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Mara Mantinger
Veröffentlicht
am 31.07.2017
LeuteSo forscht Südtirol

Komplizierte Identität

Veröffentlicht
am 31.07.2017
Valeria von Miller beschäftigte sich mit der Identität der Südtiroler. Warum sich Südtiroler im Ausland als Österreicher vorstellen und der Begriff Heimat vielen nicht leicht von der Zunge geht.
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flickr-Kurverwaltung Meran – Andrea Bombardelli.jpg

Als sich Valeria von Miller nach einem Thema für ihre Magisterarbeit umsah, gab es in Südtirol gerade einen Trend: das Bexn. Dabei stellt man einen Fuß auf eine Erhöhung, stützt den Ellenbogen am Oberschenkel ab und macht mit dem Zeigefinger den „Solbei-Gruß“. In der Facebook-Gruppe „Bexn worldwide“ werden Fotos von Südtirolern gesammelt, die auf der ganzen Welt bexn. Valeria von Miller, die zu diesem Zeitpunkt Publizistik- und Kommunikationswissenschaften an der Universität Wien studierte, wurde darauf aufmerksam: Wie kommt es, dass etwas mit so lokalem Bezug auf der ganzen Welt gemacht wird?

Valeria, du bist 2014 auf das Bexn aufmerksam geworden und darüber auf das Thema deiner Magisterarbeit gekommen. Worum ging es darin konkret?
Ich habe mich gefragt, ob Globalisierung und weltweite Vernetzung uns tatsächlich zu weltoffeneren Menschen machen oder ob vielleicht das Umgekehrte der Fall ist: Ob Menschen wieder stärker nach regionalen und lokalen Ankerpunkten suchen. Klingt sicher etwas komisch, aber als vor ein paar Jahren auf Facebook immer wieder vom „Bexn“ die Rede war und ich Fotos sah, wo auf einer südostasiatischen Insel mit Einheimischen „gebext“ wurde, habe ich mir die Situation vorgestellt: Wie haben die das wohl den Leuten erklärt und sie überredet, mitzumachen? Verstehen tut man es ja nur im regionalen Kontext – gebext wurde aber weltweit. Mir wurde bewusst, wie viele Gruppen im internationalen Netzwerk Facebook einen lokalen oder regionalen Bezug haben. Da wurde ich auch auf das Thema aufmerksam: Das Lokale im Globalen. Wie wird es in sozialen Netzwerken gelebt? Was geschieht mit der Identität? Gibt es Unterschiede, ob man sich im In- oder Ausland aufhält? Mein Ziel war es, herauszufinden, ob die Südtiroler diese potenzielle Weltoffenheit der sozialen Netzwerke nutzen oder ob sie sich auch in den sozialen Netzwerken regional verhalten. Konkret also: ob wir lokal verankert aber global vernetzt sind. Dafür habe ich eine qualitative Studie gemacht, für die ich Südtiroler Studenten interviewt habe – im In- und im Ausland. Die Studie ist natürlich nicht repräsentativ, aber sie zeigt eine klare Tendenz.

Zu welchen Ergebnissen bist du gekommen?
Meine erste zentrale Beobachtung war, dass es Südtirolern sehr schwer fällt, ihre Identität zu benennen. Südtiroler bilden ihre regionale Identität, indem sie sich in drei Punkten abgrenzen: Die erste Abgrenzung wird zwischen der Stadt und dem Land gemacht. Man ist nicht nur Südtiroler, sondern auch Psairer oder Bozner. Das lässt sich schon am Dialekt ablesen und darauf ist man stolz. Die lokale Herkunft macht einen starken Teil der Identität aus. Die zweite Abgrenzung wird bei Begriffen wie Heimat oder Identität in Bezug auf politische Instrumentalisierung gemacht. Viele Südtiroler tun sich schwer zu sagen, ja ich bin stolz auf Südtirol. Sie haben Angst, in eine Schublade gesteckt zu werden. Die dritte Abgrenzung findet zwischen verschiedenen Teilidentitäten statt: In meiner Abschlussarbeit spreche ich von einer fragmentierten geopolitischen Identität. Südtiroler passen sich bei der Frage, woher sie kommen, oft an ihre Umgebung an. Nach dem Motto: Ich bin in den USA, keiner weiß wo und was Südtirol ist und ich sage einfach, ich bin Österreicherin.

Du sagst, dass Südtiroler sich mit Begriffen wie Heimat oder Identität schwer tun. Woran zeigt sich das?
Der Begriff Heimat ist für viele eigentlich sehr positiv besetzt. Sie verbinden Heimat mit Familie, Geborgenheit, Liebe oder Traditionen. Auch die Mehrsprachigkeit wird positiv hervorgehoben. Aber zeitgleich haben eigentlich fast alle Befragten gesagt, dass sie den Begriff Heimat ungern verwenden. Sie haben das Gefühl, damit ein politisches Statement zu setzen. Eine Probandin meinte, der Begriff werde im politischen Kontext so missbraucht, dass sie dabei sofort an Sätze, wie „Südtirol bleibt Deutsch“ denken muss. Schade, denn gleichzeitig meinen auch alle, dass das Wort Heimat ein schönes Gefühl vermittelt. Der Begriff Herkunftsland hingegen bedeutet nur eine Tatsache.

Was verstehst du unter Teilidentitäten?
Fast alle meine Befragten entscheiden je nach Situation, welche geopolitische Identität sie nach außen kommunizieren. Eine Probandin gab an, sie würde im Urlaub oft sagen, sie sei Österreicherin, wenn sie neue Leute kennenlernt. Zu erklären, dass sie in Österreich studiert, aber aus Südtirol kommt – ein Land, das zu Italien gehört – sie aber Deutsch spricht und nicht Italienisch: Das ist zu anstrengend. Deshalb werden Identitäten einfach angepasst. Ein anderer hingegen sagt an seinem Studienort, dass er Italiener sei – einfach deshalb, um Diskussionen zu vermeiden. Alle sagen aber, dass sie sich als Südtiroler vorstellen, wenn ihre Gesprächspartner das Land kennen. Die Erklärungen auf die Frage, woher man kommt, waren für viele sehr mühselig: Sie wurden schon so oft gemacht. Worin sich alle einig waren: Als Südtiroler hast du ein Identitätsproblem. Teilidentitäten können auch ganz gegensätzlich sein. Das ist das Schöne daran. Da ist eine Probandin stark in die Heavy-Metal-Szene eingebunden – global und lokal – und gleichzeitig ehrenamtlich in einem katholischen Verein tätig. Früher hätte man wohl gesagt, das passt gar nicht zusammen. Heute ist das selbstverständlich.

Um nochmal zurück zu deiner ursprünglichen Forschungsfrage zu kommen: Sind Südtiroler in sozialen Netzwerken wie Facebook nun lokal oder global orientiert?
Interessanterweise konnte ich ganz klare Unterschiede ausmachen zwischen Studenten, die im Ausland und solchen, die in Südtirol studieren. Studenten, die in Bozen oder Brixen studieren, sind tatsächlich eher lokalistisch und zentristisch ausgerichtet. Das Lokale ist Dreh- und Angelpunkt. Und das in ihrer Online- wie Offline-Kommunikation. Zentristen orientieren sich außerdem ganz stark an Themen und Interessen. Studenten, die im Ausland studieren, kann man als Pluralisten und Multilokalisten bezeichnen. Sie sind zwar ebenfalls lokal vernetzt, haben aber verschiedene Lokalitäten, auf die sie sich beziehen. Pluralisten haben eine nochmal stärkere globale Vernetzung. Diese Einteilung hat jetzt weniger damit zu tun, ob jemand weltoffener ist oder nicht. Es geht darum, dass die meisten nur mit Leuten auf Facebook befreundet sind, die sie kennen. Die Möglichkeit, sich mit Personen aus aller Welt online zu vernetzen, wird so gut wie gar nicht genutzt. Wenn jemand im Ausland studiert, ist die Wahrscheinlichkeit also viel größer, dass er Personen im Ausland kennenlernt und mit ihnen in Kontakt bleibt. Personen, die in Südtirol studieren, haben zwar auch Kontakte ins Ausland, meist sind das jedoch nur im Ausland studierende Südtiroler. Aber auch wenn man sich die Seiten anschaut, die mit „Gefällt mir“ markiert werden, kann die unterschiedliche Ausrichtung beobachtet werden.

Hattest du dir schon am Anfang deiner Magisterarbeit gedacht, dass Südtiroler eher weniger global vernetzt sind oder hast du dir das anders vorgestellt?
Ich bin eigentlich schon davon ausgegangen, dass Südtiroler stärker global vernetzt sind. Aber das Ergebnis zeigt ja genau den Unterschied zwischen jenen, die im Ausland und jenen, die im Inland studieren. Ich dachte schon, dass manche diese Gelegenheit nutzen, sich global zu vernetzen. Aber auch jene, die weltweit vernetzt sind, nutzen soziale Netzwerke nur teilweise global. Leute, die beispielsweise gerne fotografieren, folgen nicht New Yorker Fotografen oder befinden sich in internationalen Facebook-Gruppen, die sich mit Fotografie beschäftigen. Sie sind in den Südtiroler Fotografie-Gruppen. Also auch bei Themen, die weltweit von Interesse sind, werden bevorzugt lokale Gruppen gebildet. Es ist sehr auffallend, dass alles auf Südtirol heruntergebrochen wird. Beispiele, die mir da im Kopf geblieben sind, sind Facebook-Gruppen wie „Fotofreunde Südtirol“ oder die „Südtiroler Metalheads“. Wenn es um das Bewusstsein geht, Teil einer weltumspannenden Gemeinschaft zu sein, haben die Befragten mit Misstrauen und mit Unbehagen reagiert. Gerade auch wegen des Datenschutzes. Freundschaftsanfragen von fremden Personen werden kaum angenommen. Da spielt der regionale Bezug dann doch eine Rolle. Wenn die Person komplett unbekannt ist, aber laut Facebook aus dem Nachbardorf kommt, macht man eher eine Ausnahme, als bei der Anfrage aus Wien oder Chicago.

Findet man diese Konzentration auf das Lokale nur in sozialen Netzwerken oder auch im Alltag?
Man sieht sehr deutlich, dass die Online-Welt ein verlängerter Arm der realen Welt ist. Das heißt: So, wie jemand online agiert, lebt er auch sein reales Leben. Die Personen, mit denen jemand online vernetzt ist, trifft er auch persönlich. Die Interessen, die auf Facebook geteilt werden, sind auch offline relevant. Es können also schon Schlüsse auf die grundsätzliche Einstellung und Kontakte der Südtiroler gezogen werden.

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