Die Hausbesetzer
Sie haben keine Wohnungen mehr und handeln in der Not: ganz normale Menschen.
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Bild: Gustav Hofer
Fast eine Stunde dauert die Fahrt mit der METRO A vom Stadtzentrum Roms bis zur letzten Haltestelle Anagnina. Nach einer langen Unterführung erreicht man das, was man wohl das Ende der Stadt nennen könnte, wo es bis zu Ikea nur noch 900 Meter sind, und der wilden Urbanisierung freier Lauf gelassen wurde. Die Bar am Straßenrand erinnert an einen Saloon aus einem Western, anstatt Cowboys scharen sich darin aber von den Baustellen heimkehrende rumänische Arbeiter, die an großen Bierflaschen nippen.
Der Via Tuscolana entlang weiter, führt der Weg vorbei an einem Gebäude des Statistikamts und daneben stößt man auf einen roten Eisenzaun, der nur von einem Eingang unterbrochen wird. Am Gitter steht ein Mann, der jeden prüft, bevor er das Tor öffnet. Hinter ihm weht die Flagge von Rome in Action, einer Organisation, die sich mit Hausbesetzungen einen Namen gemacht hat. Neben dem freundlichen Mann begrüßt mich mit einem herzlichen Lächeln Tamara. Die 31-Jährige lebt in diesem dreistöckigen Gebäude, das sich hinter ihr erhebt. Eigentlich sollte es ein Studentenheim werden, aber seit der Fertigstellung durch einen privaten Bauunternehmer vor knapp zehn Jahren steht der Wohnblock leer. Am 6. Dezember letzten Jahres haben Tamara und weitere 140 Menschen das Haus besetzt. Singles, italienische und Einwandererfamilien, junge Pärchen mit Kindern und Senioren – sie alle hatten ihre alte Bleibe aus unterschiedlichsten Gründen verloren. Eine Sozialwohnung ist für die meisten ein weit entfernter Traum, die Besetzung ist oft die einzige Alternative zu einem Leben unter einer Brücke. Nach familiären Problemen war Tamara zunächst bei Bekannten untergebracht. Als sie dann noch ihren Job in einem Unternehmen verlor, wusste sie nicht mehr weiter und wandte sich an Rome in Action, erzählt sie mir.
Am Hauseingang groß aufgeschlagen hängt die Hausordnung. Jeder, der Teil dieser Gemeinschaft sein will, muss die Regeln einhalten: Toleranz, Antirassismus und Antifaschismus, keine Akzeptanz für Gewalt jeglicher Form. Wer diese Prinzipien nicht einhält, verliert seinen Platz. Jeder muss zudem bei der Reinigung der Gemeinschaftsareale mithelfen und in regelmäßigen Abständen Wache stehen, denn eine Besetzung verstößt gegen das Gesetz. „Wir versuchen hier unsere Würde zu verteidigen und das Recht auf eine menschenwürdige Unterkunft. Die Besetzung ist ein Akt der Verzweiflung, ein letzter Rettungsanker. Es ist die Hoffnungslosigkeit, die dich zum Bruch des Gesetzes führt. Aber in einem gerechten Staat müsste jedem zumindest ein Dach über dem Kopf garantiert werden“. Tamara hofft, noch lange im besetzten Haus von Anagnina bleiben zu können, zumindest so lange, bis auch sie in den Genuss einer Sozialwohnung kommt. Aber das könnte in Krisenzeiten wie diesen wohl noch lange dauern.
veröffentlicht am 20. September 2013 2013-09-20T13:00:00+02:00
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Danke, danke, danke... für diese sehr lesenswerten Artikel! Es könnte aber manchmal etwas ausführlicher sein!
Bitte weiter solche Themen behandeln, können viele Leute bei uns noch was lernen!
Riesen Kompliment an Barfuss!!