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Illustrations by Sarah
Teresa Putzer
Veröffentlicht
am 31.05.2023
LebenTW: K.o.-Tropfen, Missbrauch, Gewalt

Die Gefahr im Glas

„Und dann war alles nur noch schwarz“: Unbemerkt landen die als „Vergewaltigungsdroge“ bekannten K.o.-Tropfen in Drinks und machen Opfer willenlos und zur leichten Beute. Gibt es das Phänomen auch in Südtirol? BARFUSS hat Betroffene gefunden.
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Es sollte ein toller Partyabend mit Freund:innen werden. Für Lena* endete der Abend abrupt, sie kann sich an kaum etwas mehr erinnern. Lena weiß noch, dass sie auf der Maturant:innenfete im Baila war und wild auf der Bühne mit ihren Klassenkamerad:innen gefeiert hat, dann ist alles schwarz.        

Heute weiß Lena: Ihr wurden K.o.-Tropfen verabreicht. Lena ist kein Einzelfall. BARFUSS hat einen Aufruf auf Instagram gestartet: Wir wollten wissen, wer Opfer von K.o.-Tropfen geworden war. 14 BARFUSS-Leser:innen haben sich mit ihren Geschichten bei uns gemeldet: Frauen, Männer, Minderjährige, Erwachsene. Ihnen allen wurde bei gesellschaftlichen Events, Partys oder Clubbesuchen im In- und Ausland etwas ins Getränk gemischt, das sie ausgeknockt und Erinnerungslücken verursacht hat.

„Um ehrlich zu sein bin ich für die K.o.-Tropfen „dankbar“, weil ich mich zumindest an diese abscheuliche Tat nicht mehr erinnern kann. Ich wurde vergewaltigt, ausgeraubt und wer weiß was noch alles. Ich weiß nicht, ob ich mit dieser Erinnerung leben könnte.“

– weiblich, 29

Die Lage in Südtirol
Laut den Erfahrungen von Forum Prävention gibt es zwar solche Vorfälle in Südtirol, dennoch sei das Phänomen hierzulande nicht sehr ausgeprägt. Die Koordinatorin der Suchtprävention und Gesundheitsförderung, Evelin Mahlknecht, wurde selbst Opfer der unfreiwilligen Verabreichung von K.o.-Tropfen. Beruflich wird sie allerdings kaum mit solchen Vorfällen konfrontiert: „Obwohl wir bei vielen Partys anwesend sind, habe ich erst einmal einen Fall live miterlebt, bei der jemand Opfer von K.o.-Tropfen geworden ist. Meistens hören wir von der Verabreichung der Droge erst im Nachhinein, wenn sich Betroffene bei uns mit ihren Geschichten melden“, so Mahlknecht.

Das bestätigen auch die Carabinieri der Provinz Bozen. Opfer seien sich häufig des Missbrauchs gar nicht bewusst und deshalb müsse von einer höheren Dunkelziffer ausgegangen werden. „In den letzten Jahren wurden in Italien mehrere ‘Vergewaltigungsdrogen’ beschlagnahmt. In der Provinz Bozen hat die Polizei in den letzten Jahren ca. 15 Liter dieser Substanzen, das heißt mehr als 25.000 Einzeldosen, mit einem Handelswert von ca. 13.000 Euro beschlagnahmt“, erklären die Carabinieri in einer schriftlichen Stellungnahme. Dabei würden die Konsument:innen und Händler:innen die Substanzen meistens im Internet, im Dark- oder Deep-Web, erwerben. Die Labors, in denen sie hergestellt werden, befinden sich fast immer im Ausland. So wurden von den Carabinieri Routen des Substanzhandels rekonstruiert, die in den Niederlanden, im Vereinigten Königreich, in Kroatien und in der Volksrepublik China ihren Ursprung finden.

Evelin Mahlknecht – Koordinatorin der Suchtprävention und
Gesundheitsförderung beim Forum Prävention

Was sind K.o.-Tropfen?
K.o.-Tropfen sind in vielen Kreisen auch als Date-Rape-Droge, Vergewaltigungsdroge oder Liquid Ecstasy bekannt, obwohl sie nichts mit der Party-Droge Ecstasy, also MDMA, zu tun haben. Für gewöhnlich bestehen die Tropfen aus GHB und GBL. Die Substanz kann sowohl freiwillig konsumiert als auch missbräuchlich verabreicht werden. Manchmal kommt die Substanz bei Mutproben zum Einsatz, bei der Verabreichung unter Freund:innen als „Gag“, um zu sehen, was passiert oder beim Chem-Sex (Anm. d. Red.: Einnahme von Drogen oder Substanzen beim Geschlechtsverkehr). Die missbräuchliche Verabreichung passiert häufig, indem Personen die Tropfen ins Getränk gemischt bekommen. Neben solchen Substanzen wird auch auf andere Substanzen zur Betäubung zurückgegriffen, wie etwa auf Schlafmittel oder sehr starke Beruhigungsmittel. „Menschen, die anderen Menschen Schaden zufügen wollen, sind im Tatvorgang sehr kreativ. Das zeigt sich in allen möglichen kriminellen Situationen. Auch bei der Betäubung von Menschen gibt es mittlerweile verschiedene Möglichkeiten zur missbräuchlichen Verabreichung von Substanzen“, klärt Evelin Mahlknecht auf.

Die Carabinieri der Provinz Bozen weisen daher ebenfalls auf die Vielzahl von Substanzen hin, die unter dem Begriff der K.o.-Tropfen zusammengefasst werden. Die meisten Täter:innen greifen laut den Carabinieri auf die GBL-Substanz zurück, da diese viele „Vorteile“ für die Täterschaft mit sich bringen: „GBL ist billig und profitabel (1L kostet ca. 150€), es ist geruchs-, geschmacks- und farblos und wirkt bereits kurze Zeit nach der Einnahme“, so die Carabinieri.

„Ich war 2012 auf einer Maturantenfete in Baila, als plötzlich meine Beine beim Tanzen nachgelassen habe. Zwei Freundinnen haben mich dann rausgetragen, wo ich meine Eltern anrufen wollte. Ohne es zu merken habe ich die Eltern meiner Freundin angerufen. Ihr Vater hat mir im Nachhinein erzählt, dass ich nicht einmal mehr sagen konnte, wer ich bin und wo ich war.“    

– weiblich, 30

Typisch für den Konsum von K.o.-Tropfen sind die sogenannten Blackouts, also Gedächtnislücken im Nachhinein. Weitere Symptome sind Übelkeit, Schwindel und Ohnmacht: „Viele Leute, meistens junge Mädchen, berichten dasselbe: Sie hatten kaum bis gar nichts getrunken und verloren dennoch die Kontrolle über ihren körperlichen und mentalen Zustand“, berichtet Evelin Mahlknecht. Es ist von außen oftmals schwierig zu unterscheiden, inwiefern jemand zu viel Alkohol getrunken oder (freiwillig oder nicht) Substanzen konsumiert hat, da die Symptome teilweise ident sind.

„Die Angst, dass in diesen zwei Stunden, irgendetwas mit mir gemacht wurde, und dass ich mich nicht erinnern kann, begleitet mich bis heute“

– weiblich, 22

Mahlknecht spricht von einer traumatischen Erfahrung , wenn man Opfer eines K.o.-Tropfen-Missbrauchs geworden ist. Das Nicht-Wissen, was passiert ist, also die Gedächtnislücken und das Bewusstsein über den Kontrollverlust ist für viele Betroffene das Schlimmste. Dieses Trauma sei aufgrund der Erinnerungslücken und der fehlenden Einordnung von Geschehnissen besonders schwierig aufzuarbeiten, weshalb oftmals professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden muss. Zusätzlich erleben viele Opfer verschiedene Formen von Victim Blaiming, also die Abwälzung der Schuld von Täter:innen auf die Betroffenen.

So berichtet eine BARFUSS-Leserin, dass sie aufgrund des Verlustes von Koordination und Sprachfähigkeit und weil sie immer wieder in Ohnmacht fiel, ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Dort wurde der damals 20-Jährigen Blut abgenommen, um Substanzmissbrauch auszuschließen. „Bis die Blutergebnisse eingetroffen sind, wurde ich im Krankenhaus sehr herabwürdigend behandelt. Ein Pfleger meinte sogar gegenüber einem Kollegen, dass die Jugend von heute einfach keine Grenzen mehr kenne, was das Saufen angeht“, erzählt sie.

Sehr viele Opfer empfinden Scham und Schuld. Evelin Mahlknecht erklärt, dass der Moment, indem Opfer Schuld und Scham empfinden, oftmals ein unbewusster Prozess ist, dem Kontrollverlust auszuweichen und Kontrolle wiederzuerlangen. „Die Idee: ‘Vielleicht hätte ich etwas tun können’ gibt mir Macht und Kontrolle. Solche Gedanken errichten einen möglichen Handlungsspielraum“, so die Mitarbeiterin von Forum Prävention. 

„Ich fühlte mich schuldig. Schuldig nicht genug aufgepasst zu haben, schuldig betrunken gewesen zu sein und schuldig gefeiert zu haben.“

– weiblich, 25

Täterschaft
Für Evelin Mahlknecht gibt es kein eindeutiges Täter:innenprofil: „Häufig stecken unterschiedliche Intentionen hinter der Verabreichung: Machtgefühl, Schaden, sexueller Übergriff oder Raub“. Nur sehr wenige Täter:innen werden tatsächlich gefunden und für ihre Tat belangt. Die strafrechtliche Verfolgung ist schwierig. Die Substanzen sind zumeist nur bis zu sechs Stunden nach der Verabreichung im Blut und bis zu 12 Stunden im Urin nachweisbar. Das Zeitfenster für einen medizinischen Nachweis und die Chancen auf eine strafrechtliche Verfolgung sind also minimal.

Gegen Täter:innen und einen Tathergang zu ermitteln, an die sich das Opfer nicht erinnert, ist quasi unmöglich. Menschen in Besitz der Droge, werden meist nur wegen dem Besitz angezeigt, da mutmaßliche Tatpläne wie Raub oder sexueller Übergriff nicht nachgewiesen werden können bzw. noch nicht stattgefunden haben: „Wenn die Droge noch nicht eingesetzt wurde, kann der oder die Täter:in immer behaupten nur für Eigenkonsum K.o.-Tropfen dabei zu haben“, verweist Mahlknecht auf die Problematik.

Das wissen auch die Ordnungshüter: „Viele verschiedene Faktoren erschweren die Ermittlungen, da zum Beispiel nur wenige Menschen nach dem freiwilligen oder unfreiwilligen Konsum von K.o.-Tropfen ins Krankenhaus gehen oder gar eine Anzeige erstatten“, erklären die Carabinieri. Sie verweisen darauf, dass Personen, die die Substanz freiwillig einnehmen, im Falle von Nebenwirkungen eher selten aus Angst vor Ordnungswidrigkeiten die Notaufnahme aufsuchen. Opfer, denen die Substanz missbräuchlich verabreicht wurde, werten hingegen die typischen Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Erbrechen, Schläfrigkeit und niederen Blutdruck meist nicht als Alarmzeichen für missbräuchlichen Substanzkonsum.

„Meine Motorik fiel mir unfassbar schwierig. Ich hätte mich niemals wehren können. Ich kann mich kaum noch an etwas erinnern, weil ich keine richtige Kontrolle über meinen Körper und meine Gedanken hatte. Ich weiß nur noch, dass ich mit einem Messer bedroht, zum Bankomaten geschleppt und ausgeraubt wurde.“

– männlich, 34

Prävention und Intervention

„Es ist frustrierend. Denn die einzige Handhabe zum Selbstschutz lautet Eigeninitiative. Auch wenn es nicht die Aufgabe von potenziellen Opfern sein sollte, muss man auf sich selbst und das Umfeld, die eigenen Freund:innen achten“, meint Mahlknecht, die allerdings mehrere präventive Schutzmaßnahmen nennt: Da die Verabreichungen meistens über das Getränk stattfindet, sollte man es vermeiden, Getränke rumstehen zu lassen, Getränke selbst holen, keine fremden Getränke annehmen und das eigene Getränk wirklich nur Freund:innen anvertrauen. Menschen, die nicht mehr im Vollbesitz der Kontrolle über den Körper sind, sollten niemals allein gelassen und im Zweifelsfall sollte immer Hilfe geholt werden. Evelin Mahlknecht sieht in diesen Tipps aber nur eine symptomatische Lösung: „Natürlich kann und sollen Parygänger:innen über den Selbstschutz von Drogenmissbrauch aufgeklärt werden. Das löst aber das Problem nicht und hindert keine:n Täter:in weiterzumachen.“

„Ich war auf einer Party, hatte Spaß und habe auch getrunken. Plötzlich merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Zuerst dachte ich, dass ich vermutlich zu viel getrunken habe, allerdings breitete sich ein Gefühl von Kontrollverlust aus, das ich bislang bei keinem Party-Absturz kannte. Dann ging alles ganz schnell. Alles war nur noch schwarz, bis zum nächsten Tag.“       

– weiblich, 25

Für Evelin Mahlknecht müssen bestimmte Personengruppen über den K.o.-Substanzmissbrauch aufgeklärt werden: Veranstalter:innen, Securtiys, Clubs, Barpersonal, medizinisches Personal wie etwa das Weiße Kreuz. Von plakativen Kampagnen hält die Koordinatorin für Suchtprävention und Gesundheitsförderung wenig, da solche häufig den Opfern Schuldgefühle vermitteln („Du darfst das nicht, musst dich so und so verhalten“) oder auch mögliche Täter:innen weiter anstacheln würden. Besser wäre es, die Awareness-Politik von Clubs, Veranstaltungen und Bars auszubauen sowie Aufklärungsarbeit vor Ort zu leisten, wie es das Projekt streetlife.bz bereits macht.

Es ist klar: Eine gesellschaftliche Sensibilisierung ist nicht einfach, da weder Opfer bloßgestellt, noch Täter:innen motiviert werden sollen. „Um das Problem an der Wurzel anzugehen, müssen allseits bekannte gesellschaftliche Probleme angegangen werden. Die Verabreichung von K.o.-Substanzen sind nämlich die Folgen vieler bekannter Baustellen unserer Gesellschaft, wie Gewalt, Sexismus, Diskriminierung, Grenzüberschreitung, Übergriffigkeit oder gesellschaftliches Machtgefälle“, so Mahlknecht.

„Ich kann mich nur daran erinnern wie ich im Personalraum eines Clubs aufgewacht bin und sich Mitarber:innen um mich gekümmert haben. Ich sei wohl auf der Tanzfläche umgekippt. Daraufhin gaben sich zwei Männer als meine Freunde aus und wollten mich nachhause bringen. Die Barkeeper fanden das aber alles komisch, weshalb sie darauf bestanden, dass die Männer sich ausweisen sollten. Daraufhin rannten die beiden weg.“

– weiblich, 19

*Opfer der unfreiwilligen Verabreichung von K.o.-Substanzen können sich bei der Ersten Hilfe, den Ordnungshütern und bei den psychologischen Dienstes des Landes melden und Hilfe einfordern. Auch Anlaufstellen wie Caritas, Forum Prävention, Young Hands, D.f.A., Young and Direct und vielen weitere haben ein offenes Ohr.

Ein großes Danke an alle Betroffenen, die uns ihre Geschichte anvertraut haben.

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