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In seinem Tonstudio, mitten in einem unauffälligen Wohnviertel in St. Leonhard, in einem kleinen Reihenhäuschen, arbeitet Simon Gamper an seinen Projekten. Es ist ein kleiner Raum, nur wenige Quadratmeter groß. Trotzdem spürt man die musikalischen Vibes auf Anhieb. Auf seinem Arbeitstisch herrscht ein wunderbar kreatives Chaos, das Künstler:innen eben so brauchen: Da liegen Notenhefte, Querflöte, Kopfhörer, Keyboard und Bücher zwischen Kabel und Mikro nebeneinander und warten auf Simons Eingebungen. Mehrere Gitarren stehen griffbereit neben der Tür. An den Wänden hängen Bilder seiner Familie und von seinem Lieblingsprojekt „Wild East“, einem lettischen Westernfilm. Zwischen 50 und 60 Instrumente besitzt der Komponist und Musiker. Beim Arbeiten verwendet er möglichst viele davon. „Das ist wie beim Malen“, erklärt er, während er auf seinem roten Bürostuhl sitzt und sich barfuß etwas vor- und zurückrollt. „Um ein buntes Bild zu entwerfen, verwendet man doch auch möglichst viele Farben.“ Diese Buntheit würde man ihm auf den ersten Blick gar nicht zutrauen: Simon wirkt mit seinen zusammengebundenen, dunklen Haaren, seinem Bart und dem schlichten, schwarzen Shirt wie der einfache Kerl von nebenan. Aber seine Kreativität, seine Kompositionen, die haben es in sich.
Ja: Simon Gamper malt auch, irgendwie. Er „malt“ Musik, er schreibt sie. Probiert und testet aus, fühlt hin und hält fest, was ihm gefällt. Musik machen ist im Grunde nichts anderes als spielen, sagt er. Und das habe er schon immer gern getan: gespielt.
Von Talent, Training und der Freude am Experimentieren
Dass er eines Tages mal etwas mit Musik machen würde, stand für den 36-Jährigen außer Frage. Was nicht verwunderlich ist. Immerhin ist Simon, der mittlerweile selbst verheiratet und Vater zweier Jungs ist, quasi auf der Bühne aufgewachsen. Seine Familie ist eine Theaterfamilie – und Musik gehörte immer schon mit dazu. Simon lacht über die Frage, ob er das Talent in die Wiege gelegt bekommen hat. „Ist es Talent? Ich weiß nicht, denke, es ist eher Motivation und Freude. Talent bringt dich nur über eine kurze Strecke, der Rest besteht aus vielen Stunden Arbeit und Training“, sagt er nüchtern. Als Kind bekam er von seinem früheren Musiklehrer in der Schule eine Notationssoftware. Was das genau ist, habe er erst gar nicht so richtig verstanden, schmunzelt er, aber er fand schnell heraus, dass die Software das abgespielt hat, was er an Noten hineinpackte. Was dann geschah? Ausprobieren, ausprobieren, ausprobieren. Und im Grunde macht er das heute noch genauso. Das sei wie Lego spielen mit den Kids, lächelt der Passeirer.
Bass und Schlagzeug spielen macht Simon, der immer wieder mal ein neues Instrument erlernt, große Freude, aber ein Lieblingsinstrument besitzt er keines. Er sieht die Instrumente eher als Werkzeuge, so auch das Akkordeon, das er – wie er zugibt – nicht so gerne zur Hand nimmt. Aber wenn es zum Stück passt, kommt auch dieses „Werkzeug“ zum Einsatz. Ja, Simon malt eben gerne bunt – und nimmt deshalb so viel Farbe wie möglich, für seine musikalischen Kunstwerke. Und das hört man. Simon Gampers Stücke balancieren zwischen klassischen Grundzügen und experimentellem Freiraum, zwischen tiefer Emotion und Neugierde-weckender Eigenart, zwischen leisen Nuancen und explosiven, musikalischen Momenten. Und sie alle erzählen eine Geschichte, die den Zuhörenden genau lauschen lässt. Ihn berühren.
„In der Kunst brauchen wir keinen Wettbewerb.“
Simon GamperMiteinander statt gegeneinander
Seit 2014 arbeitet Simon Gamper mittlerweile als freischaffender Musiker und Komponist für Theater, Film und Konzertsaal – und schöpft durch diese verschiedenen Genres vor allem aus dem breiten stilistischen Spektrum seine Motivation. „Es ist die Abwechslung, die mir gefällt“, sagt er. Je nach Auftrag ist die Vorgehensweise immer etwas anders, das hänge immer von den Vorstellungen der Auftraggeber:innen und Regisseur:innen ab, erklärt er. Ein persönliches Gespräch sei daher das Um und Auf: Wofür braucht es die Musik? Welche Funktion soll sie erfüllen? Wie ist die Erzählebene? Simon liest sich in das Stück ein, überlegt, welche Art von Musik passen könnte, welche instrumentalen Bausteine, wie viele Leute es für die Musik benötigt? Er fertigt Mockups für die Mitwirkenden an und steht im ständigen Austausch.Die Musiker:innen, die der Komponist für ein Ensemble bzw. ein Projekt benötigt, sucht Simon meistens selbst aus. Ihm ist es wichtig, mit verlässlichen und professionellen Menschen zusammenzuarbeiten. Loyalität und ein Miteinander, statt ein Gegeneinander – das ist Simon Gamper, der auch Mitgründer der PERFAS (Performing Artists Association South Tyrol) ist, ein großes Anliegen. „Wir bemühen uns, innerhalb der Südtiroler Kulturszene eine Arbeitslandschaft zu kreieren, in der die Professionalität eines Einzelnen belohnt wird.“ Damit möchte die PERFAS dem in Südtirol oft noch vorherrschenden Konkurrenzdenken entgegenwirken. „In der Kunst brauchen wir keinen Wettbewerb.“
„Zufriedenheit ist nicht skalierbar, Zufriedenheit ist.“
Simon GamperDas Gefühl der Zufriedenheit
Man merkt, wie wichtig Simon sinnvolle Symbiosen sind. Im Zusammenspiel einzelner Instrumente, aber eben auch einzelner Mitwirkenden. Statt selbst überall Hand anzulegen, schafft er lieber eine Gemeinschaft von vielen Musiker:innen. Und dann ist da natürlich noch diese tiefe Verbundenheit mit dem eigenen Schaffen. „Ich habe 20 Jahre gebraucht, um herauszufinden, dass es nicht der Bühnenauftritt ist, der mir die Zufriedenheit gibt, sondern das Musikmachen selbst.“ Simon beschreibt seinen kreativen Prozess so: „Zuerst ist da nichts, dann darf ich mir etwas ausdenken und etwas schaffen – und schließlich ist etwas da.“ Diese Einfachheit, dieses Gefühl, etwas geschaffen zu haben, stimmen den Passeirer zufrieden. Er ist sich sicher: Zufriedenheit ist nicht skalierbar, Zufriedenheit ist. Sein Studio ist sein kleines Paradies, sagt er, sein „Non-Plus-Ultra“. Besser wird’s nicht.
Der Passeirer sagt von sich selbst, dass er keine großen Veränderungen des eigenen Gemütszustandes kenne, er sei einfach grundlegend zufrieden. Er sei zwar emotional und nutze diese starken Emotionen für seine kreativen Prozesse, lasse sich von ihnen aber nicht mitreißen. Simon nimmt das Leben, wie es kommt, nimmt alles an und lässt auch Vieles wieder gehen. Er ist genügsam, offen, sinniert und bleibt dabei immer sehr pragmatisch. Ob das sein Erfolgsrezept ist? Womöglich, aber eines ist sicher: Dadurch ist er zu dem gekommen, was er heute macht: Musik kreieren. Ein Blick zurück.
Träume verabschieden für einen neuen Weg
Der Weg zum freischaffenden Komponisten und Musiker kam zufällig. Sein Studium an der Universität für Musik und Darstellende Künste in Graz brach Simon kurz vor dem Diplom ab. „Ich dachte immer, dass das mein Weg sein sollte. Die Einsicht, dass dem nicht so ist, war sehr schwierig für mich zu akzeptieren. Und auch für meine Eltern, die wirklich viel dafür getan haben, dass ich überhaupt studieren konnte.“ Simon verabschiedet sich innerlich von seinen einstigen Vorstellungen, verbrachte noch eine Weile in Graz, besuchte Vorlesungen, die ihn interessierten und kehrte 2010 schließlich mit seiner heutigen Frau Vera nach Südtirol zurück, wo er eine Zeit lang an Musikschulen unterrichtete. Eines Tages öffnete sich eine unerwartete Tür für Simon: Er bekam eine Anfrage für die Komposition für eine Reihe von Rai-Dokumentationen – seither folgt ein Projekt dem nächsten: Theater, Musik, Konzerte, künstlerische Projekte usw. Vor kurzem beendete Simon seine Aufnahmearbeiten und die Tour mit Max von Milland. Die Schlossfestspiele Dorf Tirol 2023 gehen ebenfalls auf seine musikalische Kappe.
Besonders gerne denkt er an den lettischen Western „Wild East“ zurück, bei dem er von Regisseur Matīss Kaža freie Hand bekam. „Es war wirklich schön, welches Vertrauen er mir entgegenbrachte. Das Projekt war daher in zweierlei Hinsicht ein Traum für mich, zumal ich seit Kindheitstagen ein wahnsinniger Western-Fan bin.“ Western, Fantasy, Science Fiction – Simon liebt Bücher und Filme des Eskapismus, wie „Star Wars“ oder „Herr der Ringe“. Aber auch aus Büchern und Philosophie schöpft er sehr viel Inspiration, erzählt er. Oft seien philosophische Ansätze der Ausgangspunkt für eine neue Komposition. Verträumt oder weltfremd wirkt Simon deshalb aber noch lange nicht, ganz im Gegenteil: Er ist sehr geerdet und man kennt ihm seinen Fleiß an. Den hat er sich von seinen Vorbildern, seinen Eltern und älteren Geschwistern abgeschaut. „Fleißig sein … Das klingt immer so langweilig, aber das ist mir nun mal sehr wichtig. Wir haben in unserem Leben wirklich sehr wenig Zeit – und die möchte ich immer möglichst sinnvoll nutzen. Es gibt für mich nichts Schlimmeres, als Zeit zu verschwenden.“
„Die schlimmste Musik ist immer noch besser als keine Musik“
In der Musik selbst ist der russische Komponist und Pianist Schostakowitsch Simons Vorbild – aber den einen Stil gibt es in Simons Arbeiten nicht. Er arbeitet mit möglichst vielen Instrumenten, mit möglichst vielen Musiker:innen und lässt sich auch von allerhand musikalischen Einflüssen leiten. Es gibt keine Musik, die er nicht mag, verrät er, obwohl er tatsächlich wenig Zeit hat, selbst welche zu hören. „Ich wäre nicht glaubwürdig, wenn ich nicht jeder Musikrichtung etwas abgewinnen könnte und möchte mir nicht leisten zu sagen: Das ist nichts. Ja, ich kann mir auch die Kastelruther Spatzen anhören und sie gut finden. Hast du da schon mal auf den Text gehört? Kein Wunder, dass die so beliebt sind, die sind echt tiefgründig, eigentlich.“
Aus jeder Musik, aber auch aus jeder Situation, immer das Beste rauszuholen, ist Simon ein wichtiges Anliegen und etwas, das er sich von seiner Frau abgeschaut hat. Und seine Kinder, nun, die schauen sich auch viel von ihrem Papa ab. Kommen ab und zu mal ins Tonstudio gehuscht, fragen: „Tati, kenn mor iaz mein Song aufnehmen und auf die Toniebox loden?“ Dann wird experimentiert und ausprobiert – ganz so, wie es Simon Gamper damals auch gemacht hat, als kleines Kind. Und schaut, was aus ihm geworden ist.
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