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Veröffentlicht
am 19.12.2017
LebenIm Gefangenenlager in Libyen

Gefangen in der Hölle

Veröffentlicht
am 19.12.2017
Immer mehr Flüchtlinge, die nach Europa wollen, landen in Libyen. Dort werden sie verkauft, versklavt und misshandelt. Buba hat es aus dieser Hölle nach Bozen geschafft.
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Es ist mitten in der Nacht. Buba steigt in einen weißen, rostigen Bus, der ihn von der algerisch-libyschen Grenze in die nächste große Stadt in Libyen bringen soll. Der junge Afrikaner ist alleine unterwegs, für diese Busfahrt hat er sein letztes Geld ausgegeben. Er setzt sich an einen Fensterplatz, lehnt seinen Kopf gegen das Glas und schläft ein. Die ruckelige Fahrt macht ihm nichts aus, so müde ist er von seiner bisherigen Reise. Etwas mehr als ein Jahr ist Buba bereits unterwegs. Von seiner Heimat Gambia nach Marokko, von wo aus eine Überfahrt nach Spanien nicht gelingt, schließlich durchs algerische Inland bis an die Grenze.

Plötzlich hält der Bus an, mitten im Nirgendwo. Buba hört Schüsse. Alle Fahrgäste werden ins Freie gescheucht und müssen zusammengepfercht auf dem Boden knien, die Hände hinter dem Kopf verschränkt. Schwerbewaffnete Männer mit weißen, langen Gewändern klopfen immer wieder mit den Läufen ihrer Gewehre gegen den Nacken von Buba und den anderen Insassen – es sind Flüchtlinge wie er. Die Männer wollen Geld. Wer nicht bezahlt, wird auf der Stelle erschossen. Buba muss stillschweigend dabei zusehen. Er hat Todesangst. Zögerlich antwortet er den Männern auf Arabisch. Die Sprache rettet ihm das Leben. Sie schubsen ihn in ein Auto und nehmen ihn mit nach Az-Zintan, eine Stadt rund 160 Kilometer von der Hauptstadt Tripolis entfernt. Dort stecken sie ihn in einen Raum mit kleinen Fenstern und hunderten anderen Schwarzafrikanern. Drei Jahre lang wird er diesen nicht mehr verlassen.

Wer nicht bezahlt, wird auf der Stelle erschossen. 

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Fast 120.000 Flüchtende (Stand: 18.12.2017) aus afrikanischen Ländern sind 2017 in Italien gestrandet. Das sind laut UNO 35 Prozent weniger als 2016. Dafür verantwortlich ist ein Abkommen zwischen der italienischen Regierung und einflussreichen Milizen. Letztere kontrollieren die libysche Küste. Die Milizen erhalten Geld und logistische Unterstützung von Italien. Im Gegenzug sorgen die Menschenschmuggler dafür, dass keine weiteren Boote mit Migranten von der libyschen Küste in Richtung Italien ablegen. Mittlerweile sollen mehrere hunderttausend Männer, Frauen und Kinder in Libyen festsitzen – unter menschenunwürdigen Bedingungen.

Seit dem Sturz von Diktator Muammar Al-Gaddafi während des Arabischen Frühlings im Jahr 2011 herrscht im nordafrikanischen Staat Bürgerkrieg. Offene Gewalt und Hinrichtungen auf den Straßen gehören genauso zur Tagesordnung wie bewaffnete Kinder. Libyen ist in Regierungsgebiete geteilt, Milizen, Warlords und mehrere regionale Regierungen kämpfen um Macht und Land. Es herrscht das Recht des Stärkeren.

Nach den Zuständen in Libyen befragt, schließt Buba die Augen. Für ihn reicht ein Wort, um das Erlebte zu beschreiben: „hell“. Er hat es aus dieser Hölle nach Bozen geschafft. Im Unterschied zu Leidensgenossen, die ebenfalls hierhergekommen sind, erzählt er uns seine Geschichte – zumindest das, was er erzählen kann und will.

Buba wird von seinen Freunden in Bozen 2Pac genannt. Wenn sie sich vor der Bar Miami in der Bozner Perathonerstraße begrüßen, schütteln sie sich die Hände und führen sie dann direkt zur Brust. Ein Zeichen, dass man sich gegenseitig in einem reinen Herzen aufnimmt. Buba ist ungefähr 30. Seit etwa acht Monaten lebt der junge Afrikaner in Bozen. Er trägt eine schwarze Lederjacke, ein schwarzes Snapback Cap und eine Sonnenbrille mit verspiegelten Gläsern. Um seinen Hals hängt eine dicke Goldkette. Nie würde man vermuten, dass er obdachlos ist und nachts bei Minusgraden in ein paar Decken gehüllt Schutz unter der Drususbrücke sucht. Während unseres Gesprächs trinkt er ein Bier. Immer wieder blickt er nervös über seine linke Schulter. Als er die Sonnenbrille ablegt, wird die Angst in seinen Augen sichtbar.

Für Buba reicht ein Wort, um das Erlebte in Libyen zu beschreiben: „hell“.


Junge Flüchtlinge werden oft an Gutsbesitzer für unterbezahlte Feldarbeit verkauft. Foto: Elisa Finocchiaro/Flickr.com

„He died in my arms and I couldn’t do anything, otherwise they would have killed me too.“

Über die drei Jahre im libyschen Lager spricht Buba ungern. Die Bilder habe er trotzdem ständig im Kopf, sagt er. Leichter fällt es ihm, zu beschreiben, was Flüchtlingen wie ihm auf der Reise durch Libyen widerfährt: Häufig werden sie von libyischen Kriminellen direkt auf der Straße für vermeintliche Arbeit angeworben oder an den sogenannten Checkpoints abgefangen und in eines der Lager gebracht. Sie sind als Migrationszentren ausgeschrieben, doch Buba nennt sie „jails“. Gut gebaute, junge Männer werden von dort aus oft als Sklaven um wenig Geld an Gutsbesitzer für unterbezahlte Feldarbeit weiterverkauft – CNN hat erst kürzlich darüber berichtet. 

Die anderen sind den Lagern ihren kriminellen Führern ausgeliefert und können nichts anderes tun, als hilflos und verzweifelt auf ihre Freiheit zu warten. Zu Hunderten in kleine Räume gepfercht kriegen die Menschen dort an guten Tagen eine Mahlzeit, an schlechten Tagen gar nichts. Knochenbrüche, Auspeitschungen, Verbrennungen und Vergewaltigungen gehören zum Alltag. Die Peiniger schüren Angst, um das geforderte Lösegeld zu bekommen. Nachdem sie misshandelt wurden, wird den Opfern ein Handy in die Hand gedrückt. Damit sollen sie die eigenen Familienangehörigen anrufen und um Lösegeld bitten. Buba schluckt. Dann wird seine Stimme plötzlich lauter. „They gave no water or food to my friend, because his family had no money“, erzählt er, „he died in my arms and I couldn’t do anything, otherwise they would have killed me too“.

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Der Rassismus in Libyen ist tief verwurzelt. Arabischen Sklavenhandel gab es bereits im 7. Jahrhundert nach Christus. Westafrikaner wurden durch die Sahara in den Norden verschleppt, dort auf Märkten verkauft und anschließend in alle Teile des islamischen Reichs gebracht. Erst im 19. Jahrhundert fand die Sklaverei ein Ende. Das Überlegenheitsgefühl gegenüber dunkelhäutigen Afrikanern ist der arabischstämmigen Bevölkerung in Libyen jedoch bis heute erhalten geblieben.

Überlebt hat Buba nur, weil er Arabisch kann. Gelernt hat er die Sprache in einer Koranschule in Gambia, die er für kurze Zeit besucht hat. Im libyschen Lager fungierte er für den Kopf der kriminellen Bande als eine Art Übersetzer. Verschont wurde er trotzdem nicht. Während Buba spricht und gestikuliert, rutschen die Ärmel seiner Jacke immer wieder ein Stück nach oben und legen Narben frei. Sein ganzer Körper sei voll davon. Peitschenhiebe und Knochenbrüche seien das geringste, das ihm in Libyen widerfahren sei.

Um ihre Kinder aus den Lagern zu retten, würden viele afrikanische Familien ihre Häuser, Grundstücke oder Tiere verkaufen. Die meisten seien aber so arm, dass sie nichts zum Verkaufen hätten. Dann müssen Verwandte oder Freunde aushelfen. So auch bei Buba. Seine Familie in Gambia gibt es nämlich nicht mehr. Vater, Mutter und Bruder wurden umgebracht. Und auch Buba selbst hätte es treffen können, wäre er unter dem Regime von Ex-Präsident Yahya Jammeh in Gambia geblieben. Deserteure wie er waren dort nicht gerne gesehen. Regimegegner verschwanden immer wieder spurlos. Allein auf Homosexualität galt lebenslange Haft. Genug Gründe für Buba, um von der „lächelnden Küste“ – so der Slogan des Landes – in eine bessere, europäische Zukunft aufzubrechen.

Während Buba spricht und gestikuliert, rutschen die Ärmel seiner Jacke immer wieder ein Stück nach oben und legen Narben frei. 


Afrikanische Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa. Foto: Brainbitch/Flickr.com

„I just live until I finally can die.“

Das Lächeln ist dem jungen Afrikaner längst vergangen. 2.157 Tage lang war Buba unterwegs, bis er sich schlussendlich aus dem Lager freikaufen konnte und sein Boot in Sabrata, eineinhalb Stunden von Tripolis entfernt, ablegte. Wie so oft betet Buba auch während der Überfahrt. „Only God can help“, da ist er sich sicher. Ohne seinen Glauben hätte er die Zeit im Lager niemals überstanden. Auf Rache sinnt er nicht, dann würde der Krieg nämlich nie mehr ein Ende nehmen. Um die Vergeltung werde sich Allah kümmern. Die Hoffnung, die er einst in Europa sah, scheint Buba mittlerweile verloren zu haben. „I just live until I finally can die“, sagt er.

Flüchtlinge mit Geschichten wie der von Buba gibt es viele. Nicht nur im Rest Italiens, sondern auch bei uns in Südtirol. Weil selten jemand wirklich zuhört, erzählen die Jungs vor der Bar Miami jedoch nicht gerne davon. Buba ist der einzige, der vertraut und spricht. Das Recht auf einen Platz in einem der Flüchtlingscamps hat ihm der Staat wegen schlechten Verhaltens entzogen. Weil er keinen Ausweis hat, kann er nicht ausreisen. Bleiben und arbeiten darf er aber auch nicht. Also lebt Buba ohne Identität in den Straßen Bozens. Solange, bis die Polizei ihn zum nächsten Halt seiner nie endenden Reise schickt.

Lisa Maria Kager

Videos:

Amadou Toure

Fotos:

Unmiss/Flickr, Elisa Finocchiaro/Flickr, Brainwitch/Flickr

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