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Illustrations by Sarah
Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 07.11.2023
MeinungTikTok Trend: Pick-Me-Girls

Wann warst du das letzte Mal #pickme?

„Frauen sind mir zu viel Drama!“ – Dieser Schlachtruf der Pick-Me-Girls hallt durch den TikTok-Trend und entfacht so manche brisante feministische Debatte. Wer sind die Pick-Me-Girls und was genau repräsentieren sie?
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Seit mehreren Monaten, wenn nicht Jahren, stolpere ich nun schon über den TikTok-Trend #pickme, bei dem zumeist Frauen Videos posten, in denen sie die sogenannten Pick-Me-Girls und deren Strategien outen. Ein Pick-Me-Girl ist eine Frau, die sich von anderen „konventionellen” Frauen unterscheidet und darauf bedacht ist, ihre Einzigartigkeit gegenüber Männern immer wieder zu betonen. Sie versucht dabei kontinuierlich darzulegen, dass sie sich nicht den gängigen Rollenklischees „typischer“ Frauen fügt und betont stets, dass sie wenig Interesse an stereotypen weiblichen Aktivitäten hat.

„Noch vor einem Jahr verbrachte ich fast ausschließlich Zeit mit männlichen Freunden. Mein Leitspruch war: Ich komme viel besser mit Männern klar; da gibt es weniger Drama und keine Zickenkriege.“

-Barfuss Leserin

Pick-Me-Girls haben ein starkes Verlangen nach männlicher Zustimmung und Aufmerksamkeit. Sie bevorzugen die Gesellschaft von Männern gegenüber anderen Frauen und inszenieren sich selbst „nicht wie die anderen“. Häufig werden dabei feministische Ansichten kritisiert und als übertrieben dargestellt. Ein weiteres charakteristisches Verhalten ist die Kritik an anderen Frauen, um sich selbst als überlegen darzustellen. Oft erfinden Pick-Me-Girls Interessen und Eigenschaften, von denen sie glauben, dass sie bei Männern gut ankommen. In ihrem Bestreben, die Gunst von Männern zu gewinnen, ändern sie nicht nur ihre Verhaltensweisen, sondern auch ihren Kleidungsstil, um sich von traditionellen Vorstellungen über Weiblichkeit zu distanzieren. [1]

Viele #pickme-Videos exposen nun auf TikTok und Instagram solche Frauen, wie beispielsweise das vermeintlich „coolste Mädchen“ in der Klasse, die beliebteste Frau in einem männerdominierten Unternehmen oder das Skater-Girl in Jungenbanden.

„Ich hatte keine Freundinnen in meiner Klasse, weshalb ich immer mit den Jungs auf dem Skaterpark abhing. Ich mochte Skaten nicht mal.“

-Barfuss Leserin

Fake it till u make it …
Sophie Passmann, Moderatorin und leidenschaftliche Feministin, widmet ein ganzes Buch dem Phänomen der „Pick Me Girls“. Passmann erzählt in ihrem Buch, dass sie selbst eines dieser Mädchen war und manchmal immer noch ist. Die Autorin erklärt, dass genau das sie daran hinderte, die Frau zu werden, die sie hätte sein können. Sie erinnert sich an die Anfangsjahre ihrer Karriere, in denen sie mit Männern, die schlecht über sie sprachen, befreundet blieb, an die Witze ihres Partners über ihre berufliche Zukunft, über welche sie hinweg sah und an die anhaltenden Kommentare und Anekdoten zu ihrem Körper, bei denen sie möglichst unbeteiligt zu wirken versuchte. Sie spielte vor, unbeeindruckt zu sein, doch dieser Schein hinterließ Spuren, sowohl bei ihr selbst als auch bei vielen Frauen, die lediglich versuchen, den Erwartungen zu entsprechen und anderen zu gefallen.
Laut Passmanns Buch teilt der Pick-Me-Trend auf dichotome Art und Weise „konventionelle” Frauen von #pickmes. Die Gefahr dahinter ist, dass erstere nur nach Klischees definiert werden. Demnach ist die konventionelle Frau oberflächlich, hysterisch, unentspannt, essgestört und bevormundend. Das sind auch die Frauen, die ihren Mann von den Jungsabenden wegholen, um sich über ihr Gewicht aus zu heulen. [2]

Pick-Me-Girls bevorzugen die Gesellschaft von Männern gegenüber
anderen Frauen und inszenieren sich selbst als „nicht wie die anderen“.

Das ist natürlich Schwachsinn … Dass solche Schwarz-Weiß-Definitionen von #pickme- und #notpickme-Frauen nicht funktionieren, sollte uns allen klar sein. Dennoch hat sich im Gegensatz zu anderen TikTok-Trends, die irgendwann vergehen, der #pickme-Trend nicht nur etabliert, sondern auch in feministischen Kreisen verbreitet. Dabei geraten die Pick-Me-Girls ins Visier – ihnen wird mangelnde weibliche Solidarität vorgeworfen.

Frauen gegen Frauen oder doch eine Sache des Patriarchats?
Es geht also in vielen dieser Videos auf unterhaltsame Art und Weise um die „scheinbare” feministische Kritik an mangelnder Frauen-Solidarität. Oftmals habe ich mich bereits selbst, meine Freundinnen oder andere Bekannte in solchen Videos wiedererkannt und über das Benehmen und die Strategien möglichst „anders“ zu wirken geschmunzelt. Dennoch bleibt ein fader Beigeschmack. Ein Beigeschmack, bei dem Frauen – oftmals Feministinnen – andere Frauen runtermachen. Ein Geschmack nach Frauenhass und #womanbashing.

Auch Autorin Sophie Passman stellt daher klar: „Frauen entscheiden sich nicht aus Charakterschwäche oder feministischer Zahnlosigkeit dazu Pick-Me-Girls zu sein, genau wie Frauen mit Vaterkomplexen nicht schuld daran sind, dass ihre Väter ihnen Komplexe beschert haben.“ Laut der Feminstin können Pick-Me-Girls nur Pick-Me-Girls sein, wenn sie in einer Welt von Männern leben, die ihre eigene Anerkennung und Zuneigung als Instrument nutzen, um die Frauen in ihrem Leben händelbar und angenehm zu halten. [3]

Wir haben bei unseren Leser:innen via Instagram nachgefragt. Viele bestätigen uns, dass sie nicht gerne als #pickme gelten. Es geht ihnen nicht darum, andere Frauen herabzusetzen. Sie sehen einfach keine Möglichkeit, den Weiblichkeitsansprüchen des Patriarchats gerecht zu werden. Daher verhalten sie sich anders: nicht, weil sie es wollen, sondern weil das „Anderssein“ als eine Art Schutzstrategie dient.

„Ich leide an einer Schilddrüsenüberfunktion und kämpfe mit Gewichtszunahme. Manchmal fühle ich mich deswegen nicht weiblich genug und unsicher. Als Reaktion begann ich, mich so darzustellen, als sei meine Figur ein Geschenk. Ich bestellte demonstrativ Burger und Pommes, während meine Freundinnen Salate aßen, und betonte, dass ich nicht bereit sei, für männliche Anerkennung zu hungern. Die Wahrheit ist, dass ich fast alles getan hätte, um mehr Kurven zu bekommen, um Männern zu gefallen.“

-Barfuss Leserin

Sind wir mal ehrlich …
Sind oder waren wir nicht alle schon mal #pickme? Haben wir uns manchmal nicht von unserer Rolle als Frau und den gesellschaftlichen Erwartungen verunsichert gefühlt? Angetrieben von patriarchalen Strukturen, die wir nicht erfüllen konnten oder wollten? Stellen wir uns nicht alle gelegentlich besser, cooler und einzigartiger dar, als wir es wirklich sind?

In meinen Teenager-Jahren habe ich beispielsweise hartnäckig darauf bestanden, dass ich Besseres zu tun habe, als mich stundenlang zu schminken. Ich habe es als oberflächlich abgetan und behauptet, dass es unnötig sei. In Wahrheit konnte ich es einfach nicht. Ich hatte keine ältere Schwester, die mir beibringen konnte, wie es geht, und die damals verwackelten YouTube-Tutorials haben mich konstant zur Verzweiflung getrieben. Es war einfacher, über „oberflächliche Tussis“ zu lästern und zu behaupten, dass ich kein Interesse an Make-up hatte. Ich tat dies einfach, weil es leichter war, andere in ein schlechtes Licht zu rücken, anstatt zuzugeben, dass ich es gerne gekonnt hätte, aber es mir nicht gelang.

Auch Passman resümiert in ihrem Buch: „Ich glaube, dass alle Frauen, die im Patriarchat groß werden, Pick-Me-Girls sind: Manchmal oder früher mal, zwischendurch, als Ausnahme oder nur bei einem Mann in ihrem Leben“, meint Passman und ergänzt, dass je leichtfertiger Frauen andere Frauen im Namen der feministischen Solidarität vorwerfen, Pick-Me-Girls zu sein, desto eher entsteht ein Meta-Paradoxon. Denn Frauen, die anderen Frauen vorwerfen, sich besser darzustellen als sie sind, um die Gunst von Männern zu gewinnen und damit so tun, als ob sie das nie täten und das in einer Welt, die Frauen nahezu zwingt, sich anzupassen, seien laut der Autorin die ultimativen Pick-Me-Girls. [4]

„Die gesamte Oberschule war ich eines dieser Pick-Me-Girls. Aus eigener Unsicherheit heraus, habe ich immer mit den Jungs aus meiner Klasse über diese unnötigen ,Tussi-Weiber’ gelästert.“

-Barfuss Leserin

Natürlich müssen nicht alle TikTok-Trends auf die Goldwaage gelegt und bis ins Kleinste politisiert und kritisiert werden. Unterhaltung hat ihre eigenen Kriterien. Der Trend hat jedoch zweifellos viel bewirkt: Er erlaubt es, über eigene Unsicherheiten zu schmunzeln, über die pubertäre Vergangenheit nachzudenken und über aktuelle Unsicherheiten als Frau in der Gesellschaft zu reflektieren. Genau auf diese Vorteile sollten wir uns fokussieren und in der ganzen Diskussion nicht vergessen, dass letztendlich die Gesellschaft, einschließlich ihrer patriarchalen Strukturen, die Pick-Me-Girls geformt hat. Ein feministischer Ansatz sollte daher niemals darauf abzielen, andere Frauen herabzusetzen, weder die Pick-Me-Girls, die über andere Frauen lästern, noch die Frauen, die sich über die #pickmes aufregen. Der Weg zur weiblichen Solidarität kann schließlich nicht mit unsolidarischen Zynismus-Schuhen bestritten werden.


[1] Was bedeutet „Pick Me“ & was sind Pick-Me-Girls? (stuttgarter-zeitung.de)

[2] https://open.spotify.com/intl-de/album/0IgbZS91KAtwFxz6xxHh6N?si=w-JOjLcjRmGRBmVRUqVoIA Kapitel 9

[3] https://open.spotify.com/intl-de/album/0IgbZS91KAtwFxz6xxHh6N?si=w-JOjLcjRmGRBmVRUqVoIA Kapitel 9

[4] https://open.spotify.com/intl-de/album/0IgbZS91KAtwFxz6xxHh6N?si=w-JOjLcjRmGRBmVRUqVoIA Kapitel 9

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