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Julian Nikolaus Rensi
Veröffentlicht
am 12.10.2017
LeuteInterview mit Eugen Runggaldier

„Was sind wir für Christen?“

Veröffentlicht
am 12.10.2017
Eugen Runggaldier ist der Stellvertreter von Ivo Muser. Der Generalvikar über Südtirols Jugend, unseren Wohlstandsegoismus und warum Politiker bei Wahlen die Nähe des Bischofs suchen.
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Welche Rolle spielen Kirche und Religion heute in Südtirol? Darf sich die Kirche in politische Fragen einmischen? Und wie soll es weitergehen in agnostischen Zeiten? Ein Gespräch mit dem, der es am besten wissen muss: Seit über einem Jahr leitet Eugen Runggaldier als Generalvikar die administrativen Geschicke der Diözese Bozen-Brixen. Er ist damit der „zweite Mann“ nach Bischof Ivo Muser.

Würzburgs Bischof Friedhelm Hofmann hat kürzlich das baldige Ende der Volkskirchen bekräftigt, d. h., dass die Christen in Europa in der Minderheit sein werden. Wir aber leben doch im heiligen Land Tirol – oder ist hier nur deshalb eine übergroße Mehrheit katholisch, da es keine den Austritt begünstigende Kirchensteuer gibt?
Der Begriff vom „heiligen Land“ Tirol stammt aus dem 18. und 19. Jh., als eine starke Volksfrömmigkeit vorherrschte, die auf eine bewusst geführte Missionstätigkeit zurückzuführen ist. Er ist insofern veraltet, als wir Südtiroler heutzutage genauso von den Phänomenen der Liberalisierung und mentalen Globalisierung betroffen sind wie die gesamte westliche Welt. Formelle Kirchenaustritte sind bei uns aber tatsächlich eher selten und das kann über den realen Glaubensverlust hinwegtäuschen, da man nicht Tag für Tag mit schrumpfenden Gläubigenzahlen konfrontiert wird. Was Hofmann sagt, mag stimmen, darf aber nicht fatalistisch gelesen werden: Die Kirche darf sich nicht mit Entwicklungen der Gegenwart abfinden, sondern muss jedes mal aufs Neue hinaus in die Welt gehen und sich in Dialog setzen mit der Gesellschaft.

Eugen Runggaldier

Zumindest äußerlich scheint die gesellschaftliche Säkularisierung in Südtirol jedoch weniger fortgeschritten zu sein als andernorts im deutschen Sprachraum: Bei Neubauten gibts Einweihungen, Taufe, Firmung usw. gehören einfach „dazu“. Fällt es der Kirche unter diesen Bedingungen schwerer, den inneren Glaubensschwund überhaupt zu problematisieren?
Es stimmt, dass sich in Südtirol zahlreiche volkskirchliche Elemente bis heute erhalten haben. Sie geben Einzelnen, aber auch ganzen Gemeinden großen Halt – ich denke an Prozessionen und Patrozinien, die eine bemerkenswerte religiöse und soziale Funktion erfüllen. Diese Bräuche müssen aber eine Seele haben: Hat es für mich eine innere Bedeutung, wenn ich eine Heiligenstatue trage? Ein Priester hat mir mal gesagt: „Im outfit sind wir ganz gut, am in-fit müssen wir arbeiten.“ In diesem Kontext, nämlich der Bekämpfung der Eventmentalität, ist ja auch der Vorstoß des Bischofs zu sehen, die Firmung temporär auszusetzen.

Eine Entscheidung, die nicht nur freudig aufgenommen wurde. Wird nach der „Pause“ die Zahl der Firmlinge 2021 drastisch gefallen sein? Ist das vielleicht gut, nach dem Bibelspruch „Die Spreu vom Weizen trennen“?
Nein. Es wird auch zu keinem radikalen Einbruch kommen. Ein durchaus gewünschter Effekt wird allerdings sein, dass das Alter der Firmlinge steigen wird. Wir stellen nämlich fest, dass die Tragweite des Firmsakraments mit elf, zwölf, dreizehn Jahren nicht vollständig erfasst werden kann. Nicht wenige beklagen die viele Mühe, die sie in den Vorbereitungsunterricht mit Firmlingen stecken, die oft eher dürftigen Erfolg hat.

Wie schätzen sie denn das Verhältnis der Jugend hierzulande zur Ortskirche ein? Südtirol bietet in dieser Hinsicht ja ein konfuses Bild: Auf der einen Seite eine sehr aktive Jungschar und Katholische Jugend, andererseits Firmlinge, von denen „schon am ersten Sonntag nach der Firmung nichts zu sehen ist“…
Ich würde da nicht so sehr einen Gegensatz oder Widerspruch konstruieren. Unsere Jugend ist bloß pluralistisch, mehr vielleicht als vor einigen Jahren. Im Grunde lebt sie nur pointierter vor, was die Gesellschaft insgesamt schon ist; aber ehrlicher und unbekümmerter. Das wirkt dann vielleicht etwas durcheinander, und fordert uns als Kirche. Als Jugendseelsorger habe ich erfahren, wie mühsam sich die Kontaktaufnahme gestalten kann. Aber alles ist möglich, solange man sich für kreative Ansätze nicht zu gut ist.

Nun stößt die kirchliche Kreativität zum Teil auch auf klare Grenzen: strikte eheliche Treue, Zölibat, Abtreibung, Ablehnung der Frauenordination – Themenkomplexe, in denen unter Jugendlichen zumeist wenig Verständnis für den katholischen Standpunkt herrscht. Ihn zu ändern scheint aber unmöglich. Mal ganz ehrlich – hat man als Kirchenmann nicht das Gefühl, auf verlorenem Posten zu kämpfen?
Bei den genannten Themen müsste man eigentlich differenzieren. So ist der Zölibat eine Frage der Kirchendisziplin, des Kirchenrechts, wohingegen bei der Frauenordination nach Meinung vieler Theologen die Bibel dagegen spricht. Dann ist es eine Frage der Lehre, was die Sache komplexer gestaltet. Auf „verlorenem Posten“ kämpfe ich dann nicht, wenn ich im Gespräch mit jungen Leute zu erklären versuche, dass unser Standpunkt nicht willkürlich ist, sondern auf lange, alte, auch immer wieder neu geprüfte Überlegungen baut. Es ist jedoch schade, dass – gerade durch die Medien – die Aufmerksamkeit immerzu auf die selben zwei, drei Fragen gelenkt wird. Da ist man dann schon auch oft in der Defensive und wiederholt sich, das gebe ich zu.

Denn nicht der Islam nimmt uns den Glauben, sondern wir uns selbst, sobald wir intolerant und hasserfüllt sind oder Menschen permanent abstempeln und kategorisieren.

Zur gesamten Gesellschaft: Die massive Zunahme der Migration in den letzten Jahren hat auch Südtirol erreicht und geht einher mit einem steigenden kulturellen und politischen Unbehagen von Teilen der hiesigen Bevölkerung: Viele scheinen sich stärker nach Halt zu sehnen, nicht selten fällt die Wahl dabei auf den Glauben als „traditionellen“ Wertekanon. Schlägt sich das auch auf Kirchenbesuche nieder?
Nicht dass ich wüsste. Die Migrationswelle hat aber freigelegt, wie wir Südtiroler wirklich sind oder geworden sind. Sie offenbart einen weit verbreiteten Wohlstandsegoismus in der Gesellschaft. Ich frage mich: Was sind wir für Christen, dass wir sagen „zuerst wir, dann die“? Dem muss geholfen werden, der Hilfe benötigt – unabhängig davon, ob er „Einheimischer“ und Christ oder Muslim ist.

In Deutschland und Österreich berufen sich rechtsextreme und fremdenfeindliche Gruppen auf das „christliche Abendland“ und auf die angeblich typisch europäische, deutsche oder österreichische Verwurzelung in christlichen Werten, um die Ablehnung von „Kulturfremden“ zu rechtfertigen. Wie sehen Sie dieses Problem, und wie muss die Kirche Ihrer Meinung nach darauf reagieren?
Ich glaube, diese Gruppen beherrschen die Kunst perfider Manipulation. Denn nicht der Islam nimmt uns den Glauben, sondern wir uns selbst, sobald wir intolerant und hasserfüllt sind oder Menschen permanent abstempeln und kategorisieren. Bei Instrumentalisierung der Religion müssen wir als Kirche scharf reagieren.

Rund um das Kruzifix im Klassenraum sowie den Gottesbezug im künftigen Autonomiestatut tobten emotionale Debatten. Ist Religion und Konfession in Südtirol ein Politikum, mehr vielleicht als anderswo?
Ich denke nicht, dass der Glaube hierzulande in der Politik eine größere oder wichtigere Rolle spielt. Allerdings kann es sein, dass die Verbundenheit mit der Kirche als Institution des Glaubens politisch besser zu bewerben ist. Das mag vielleicht ein Relikt aus Zeiten sein, in denen die katholische Kirche eine unangefochtene Autorität mit tatsächlicher Machtfülle war. Zumindest bemerke ich, wie nicht wenige Politiker – gerade vor Wahlen – im Brixner Dom möglichst nahe am Bischof beten wollen.

Eugen Runggaldier links neben Ivo Muser.

Also andersrum gefragt: Hat die Kirche Lust, politisch wieder mehr mitzumischen, wenn Bischof Muser verkündet, man wolle sich bei den anstehenden Wahlen für Ehe, Familien, „Schutz des Lebens“ und gegen Populismen einsetzen?
Wir wollen ja nicht mitmischen in dem Sinne, Stimmen einzufangen für uns oder andere, bzw. irgendwie unsere Macht zu mehren. Nein, es ist ein Gebot der Glaubwürdigkeit, dass wir bei Wahlen – Momenten fokussierter öffentlicher Debatten – unsere Lehre hinaustragen und kommunizieren, was uns wichtig ist. Das Evangelium ist schließlich eine reale Botschaft an und für die Welt. Auch Jesus hat sich offensiv mit der Wirklichkeit befasst, war also „politisch“. Wichtig ist mir auch, die Menschen überhaupt zum Wählen zu ermutigen, da ich den Eindruck habe, bei so manchem schwindet das Vertrauen in die Demokratie.

Sind es aber nicht gerade die (Rechts-)Populisten, die sich für die althergebrachte Ehe, Familie und den Schutz Ungeborener ereifern – und dabei die Rechte von sozialen Minderheiten und Frauen relativieren? Wo grenzt man sich da ab?
Die Bedenken, die Sie da äußern, sind natürlich nicht aus der Luft gegriffen. Klar gibt es Überschneidungen mit Forderungen rechtskonservativer Kräfte. Andererseits sind wir in puncto Soziales und Ökologie, wenn man so will, den Grünen nahe oder sie uns, und selbstredend liegen uns Hetze oder gegenseitiges Ausspielen fern. Uns geht es ja nicht darum, ob wir uns links oder rechts profilieren, sondern ob wir für die Grundsätze der Frohen Botschaft einstehen. Das auch bei heiklen Themen.

So eines ist das Schulkreuz: Wer es verteidigt, nennt es zumeist ein Symbol für unsere abendländische Kultur. Entsprechend wird es kulturalistisch interpretiert und nicht religiös, als dezidiert religiöses und theologisches Zeichen. Ich finde, die Kirche sollte sich über diese Verweltlichung eher empören. Ich habe aber den Eindruck, sie nehme das hin, um die Sichtbarkeit des Kreuzes überhaupt – egal wie gerechtfertigt – zu retten und damit wenigstens ein bisschen Religion im öffentlichen Raum. Irre ich mich da?
Es kann sein, dass dieser Eindruck entsteht, das mag an mangelnder oder mangelhafter Kommunikation liegen. Aber auch wir stellen uns gegen diese politische Umbewertung des Kreuzes. Wenn es dann auch noch als Instrument der Abgrenzung von Andersgläubigen missbraucht wird, ist das eine Perversion seiner eigentlichen Botschaft. Das Kreuz muss ein Symbol der Inklusion sein, der Offenheit.

Wer hätte zu Gargitters Zeiten harsche Kirchenkritik gewagt?

Dass sich Bischof Muser eingeschaltet hat, um an die Erwähnung der „christlich-abendländischen Wurzeln“ im künftigen Autonomiestatut zu mahnen, wurde ihm von vielen Seiten mehr als Übel genommen. Reinhold Messner verstieg sich gar zur Aussage, das komme einem „Rückfall ins Mittelalter“ gleich. Haben Sie mit solchen Reaktionen gerechnet?
Ja, das haben Bischof Muser und ich tatsächlich, als wir das entsprechende Communiqué nochmal durchgesehen haben. Der viele Gegenwind beweist die veränderte Stellung der Kirche in Südtirol. Wer hätte zu Gargitters Zeiten harsche Kirchenkritik gewagt? Bei all den sozialen Folgen! Diesen Zeiten trauere ich nicht nach, denn heute ist die hierarchische Barriere, die uns über die Gläubigen gestellt hat, korrodiert. Dadurch ist erst echter Dialog möglich.

Meiner Meinung nach wirkte Musers Aufruf eher hilflos, dahingehend, dass versucht wird, die Christlichkeit des Landes „verfassungsmäßig“ festzuschreiben, wo sie faktisch am Verblassen ist und gewiss nicht per Gesetz wiederbelebt werden kann. Will man hier Einfluss retten? Warum ist es der Diözese wichtig, die religiöse Tradition zu verankern?
Unser Ziel ist es nicht, Pfründe zu retten. Dass wir uns als Kirche in eine Debatte über die Religion und ihren Stellenwert eingebracht haben, halte ich sehr wohl für legitim. Wir verteidigen den – ohnehin sehr milden – Gottesbezug im Statut, weil wir überzeugt sind, dass es in jeder Demokratie einen Bezug zu zeitlosen Werten geben muss, die über Debatten, Abstimmungen und Relativierungen erhaben sind. Sie ermöglichen die Begründung von vielem, was „typisch demokratisch“ ist, etwa die Menschenwürde, und die Wurzel dieser ewigen Werte sehen wir als Christen in Gott. Über Werte reden Politiker ja gerne, „garantieren“ kann sie aber nur er.

Gott als Garant der Demokratie. Nun scheint er aber kein Garant für Ordenseintritte und Priesterweihen zu sein. Numerisch-nüchtern gesehen befindet sich die Kirche da auf dem absteigenden Ast. Wie ernst können Sie da persönlich die oft wiederholten Beteuerungen nehmen, man hoffe auf den Heiligen Geist und Gottes Vorsehung? Verdeckt das Beten nicht bloße Resignation?
Die Funktion des Gebets sehe ich darin, dass Gott mir die Fähigkeit gibt zu erkennen, wie er heute wirkt. Das tut er nämlich vielleicht in anderer Weise als früher. Vielleicht sprechen wir nur deshalb von „Schwund“ und „Rückgang“, weil wir alte Denkmuster auf Gegenwart und Zukunft übertragen. Wenn wir Gott bitten, alles werden zu lassen, wie es war – das wäre doch kein echtes Beten, sondern wir würden Gott anweisen, was er zu tun hat. Aber ein Automat ist er nicht. Ich bete: „Lass mich sehen, was du mir zeigst, und hören, was du mir sagst.“ Gott hat bestimmt einen Plan für uns, und ich bete darum, ihn zu verstehen. Oder zumindest nicht zu verhindern (lacht).

Was bitten Sie persönlich für die Zukunft der Orts- und Weltkirche?
Dass wir uns nicht fragen, wie wir junge Leute in die Kirche bringen, sondern wie die Kirche in die Jugend gehen kann, sich ihren Erfahrungen stellen kann. Gewissermaßen, wie sie Jugend sein kann. Ich bitte um Mut zum Aufbruch und zu einem – kirchlich gesprochen – missionarischen, nicht konservierenden Verständnis unseres Glaubens. Niemandem ist geholfen, wenn wir uns in die stille Sakristei zurückziehen, um aus Weltschmerz zu jammern.

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