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Illustrations by Sarah
Sarah Meraner
Veröffentlicht
am 17.02.2024
MeinungTheaterrezension

Per du mit dem Tod

Darf man über den Tod lachen? Im neuen Stück „1h22 vor dem Ende“ im Theater in der Altstadt schaffen Thomas Hochkofler und Dietmar Gamper den Balanceakt zwischen Humor und Ernsthaftigkeit.
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Ein alter Sessel, eine braune Ledercouch sowie eine orange Lampe und eine große Musikkassettensammlung stehen in der Siebzigerjahre-Wohnung von Bernhard Wächter. Penibel macht dieser mit einem kleinen Handstaubsauger sauber. Er ordnet seine Dokumente, erledigt einen Anruf bei der Versicherung. Bernhard Wächter will sich umbringen – sein letzter Selbstmordversuch (er hatte sich auf die Straße gelegt) ist gescheitert. „Es hat leider nicht geklappt, der Fahrer hat sich für einen Baum entschieden“, erzählt er der Frau am Telefon noch, bevor er noch ein vermeintlich letztes Mal seine Tierstimmen-Kassetten wechselt – Musik hört er nämlich keine, nur Tierstimmen. Dann öffnet der alleinstehende Mann das Fenster. Er springt letztlich aber doch nicht, er hat Höhenangst. Stattdessen klettert ein Mann zum Fenster herein, mit dunkler Kleidung, dunklem Vokuhila, auffallendem Schnauzer und feuerroten Schuhen. Er trägt eine Waffe bei sich. „Wenn man sich langweilt, muss man etwas tun“, erklärt der Fremde und er habe sich eben dazu entschieden, jemanden zu töten. Nach anfänglichem Schreck und einem Sich-gegenseitig-Beschnuppern erkennt Bernhard seine Chance, doch noch zu sterben. Der Mann entpuppt sich tatsächlich als der personifizierte Tod, doch: Er hat sich im Stockwerk geirrt. Und auch sonst scheint er nicht recht zu wissen, was er tut.

Eine Ode an die Kuriosität des Lebens
Das Stück, das aus der Feder von Mathieau Delaporte stammt und 2022 in Paris uraufgeführt wurde, bringt zwei eigentümliche Figuren zusammen: den Tod als unfreiwilligen Lebensretter sowie einen ungeküssten Fast-Selbstmörder, der schon sein ganzes Leben vergeblich auf das Glück wartet. Für Regisseur Torsten Schilling ist das Stück Delaportes kein Endspiel, sondern eine Ode an die Kuriosität des Lebens. Galgenhumor trifft auf Tragik. Tod auf Leben – obwohl es zunächst  den umgekehrten Anschein hat. Und was ist mit der scheinbaren Sinnlosigkeit des Seins? Bernhard Wächter sagt gegen Ende des Stückes: „Es ist eben nicht jeder für das Leben geeignet.“ „Dann können wir gehen“, antwortet ihm der Tod. Schilling verzichtet auf großartige Special Effects oder spektakuläre Szenerien. Der gesamte Inhalt des Stücks definiert sich über die beiden Charaktere, über deren – offensichtlichen und weniger offensichtlichen – Befindlichkeiten sowie über die Dialoge, die zwischen Absurdität, Melancholie und Ernsthaftigkeit miteinander Ping Pong spielen.

„Der Tod ist banal. Es gibt nichts Banaleres.“

Der Mann/Der Tod

Performance par excellence
Schilling setzt auf zwei starke Südtiroler Charakterdarsteller – und landet damit einen Bühnen-Volltreffer. Thomas Hochkofler beweist mit dieser Rolle, dass er mehr kann als „nur“ Satire und schräge Südtiroler Figuren à la Joe von Afing. Die Figur des eigenbrötlerischen, resignierten und einsamen Bernhard Wächter setzt er anhand seiner Mimik, Gestik und Körperhaltung meisterhaft um – und das schon von Sekunde eins. Die Maske von Gudrun Pichler hat die Figur Hochkoflers optisch perfektioniert – und wüsste man als Zuschauende:r nicht, dass Hochkofler eine der beiden Hauptrollen verkörpert, würde man niemals erahnen, welcher Schauspieler sich dahinter verbirgt.

Theater-Fixstern Dietmar Gamper zeigt sich in seiner Rolle als unfähiger und sehr menschlicher Tod facettenreich: Zwischen düsterer Schaurigkeit, oberflächlichem Humor und zuletzt kindlicher Verletzlichkeit schafft er es, als anthropomorphe Allegorie des Todes eine ganz eigene Sensenmann-Aura zu versprühen. „Wir können uns duzen“, bietet der Tod seinem Schützling an, ebenso einen Besuch im Puff. Und Wodka. Er poltert mit fieser und gleichzeitig gelassener Attitüde ins triste Dasein des Mitprotagonisten, reißt damit die Atmosphäre der Einsamkeit ein und wirkt trotz seiner düsteren Absichten irgendwie sympathisch, wenngleich auch immer sehr sonderbar und verschroben.

„Ich bin per du mit dem Tod.“

Bernhard Wächter

Die Kunst des schmalen Grates
Auf der Bühne stehen zwei traurige Figuren, die jede mit ihrem persönlichen Dasein ringt. Mit ihren Zweifeln und Ängsten, ihren Sehnsüchten und unerreichten Zielen, mit Druck und Versagensängsten, mit Einsamkeit, Resignation und Flatterhaftigkeit – wer findet nicht das eine oder andere Attribut in seinem eigenen Leben wieder? Und auch wenn sich das Publikum zunächst auf ein schwerverdauliches Stück einstellt – die durchaus gesellschaftsrelevante, jedoch meist verschwiegene Thematik balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Humor und Tragik – eine sehr kluge Art, um Tod und Suizid zu thematisieren und noch dazu auf eine sehr nahbare Art und Weise.

Resümee: empfehlenswert!
Die Langsamkeit zu Beginn des Stückes, die routinierten Handlungsabläufe, das fade Erscheinungsbild von Hochkofler als Bernhard Wächter in seiner beigen Hose, seinem braunen Pulli und der Vintage-Sehbrille sowie seine lebensmüde Mimik schaffen umgehend eine Verbindung zur Seelenwelt seiner Figur. In dessen Einsamkeit und den Entschluss, den diese schon lange gefasst hat. Feine Details, wie das Quietschen der Lampe, die feuerroten Schuhe des Todes oder das blaue Licht hinterm Fenster machen  das Theaterstück bis ins kleinste Detail stimmig und unterhaltend.
Wofür steht das Ende im Titel letztendlich? Tatsächlich für den Tod? Oder nur für das Ende der skurrilen Hoffnungslosigkeit der beiden Protagonisten? Wenn Raum für Fragen und persönliche Interpretation bleibt – und auch noch den Mix aus Ernsthaftigkeit und Witz schafft – dann schafft das Stück eines ganz klar: Es berührt.

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