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Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 19.10.2016
LebenGoa-Szene in Südtirol

Die Hippie-Nachfahren

Veröffentlicht
am 19.10.2016
Anhänger der Goa-Szene gelten oft als letzte Hippies. Doch das Szenebild hat sich verändert. Was heute im Vordergrund steht, sind Psytrance und Drogen.
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Castor sieht sich neugierig um, er findet es geil hier. Für den 23-jährigen Studenten, der bisher noch nie auf einer Goa-Fete war, ist alles neu – die milchig-weißen Spinnennetz-Dekos, die über die Tanzfläche gespannt sind, die neonfarbenen Lichtspiele, der ultraschnelle Psytrance-Sound. Und was ihn am meisten beeindruckt: Die Location, eine Waldlichtung, umgeben von schwarzen, hohen Fichten. Es ist ein lauer Juliabend, die Temperaturen lassen das Feiern im Freien zu.

Eigentlich musste sich Castor erst überreden lassen, um hierher auf eine Goa-Party zu kommen. Goa-Anhänger? Von denen hatte er bisher nur durch Gerüchte gehört. Ein paar Spinner auf Drogen sollen das sein, und ihre Musik ziemlich monoton. Doch die Dreadlocks und schlabbrigen Hosen stören ihn, der erst kürzlich von einem Thailand-Trip zurückgekehrt ist, nicht im Geringsten. Wie er bald erfährt, ist auch die Location kein Zufall: Das Feiern an abgelegenen Orten mitten in der Natur ist eine inzwischen bewährte Goa-Tradition. Dunkel, verästelt, geheimnisvoll: Die Atmosphäre, die dadurch entsteht, passt zum Psytrance-Sound.

Doch der Wald hat offenbar eine weitere Funktion. Als Castor in den Wald geht, weil die Schlange vor den Toiletten zu lang ist, bemerkt er am Fuße mehrerer Fichten und Buchen Grüppchen von Leuten. Jeweils drei oder vier Menschen sitzen beieinander und starren auf einen Smartphone-Bildschirm. Dabei ist auf dem Smartphone nicht etwa irgendeine App offen. Der flache Bildschirm wird benutzt, um darauf ein Pulver oder etwas Pflanzliches aufzuteilen, zu zerkleinern, in Lines zu rücken. Nach der Einnahme brechen die Leute wieder in Richtung Tanzfläche auf.

Dass der Drogenkonsum in der Szene nicht nur ein Klischee ist, weiß auch Evelin Mahlknecht. Mit einem Stand von streetlife.bz, einem Projekt des Forums Prävention, ist auch sie heute auf der Party, um in puncto Drogenkonsum aufzuklären. „Drogen sind ein fester Bestandteil der Goa-Szene“, sagt sie. Doch der Drogenkonsum hat hier meistens einen anderen Charakter als etwa an einem Abend im Club, wo es nur darum geht, sich aufzuputschen. In der Regel ist es auch nicht das Ziel, die Realität zu vergessen und Zuflucht in einer Scheinwelt zu suchen. Die Psytrance-Liebhaber sehen die bewusstseinserweiternden Substanzen eher als ein Mittel zum Zweck. Und tatsächlich gehören Abhängige zur Ausnahme. Doch worum geht es ihnen dann?

„Wir sind keine Junkies“

Jakob, DJ und regelmäßiger Besucher von Goa-Partys, spricht immer von „probieren“, wenn er das Konsumieren einer Droge meint. Und davon, es “richtig einzuschätzen zu lernen”. Ihm geht es wie den meisten in der Szene um das Experimentelle. Grundsätzlich unterscheidet man bei Drogen zwischen aufputschenden und halluzinogenen Mitteln. Für die Goa-Szene sind die halluzinogenen Mittel typischer. Man will damit experimentieren, neue Erfahrungen sammeln. Die gängige Meinung, dass man Drogen nimmt, wenn es einem schlecht geht, stört Jakob. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall, vor allem in der Goa-Szene. Deswegen spricht man von sogenannten „Trips“. Wer Pilze oder LSD nimmt, will Trips, also Ausflüge ins eigene Bewusstsein unternehmen, neue Wahrnehmungswelten erkunden. 

„Drogen sind ein fester Bestandteil der Goa-Szene.“

Evelin Mahlknecht, streetlife.bz

“Wenn man zum Beispiel Speed oder andere Drogen ausprobiert und verantwortungsvoll damit umgeht, ist das wohl kaum schlimmer, als jedes Wochenende fetzvoll zu sein.”, findet Jakob. Worauf es ihm ankommt, ist eine vorsichtige Haltung: Sich über Wirkung und Risiken informieren, über die Herkunft des Stoffes Bescheid wissen. Eine solche Haltung nennt Evelin Mahlknecht Konsumkompetenz. Als Sozialarbeiterin weiß sie jedoch, dass konsumkompetenter Umgang mit Drogen längst nicht bei allen Jugendlichen anzutreffen ist. „Wenn es wirklich so wäre, dann wäre mein Job überflüssig”, sagt sie. Die Aufklärungsarbeit und die persönliche Betreuung von Hilfesuchenden, die streetlife.bz in Südtirol leistet, sind aber sehr wichtig. Eine Studie des Forums Prävention mit 226 Teilnehmern hat ergeben, dass sich immerhin fast 10 Prozent der Konsumenten überhaupt nicht informieren, bevor sie eine psychoaktive Substanz einnehmen.

Jakob selbst nimmt inzwischen nichts mehr. Auch das Rauchen von Marihuana hat er aufgegeben, da er gemerkt hat, dass seine Psyche bereits auf Cannabis sensibel reagiert. Das, was er mit Goa verbindet, ist vor allem die Musik. Und die hat sich seit Woodstock-Zeiten radikal gewandelt. Ihren Ursprung hat sie in Goa, einem indischen Bundesstaat.

Von Indien in den Rest der Welt  

Weltfrieden, freie Liebe, Aufgeben aller Konventionen. Die Forderungen bei den Hippies, den Vorfahren der Goa-Anhänger, waren ambitioniert. Doch irgendwann war mit dem politischen Engagement Schluss. Die Gesellschaft ließ sich doch nicht so radikal verändern, wie es die Idealisten der 60er-Jahre vor hatten. Spätestens als sich der Kalte Krieg dem Ende neigte, gab es für die Hippies keinen Anlass mehr, öffentlich aktiv zu sein. Diejenigen, die noch an dem freizügigen Lebensstil eines Jimi Hendrix oder einer Uschi Obermaier festhielten, zogen sich vielfach in den indischen Bundesstaat Goa zurück. Aus den ehemaligen Protestlern und Weltveränderern wurden gesellschaftliche Aussteiger.

Hier in Goa wurden Strandpartys unterm Mondschein gefeiert, es wurde mit neuen Drogen experimentiert und bald auch mit neuer Musik. The Who und John Lennon waren nicht mehr aktuell, stattdessen ließen sich die ersten Einflüsse der elektronischen Musik bemerken. Die Aussteiger auf Goa entwickelten eine eigene Variante davon: Psytrance. Anfang der 90er-Jahre strömten bereits die ersten Jünger der neuen Bewegung von Indien in die westlichen Erdteile zurück. So kam Goa nach Europa. Und sein Erfolgszug hält bis heute an. Was in Südtirol bis vor ein paar Jahren nur als Subkultur existierte, zieht jetzt auch Leute von außen an. Neben Psytrance-Liebhabern findet man auf den Partys auch Neugierige wie Castor. Es hat sich eine eigene Szene herausgebildet.

Anfang der 90er-Jahre strömten die ersten Jünger der neuen Bewegung von Indien in die westlichen Erdteile zurück. So kam Goa nach Europa.

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Wer fest zur Szene gehört, ist vor allem wegen der Musik dabei. Castor, der auf der Goa-Party wieder zurück auf die Tanzfläche gefunden hat, merkt schnell, dass die Beziehung zum Sound hier eine ganz andere ist, als etwa im Club oder auf einer Hausparty. Die Menschen versammeln sich direkt vor den Boxen, richten sich nach ihnen wie Pflanzen nach der Sonne. Je näher an den Boxen, desto begehrter der Platz. Geredet wird kaum, dafür ist es auch zu laut. Schwankend und mit rotierenden Armbewegungen tanzen die Menschen zu dem ultraschnellen Sound, der nicht selten die 140 Beats pro Minute überschreitet. Ein jeder tanzt für sich, auf der Tanzfläche existiert man nur noch für den Psytrance.

Der szenefremde Castor findet den rasanten elektronischen Sound gewöhnungsbedürftig. Andere versetzt der Rhythmus in eine regelrechte Trance. Die Wirkung ist ähnlich wie jene, die bei Naturvölkern durch Trommelschläge erzielt wird. Auch die Tatsache, dass man in der Südtiroler Goa-Szene gerne „Stompfen“ statt „Tanzen“ sagt, erinnert an die archaische Tradition der Naturvölker, durch monotone Rhythmen zu einem inneren Zustand der Harmonie und des Friedens zu gelangen. Das scheint sich auch auf das äußere Betragen der Party-Besucher zu übertragen. Seit Mahlknecht mit streetlife.bz auf Goa-Feiern vertreten ist, hat sie noch nie eine Schlägerei erlebt.

Gegen das System

Doch wie steht es um die politischen Forderungen nach Frieden? Mit Anti-Kriegs-Protesten und den Forderungen nach einer „Make love, not war“-Gesellschaft haben die Hippies noch viel von sich hören lassen. Auch heute gäbe es wieder Anlässe genug, um auf die Straße zu gehen: Der Syrienkonflikt, die Flüchtlingskrise, die zunehmenden Spannungen zwischen West und Ost. Doch von den Psytrance-Anhängern hört man wenig.

„Das liegt daran, dass Goa eher ein Rückzugsort ist, als eine Möglichkeit, aktiv zu protestieren“, erklärt Mahlknecht. Zentral sind die gemeinsamen Feiern, die Musik. Die Ideale sind im Großen und Ganzen zwar noch dieselben, wurden aber mit der Zeit zu einer rein privaten Einstellung. Wer mit der gegenwärtigen Gesellschaft nicht zufrieden ist, wer es unerträglich findet, dass Menschen an Europas Grenzen ertrinken müssen, wer nicht verstehen kann, warum es immer noch Hunger und Krieg gibt, obwohl es Alternativen gäbe, der findet in den Goa-Partys eine Möglichkeit, von allem abzuschalten und durch Musik und Freunde etwas Harmonie zu erfahren. Gegen das System zu sein ist kein politischer Akt mehr, sondern ein Gefühl. Dieses Gefühl pflegt man in der Freizeit und dazu gehört die Musik ebenso wie psychoaktive Substanzen.

Gegen das System zu sein ist kein politischer Akt mehr, sondern ein Gefühl.

Fotos

Asherfloyd, Wikipedia
Claudia Ebner
Teseo La Marca
streetlife
Daniel F.

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