wo ihre Familie einen alten Ziegenstall besaß, ein Agritursimo aufzubauen. Lange mühte sie sich ab, bis sie die Genehmigungen für die Umbauarbeiten und den Bau der Zisterne bekam. „Viele Sarden erkennen nicht, von welcher Schönheit wir umgeben sind, was für ein Potenzial in unserer Landschaft steckt. Die Leute kommen nicht nur wegen des Meeres, sondern auch, um zu wandern oder die Minen zu besichtigen. Unsere Flagge zeigt vier Männer mit verbundenen Augen – so sind die Sarden – blind vor der eigenen Schönheit. Die Augenbinde habe ich schon vor langem abgelegt“, erzählt sie.

Heute ist die Oasi del Cervo mehr als nur ein Geheimtipp. Gäste aus ganz Italien und Europa haben das romantische Plätzchen mittlerweile entdeckt. Höhepunkt jedes Besuchs bei Angela ist das Abendessen. Ab 21 Uhr serviert die leidenschaftliche Köchin all jene Köstlichkeiten, die sie seit dem Vormittag selbst zubereitet hat. Die Zutaten liefert der eigene Garten, das Fleisch der kleine Bauernhof. Nach panierten Zucchini, Hirschwurstaufschnitt, gebackenen Peperoni, Pecorino-Käse und roten Zwiebeln, folgt der erste Gang, dann der zweite, zwei Hauptspeisen samt Beilage, dann die frische Macedonia, noch warme Bignets alla crema und Meringen. Wer kann, trinkt noch einen Espresso und um ein Uhr morgens dann den Verdauungsschnaps, der uns Gästen helfen soll, uns in die spartanischen Kammern zu befördern.
Am Tag darauf, nach einem langen und ruhigen Verdauungsschlaf, ist man wieder bereit ins Tal hinabzufahren, um sich auf dem kilometerlangen und menschenleeren Strand von „Piscinias" auf ein neues Abendessen bei Angela zu freuen – der Strandfigur trotzend.
veröffentlicht am 28. August 2013 2013-08-28T06:00:00+02:00
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