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Veröffentlicht
am 19.01.2022
LeuteAustausch der Generationen

„Opa, erzähl mir!“

Veröffentlicht
am 19.01.2022
„Als ich zehn Tage alt war, hat mich meine Mutter verschenkt“, erzählte Arthur Dalsass seinem Enkel Markus Zwerger. Dieser verarbeitete die Geschichten seines Opas in einem Buch, einem kritischen Austausch zweier Generationen.
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Arthur Dalsass mit seinen Enkeln Ivan und Arno in Kanada, 1995

Der Dialog zwischen dem 22 jährigem Enkel und den 1928 geborenen Großvater erzählt von dem Kindsein in den frühen 30ern und den existenziellen Nöten der Nachkriegszeit. Zwergers Buch „Opa, erzähl mir!“ ist nicht nur der Versuch die Lebensgeschichte seines Großvaters am Leben zu erhalten, sondern auch die Wichtigkeit eines generationenübergreifenden Dialogs zu unterstreichen.

Was war der Anlass für dein Buch?
Markus Zwerger: Ich habe mein Leben lang mit meinen Großeltern im selben Haus gewohnt. Im täglichen Zusammenleben hat mir besonders mein Opa immer wieder Geschichten erzählt, die mich gefesselt haben. Das Geschichtenerzählen wurde beinahe zu einem Ritual am Esstisch. Dadurch ist eine besondere Nähe zu meinem Großvater entstanden. Meine Mama und mein Opa selbst haben immer wieder betont, dass Opas Leben verschriftlicht werden müsste.

War er sofort bereit seine Erinnerungen mit dir zu teilen?
Ich hatte immer schon eine sehr enge Beziehung zu meinem Opa. Beim Essen hat er mir besonders gerne von seinen Streichen als Kind erzählt und was er alles als Jugendlicher angestellt hat. Es war nie der Fall, dass ich meinen Opa zum Reden überreden musste. Allerdings sparte er einige Details gerne aus, umging den Nachfragen geschickt und versuchte einige Geschichten im Verborgenen zu lassen. In den Gesprächen wurde immer viel an-, aber nie alles ausgesprochen. Ich musste erst lernen, ihn dabei zu durschauen und rauszuhören, wann er etwas lieber für sich behielt. Genau da hab ich dann mit meinen Fragen nachgebohrt.

Markus Zwerger

Welche Geschichten wollte dein Opa lieber nicht erzählen?
Mein Opa hatte eine sehr schwierige Kindheit. Er wurde 1928 geboren und wurde bereits mit zehn Tagen weggegeben. Viele traumatische Erinnerungen und finanzielle Nöte begleiteten seine Kindheit. Erst durch den Schreibprozess am Buch und meiner Hartnäckigkeit bei den Gesprächen konnten Erlebnisse erstmals angesprochen und irgendwie verarbeitet werden. Zumindest hat es sich im Nachhinein oft so angefühlt, als ob er sich einige Last von den Schultern erzählen konnte.

Was war an der Kindheit deines Opas so schlimm?
Vieles. Das reicht von seinem Kampf um die von anderen weggeworfenen Essensreste bis hin zur Ausgrenzung vom Gemeinschaftsleben als lediges Kind. Besonders gerne erzählt er davon, wie er in der Grundschule mehrere Male zu den Ruten der Lehrerin hingegangen ist, sie in der Mitte zerbrochen und aus dem Fenster geworfen hat, um den Bestrafungen für kurze Zeit ein Ende zu setzen und anschließend von seinen Mitschülern gefeiert zu werden. Von Opas schlechten Kindheitserfahrungen sind im Buch viele nachzulesen, doch habe ich versucht, Opas Wesen gerecht zu werden und seinen Optimismus in jedes Kapitel einfließen zu lassen.

Trotz der vielen vergangenen Jahre erinnert sich Opa auch noch im hohen Alter gern an seinen Spitznamen „Kittelschmecker“. Er lacht kurz und herzhaft darüber, bevor er auf meine Oma zu sprechen kommt und auf ihren wenig schmeichelhaften Spitznamen verweist: „Buabmenroll“, weil auch sie nicht davon ablassen konnte, dem anderen Geschlecht etwas näherzutreten, als es in der damaligen Zeit üblich war. Zweifellos zwei passende Gegenstücke. (Auszug aus dem Buch)

Wie bist du an die Gespräche herangegangen?
Nach vielen allgemeinen und „unstrukturierten“ Gesprächen mit meinem Opa, habe ich begonnen, mich am Abend mit meinem Laptop zu ihm ans Sofa zu setzen und ihm Fragen zu stellen. Er hat es immer geliebt Geschichten zu erzählen, weshalb ich gar nicht so viel Nachfragen musste.

Konnte sich dein Opa immer an alles erinnern?
Nein, auch wenn er als 90-Jähriger noch sehr fit war, brachte er einige Geschichten immer durcheinander. Schon vor meinem Schreibprozess habe ich gemerkt, dass er manchmal Details vermischt. Es war mir aber wichtig sein Leben so „richtig wie möglich“ zu erzählen, weshalb ich ihn einige Geschichten an verschiedenen Tagen immer wieder erzählen hab lassen. Dabei habe ich immer wieder dieselben Dinge nachgefragt, um die wahre Essenz seiner Geschichten herauszufiltern.

Markus Zwergers Großvater Arthur Dalsass (ganz links) als Kostkind am Regglberg, um 1940

Das Besondere an deinem Buch ist, dass die Perspektiven der Enkel- und Großelterngeneration verschwimmen, weil du deine Überlegungen, kritische Fragen und Gedanken mit einbaust. Fiel dir dieser Perspektivenwechsel leicht?
Eher schon, weil ich bei vielen Geschichten das Gefühl hatte, selbst zu Wort kommen zu wollen. So entstand recht schnell ein Dialog zwischen den Erlebnissen meines Großvaters und meinen Gedanken. Durch die verschriftlichte Chronologie der Geschichten meines Opas, also der abgelehnten Biografie, konnte ich auf vieles zurückgreifen und bewusster über das Erzählte reflektieren.

Wie kommt diese Dialektik zwischen Alt und Jung in deinem Buch zum Vorschein?
Meine Stimme führt durch das gesamte Buch. Als Erzähler fasse ich Opas Erzählungen in einen Rahmen, in dem seine Geschichten so realitätsgetreu wie möglich nachzulesen sind. Dabei kommentiere ich als Enkel seine Ansichten, Behauptungen und Erlebnisse. Meine Kommentare und Gedanken haben dabei drei Funktionen: Unterschiede, die unsere Generationen trennen, herauszuarbeiten, den Reichtum, den die Nähe eines anderen Menschen bedeutet, zu benennen oder die persönliche Horizonterweiterung, die Opas Leben, von seiner Geburt bis zu seinem Tod, für mich darstellt, mit den Lesern zu teilen.

Der Stolz, der aus seinen Augen spricht, ist unverkennbar. Dieser Beiname mag beim Lesen etwas seltsam klingen, aber die Art, wie Opa ihn ausspricht, lässt jeden Zweifel schwinden: Es ist ein liebevoller Name für einen Mann, der seine Welt erkundet, ihre Bewohner getroffen und beides zu lieben gelernt hat. Es fasziniert mich, wie weltoffen und extrovertiert er schon immer gewesen zu sein scheint. (Auszug aus dem Buch)

Welche Erzählung hat dich besonders berührt?
Eine besonders prägende Episode, war Opas Beziehung zu seiner leiblichen Mutter: An der Entwicklung von dieser erkennt man, wie perspektivisch Lebensgeschichten erzählt und verstanden werden können. Während ich als Kind in Opas Mutter eher eine Schuldige sah, veränderte sich im Laufe der Jahre meine Wahrnehmung. Warum man sein eigenes Kind nach zehn Tagen verschenkt, was es für einen Menschen bedeuten könnte, im wahrsten Sinne des Wortes mutterseelenallein aufzuwachsen und wie man trotzdem, um Opa zu zitieren, am Ende seines Lebens „mehr als jeder Reiche“ haben kann, sind die Gedanken, die das ganze Buch begleiten.

Was können wir von deinem Buch und der Generation der Großeltern lernen?
Vieles. Als Allererstes das Suchen des generationenübergreifenden Dialogs. Die Generationen verkörpern zu große Unterschiede, als dass sie von etwas anderem, als ehrlichen Gesprächen und Gefühlen wie Nähe und Vertrauen verbunden werden könnten. Genügsamkeit, die Gabe etwas Positives in allem zu finden, aber auch die Sparsamkeit, das Nie-Aufgeben aber auch das für Sich-Einstehen können und die Durchsetzbarkeit, sind die Reichtümer, die ich auch aus den Gesprächen mit meinen Großeltern mitnehme. Ich glaube, dass wir diese Dinge nur von alten Menschen lernen können, weil sich ihre Tipps – im Gegensatz zu Gleichaltrigen – auf Lebenserfahrungen beziehen.

Wie hat die Arbeit am Buch das Verhältnis zu deinem Großvater verändert?
Leider ist mein Opa wenige Monate vor Fertigstellung des Buches verstorben. Für ihn hat sich, glaub ich, während der intensiven Gespräche kaum etwas verändert. Ich konnte ihn viel besser kennenlernen und jetzt ist es für mich Trost zu wissen, dass seine Geschichte, sein Leben, ja mein Opa selbst durch das Buch überlebt. Den Dialogcharakter und meine Gedanken zu seinen Erzählungen hat er nicht mehr miterlebt. Ich glaube aber es würde ihm gefallen, dass meine Gedanken im Buch Eingang finden, weil er selbst immer ein Mann war, der gerne den Dialog gesucht und die Gedanken von anderen erfahren hat.

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