BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
BARFUSS LogoSüdtiroler Onlinemagazin

Support Barfuss

Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus

BARFUSS LogoDas Südtiroler Onlinemagazin
Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 14.12.2016
LebenPrivate Altenpflege

„Was, wenn wir nicht da wären?”

Veröffentlicht
am 14.12.2016
11.000 pflegebedürftige Personen werden in Südtirol zu Hause betreut. Meist von Frauen aus europäischen Oststaaten. Diese „Badanti" fühlen sich aber manchmal alleingelassen.
Damit BARFUSS weiterhin hinterfragen, aufklären, erzählen und berühren kann, brauchen wir DEINE Unterstützung!
Werde Teil unserer Community.
Teile unsere Story
flickr_florianric.jpg

Zuzana Ondrušová kennt fast keine Privatsphäre. Kochen, putzen, beim Anziehen und Duschen helfen, ein wenig spazieren und ständig ein Auge auf die alten Leute werfen, die sie betreut. Falls nötig, auch nachts. Nur zwei Stunden am Tag hat sie frei. In ihrer Zimmerstunde geht Zuzana gerne in die Natur, trifft sich mit Freundinnen oder erledigt Dinge, für die sie sonst keine Zeit hat. An diesem Donnerstag sitzt sie in einem Café im Zentrum von Eppan. Sie bestellt einen Macchiato und eine süße Sahnetorte. „Die gönn’ ich mir heute“, sagt Zuzana und sticht sich beherzt ein Stück ab. Die Slowakin ist eine private Betreuerin für Pflegebedürftige. Eine „Badante“, wie sie in Südtirol oft und gerne genannt wird. 

Als sie vor zwölf Jahren mit dem Auto von Turčianske Teplice im Zentrum der Slowakei über den Brenner direkt nach Südtirol gefahren ist, hätte sie sich nicht gedacht, dass sie heute noch hier sein würde. Ursprünglich wollte sie nur für eine einzige Saison in einem Obstmagazin in Eppan arbeiten. Schon damals fiel es ihr schwer, ihre zehn- und zwölfjährigen Töchter alleine bei der Oma in der Slowakei zu lassen. Doch aus einer Saison wurden schließlich sieben, dann kam der Wechsel in die Hotelbranche und vor zweieinhalb Jahren hat Zuzana noch einmal einen Neustart gewagt. Zuhause in der Slowakei hat sie sich zur Pflegerin umschulen lassen. Mittlerweile sind ihre Töchter erwachsen und kümmern sich daheim um die Oma, während sich Zuzana hier um die Oma von anderen Leuten kümmert.

Zuzana Ondrušová bei einem Ausflug

Trotz Matura an einem Gymnasium würde Zuzana für einen Job in der Slowakei nicht mehr als 300 bis 500 Euro im Monat kriegen.

In Südtirol werden 11.000 Personen zu Hause gepflegt, das sind 70 Prozent der Pflegebedürftigen. Wenn die Familien die alten Leute nicht selbst betreuen können, müssen sie diese entweder im Altenheim unterbringen oder jemanden dafür engagieren. Neben dem Hauspflegedienst der Sozialsprengel können sie sich dann eine stundenweise Betreuung oder eben eine der sogenannten „Badanti“ organisieren.

Alle zwei Wochen tauscht sich Zuzana mit einer anderen Pflegerin ab und fährt zusammen mit einem Dutzend anderer in einem slowakischen Shuttle zehn Stunden lang nach Hause. Dort bleibt sie zwei Wochen, bevor es wieder nach Südtirol geht. So wie Zuzana geht es vielen Frauen aus Kroatien, Serbien, der Slowakei und Polen, die in Südtirol als „Badanti“ tätig sind. Sie kümmern sich in einer 24-Stunden-Betreuung um die alten Leute, die von ihren eigenen Familien nicht betreut werden können. Um diese zu gewährleisten, ziehen die Frauen direkt im Zuhause der pflegebedürftigen Person ein und geben damit den Großteil ihrer Privatsphäre ab. Außer einem Zimmer und zwei Zimmerstunden am Tag bleibt ihnen nicht viel. Die restliche Zeit müssen sie nämlich rund um die Uhr abrufbereit sein. Konditionen, für die man als Südtiroler hierzulande niemals in ein fremdes Haus ziehen würde. Einheimische „Badanti“, die eine 24-Stunden-Betreuung leisten, gibt es deshalb bisher noch keine.

„Wenn man geschieden ist und der Ex-Mann kein Geld bezahlt, muss man schauen, zu überleben“, sagt Zuzana und zuckt mit den Schultern. Ihr blieb vor zwölf Jahren nichts anderes übrig, als von zu Hause weg zu gehen. Trotz Matura an einem Gymnasium würde sie für einen Job daheim nicht mehr als 300 bis 500 Euro im Monat kriegen. Das reicht niemals für Essen, Miete und Nebenkosten. Auch nicht in der Slowakei.

Ursula Thaler, Geschäftsführerin der Sozialgenossenschaft humanitas24

In Südtirol kostet eine „Badante“ im Monat ohne Kost und Logie etwa 1.700 Euro. Je nach Pflegestufe der zu pflegenden Person ist ein Teil dieser Kosten durch das Pflegegeld vom Land gedeckt. Das ist aber auch schon alles. Für mehr fühlt sich die Abteilung Soziales der Provinz Bozen momentan nicht verantwortlich. „Nicht alles muss unbedingt öffentlich abgewickelt werden, um gut zu funktionieren“, meint Luca Critelli, Abteilungsdirektor für Familie, Soziales und Gemeinschaft. „Vom Land wurde zu dieser Thematik noch kein konkretes Angebot geschaffen, obwohl es da noch viel Bedarf gäbe“, sagt hingegen Ursula Thaler. In ihren Augen bestehe die Lösung nämlich nicht darin, das ganze Feld der „Badanti“ einfach der Privatwirtschaft zu überlassen. Die Frau mit dem orangenen Lockenkopf und den strahlend blauen Augen ist Geschäftsführerin von humanitas24. Die Sozialgenossenschaft in der Bozner Perathonerstraße gibt es mittlerweile so lange wie Zuzana als Pflegerin, zweieinhalb Jahre. Weil Thaler zwölf Jahre lang als Einsatzleiterin im Hauspflegedienst tätig war, hat sie die Lücken im System erkannt und schließlich versucht, diese selbst zu stopfen.

Anbieter von hauseigenen Pflegediensten gibt es in Südtirol viele, manche haben sich spezialisiert und arbeiten zum Beispiel vorwiegend mit deutschsprachigen Pflegerinnen. Humanitas24 will mit einer speziellen Vermittlungsstruktur von zwei Seiten aus der Masse der Agenturen herausstechen. Einerseits sammelt die Sozialgenossenschaft Anfragen von pflegebedürftigen Südtiroler Familien und auf der anderen Seite Vorstellungsbögen von ausländischem Pflegepersonal. Schließlich bringt humanitas24 die Nachfrage mit dem passenden Angebot zusammen und schafft so die geeigneten Bedingungen für eine gute Zusammenarbeit. Vermittlung, Anstellung, Arbeitsvertrag und die monatliche Lohnabrechnung laufen so bei der Sozialgenossenschaft zusammen. 

„Vom Land wurde zu dieser Thematik noch kein konkretes Angebot geschaffen, obwohl es da noch viel Bedarf gäbe.“

Ursula Thaler

„Für die umfassende Begleitung der Familien und der Badanti gibt es für Sozialgenossenschaften und andere Organisationen vom Land seit diesem Jahr eine entsprechende Förderschiene in Form eines Beitrages“, meint Critelli. Das Zeichen einer Kollaboration vom Land? Ursula Thaler hat von diesem Angebot bis jetzt im Dezember noch nichts gehört und ist über diese Aussage sichtlich erstaunt. Ob ihre Sozialgenossenschaft in den Genuss dieser Förderung kommen wird, weiß sie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht, will sich aber umgehend informieren.

Doch Geld alleine würde nicht immer nützen, meint Zuzana. Manchmal bräuchte man auch Unterstützung in anderen Bereichen. „Eigentlich wäre es schön, wenn man irgendwo fragen könnte, wenn man Hilfe benötigt. Wenn man zum Beispiel neu ist und Amtsgänge in einer fremden Sprache erledigen muss“, sagt sie in fließendem Deutsch. Für Zuzana selbst ist das kein Problem mehr. Nach zwölf Jahren fühlt sie sich in Südtirol fast wie zu Hause, kann die Sprache, kocht im blauen Bauernschurz und wird hie und da von Freunden sogar als „echte Tirolerin“ bezeichnet.

„Ich kenne aber auch Frauen, die sich nach zehn Jahren als Badante in Südtirol total verloren fühlen“, sagt Thaler, „Hier fühlen sie sich immer als Ausländer und daheim haben sie auch den Anschluss verloren.“ Dem wirken die Sozialgenossenschaften nun mit neuen Arbeitszeiten entgegen. Während Zuzana am Anfang ihrer Pflegekarriere nur alle paar Monate nach Hause konnte, wechselt sie sich nun alle zwei Wochen mit einer anderen „Badante“ ab. Andere Anstellungssysteme sehen einen Wechsel im Zyklus von sechs bis acht Wochen vor. „Das ist super, so können sie sich einerseits ausruhen und andererseits verlieren sie den Faden zu ihrer eigenen Familie nicht“, meint Thaler. Doch auch Zuzana fühlt sich manchmal als gespaltene Seele. „Wenn ich drüben bin, vermisse ich Südtirol und wenn ich hier bin, vermisse ich die Heimat“, sagt sie. Immer wieder hatte Zuzana das Gefühl, nicht mehr zu wissen, wo sie zu Hause sei. Mittlerweile habe sich das aber geändert. „Je älter ich werde, desto eher spüre ich, dass mein Zuhause in der Slowakei ist“, sagt sie und lächelt. Trotzdem wird Zuzana dieses Weihnachten in Eppan verbringen müssen, anstatt zu Hause in der Slowakei.

Gerne erzählt sie von ihrer Heimat, ihrer Familie und den Kindern und gerne auch von der Familie, die sie gerade betreut. Die Frau 97, der Mann 90. „Aber noch heller im Kopf als ich“, lacht Zuzana. Bei keiner Arbeit würde man so viel Dankbarkeit erfahren wie bei dieser, meint sie zufrieden lächelnd. Besonders das Zuhören sei wichtig in diesem Beruf, schließlich hätten die alten Leute noch viel zu erzählen. „Man muss mit ihnen normal reden und sich nicht außen vor halten, weil man die Betreuerin ist, das ist wichtig“, sagt die Slowakin. Um zuhören zu können, muss man jedoch erst verstehen. Oft ein Problem zwischen Pflegebedürftigen und Pflegerinnen. „Viele Frauen kommen her und können kein Wort Deutsch. Ich verstehe nicht, wie sich diese vorstellen zu arbeiten“, meint Zuzana entsetzt. Ohne Sprache könne man im Notfall schließlich nicht einmal die Rettung kontaktieren. „Deutschkurse für die Frauen zu geben, ist sehr schwierig“, weiß Thaler, die schon einmal versucht hat, ein solches Angebot einzurichten, „schließlich sind die Badanti im ganzen Land verteilt.“ Mittlerweile hat die Agentur daher Onlineangebote organisiert, durch die die Pflegekräfte ihre Deutschkenntnisse verbessern können.

Vor allem die Arbeit mit Alzheimer-Patienten ist oft sehr kräftezehrend.

„Ich war psychisch am Ende.”

Zuzana Ondrušová 

Allein die Sozialgenossenschaft humanitas24 beschäftigt an die 100 Frauen, die in ganz Südtirol verteilt als Pflegerinnen arbeiten. Jede von ihnen kommt aus dem Ausland. Eine genaue Zahl der „Badanti“, die hierzulande arbeiten, haben jedoch weder das Statistikamt ASTAT, noch die verschiedenen Sprengel im Lande. Der Schwarzmarkt sei nämlich weiterhin groß, bedauert Thaler. Die Regelung über eine öffentliche Institution, die sich der Frauen annehmen würde, könnte diesem Problem bestimmt Abhilfe schaffen. „Es kann nicht immer jede Verantwortung auf die öffentliche Hand abgeschoben werden“, meint hingegen Critelli, „in diesem Fall sind auch die Familien in die Verantwortung zu ziehen.“

Zuzana selbst habe noch nie schwarz gearbeitet und auch kein Angebot dazu bekommen. Mittlerweile steht sie bereits bei der vierten Familie unter Vertrag. Ihre Erfahrungen als „Badante“ waren jedoch auch nicht immer nur positiv. Für drei Monate hat sie zum Beispiel eine Frau mit Alzheimer betreut. „Da war ich psychisch am Ende“, meint Zuzana. Schläge, Bisse und Schreie von der Frau gehörten zur Tagesordnung. Sich zu beherrschen, falle da manchmal schwer. Und das obwohl bei der Frau in hellen Momenten Tränen in den Augen und Reue zu sehen waren. Die psychische Last einer solchen Arbeitssituation musste Zuzana aber alleine meistern. Obwohl Critelli sagt, dass es wichtig sei „nicht nur eine Vermittlung, sondern eine Begleitung in allen Phasen zu gewährleisten.“ Trotzdem bietet das Land den „Badanti“ hier keine Anlaufstelle.
„Das Schlimmste für mich ist, mir vorzustellen, wie ich einmal so ende“, meint Zuzana. Wenn sie von der Krankheit spricht, schießen ihr Tränen in die Augen. Sie presst ihre Lippen aneinander und sticht sich ein letztes Stück Kuchen ab, bevor sie zur nächsten Schicht aufbricht. „Aber was wäre mit diesen Leuten, wenn wir nicht da wären?“

Fotos
Flickr, florianric
Zuzana Ondrušová
Ursula Thaler
Flickr, lucam
Flickr, Ann Gordon

Dienste

  • News
  • Wetter
  • Verkehrsbericht

BARFUSS


Support BARFUSS!
Werde Unterstützer:in und fördere unabhängigen Journalismus:
https://www.barfuss.it/support

© 2023 SuTi GmbH
© 2023 SuTi GmbH . Rennstallweg 8 . 39012 Meran . MwSt: 02797340219
DatenschutzCookiesImpressum