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Der Kollege riecht nach Alkohol, jeder weiß, dass er trinkt. Die Tagesstätten-Mitarbeiterin ist beruflich und privat überfordert und hat Wein zu ihrem versteckten Begleiter gemacht. Alkohol am Arbeitsplatz ist nach wie vor ein Tabuthema, erklärt Dr. Walter Tomsu, Sanitätsdirektor des Vereins HANDS Onlus. Alle seien gleichermaßen gefährdet, Mitarbeiter*innen wie Vorgesetzte. 1.500 Menschen mit Alkohol-, Medikamenten- und Glücksspielproblemen begleitet der Verein HANDS Onlus jährlich. Der Direktor des Vereins Bruno Marcato betont: „Es gibt Unterstützung bei Alkoholerkrankung.“ Er plädiert dafür, das Thema am Arbeitsplatz frühzeitig anzusprechen und sich beraten zu lassen.
Alkohol am Arbeitsplatz ist ein Sicherheitsrisiko. Schon geringe Mengen führen zu sinkender Konzentration, zu abnehmender Leistungsfähigkeit und erschweren die Koordination. Die Unfallgefahr steigt, nicht nur beim Bedienen von Fahrzeugen oder Maschinen. Die Qualität der Arbeit leidet. Immer mehr Unternehmen erkennen die Risiken, die mit Alkoholkonsum einhergehen, sagt Dr. Walter Tomsu, Sanitätsdirektor von HANDS Onlus. Viele Betriebe leisten Präventionsarbeit und suchen das Gespräch mit ihren Mitarbeitenden. „Patient*innen mit hochriskantem, missbräuchlichem Konsum oder Alkoholabhängigkeit erleben sich zunehmend belastet und schnell überfordert“, sagt der Sanitätsdirektor von HANDS. Manche brausen ohne ersichtlichen Grund auf und reagieren beleidigend, auch Kund*innen gegenüber. Das äußere Erscheinungsbild von Betroffenen ändere sich von ungepflegt bis extravagant. Die Beziehung zu Kolleg*innen und Vorgesetzten verschlechtert sich durchwegs. Da Menschen mit Alkoholproblemen die Unzufriedenheit auch mit nach Hause nehmen, verschlechtere sich meist auch die familiäre und partnerschaftliche Beziehung, erklärt Dr. Walter Tomsu. Das werde wieder wie in einem Teufelskreis zurück in die Arbeit getragen.
„Trinker-Karrieren“ im Job ziehen sich oft über Jahre hinweg, bis interveniert wird. Je höher die betriebliche Hierarchie-Ebene der Trinkenden, desto eher werde um den heißen Brei geredet, weiß Dr. Walter Tomsu. Alkohol in der Arbeitszeit werde noch vielerorts toleriert. Es brauche keinen Aperitif zum Geschäftsessen oder passend zu jedem Gang ein Glas Wein. Vorgesetzte dürfen nicht wegschauen und sollten das Gespräch mit den Mitarbeitenden suchen, sagt Dr. Walter Tomsu. Respekt sei dabei sehr wichtig, denn Menschen mit problematischem Konsum schämen sich und versuchen, ihre Probleme zu verbergen. In einem zweiten Schritt sollte der Betriebsarzt dazu geholt werden, weil auch gesundheitliche Probleme vorliegen können. So werde oft die Motivation erhöht, professionelle Hilfe zu akzeptieren. Auch wenn die meisten Betroffenen dem Rat der Arbeitgebenden anfangs meist ambivalent gegenüberstehen, sollten diese sie ermuntern, eine Beratungsstelle aufzusuchen, sagt Dr. Walter Tomsu. Fachlich fundierte Information sei ein wichtiger Motivationsschub: Den Menschen werde bewusst, dass sich das Konsumproblem nicht nur auf der Arbeitsebene und die Gesundheit negativ auswirkt, sondern auch für Partnerschaft und Familie zur Belastung wird.
Alkohol ist in Südtirol nach wie vor eine sozial anerkannte Substanz und wird von der Bevölkerung toleriert. Die meisten Betroffenen kommen daher erst spät mit der suchtspezifischen Einrichtung HANDS in Kontakt. Ihr Durchschnittsalter liegt bei knapp 40 Jahren. „Die meisten Patient*innen kontaktieren uns erst, wenn das Fass bereits beim Überlaufen ist“, betont der Sanitätsdirektor von HANDS.
Aus diesem Grund sei es wichtig, dass der Erstkontakt mit HANDS unkompliziert und einladend ist, sagt Direktor Bruno Marcato. HANDS ist mit dem Sanitätsbetrieb konventioniert. Die Begleitung ist kostenlos (ticketfrei). In besonders delikaten Fällen ist auch eine anonyme Betreuung möglich, wenn es sich beispielsweise um Menschen handelt, die im öffentlichen Dienst beschäftigt sind. Daten werden nach hohen Standards behandelt, Klient*innen brauchen keine undichten Stellen befürchten, beruhigt Bruno Marcato. Für einige Patient*innen sei es erleichternd, wenn sie verstehen, dass Alkoholabhängigkeit eine Erkrankung ist und dass es nicht darum gehe, “Schuldige“ zu suchen. Das Erstgespräch findet in der Regel innerhalb einer Woche nach der Kontaktaufnahme statt. Es wird von Psycholog*innen oder Ärzt*innen durchgeführt. Darauf folgt eine diagnostische Abklärung und ein multidisziplinäres Betreuungsprogramm. Die mitarbeitenden Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen und Sozialarbeiter*innen machen ärztliche Diagnosen und verschreiben Therapien, bieten Gesprächstherapie an, begleiten persönlich und ganzheitlich, sind während des Entzugs für Betroffene da, bieten Tagesbeschäftigung, temporäre Unterkunft und Arbeitsinklusion an.
Die Hälfte der unterstützten Menschen bei HANDS ist älter als 50, die stärkste Altersgruppe zwischen 30 und 50 Jahre alt. Die Dauer einer durchschnittlichen Behandlung liegt in der Regel bei ein bis zwei Jahren, wobei die Behandlungsintensität schon nach wenigen Wochen abnimmt und für die Klient*innen kein Terminstress entsteht. Die Behandlung hängt auch vom generellen Gesundheitszustand, von einer gewissen psychischen Stabilität und/oder der sozialen Situation der betroffenen Person ab.
Zu den 1.500 jährlich Betreuten von HANDS gehören auch 300 Menschen, die von der Führerscheinkommission zur vertieften Abklärung an HANDS überwiesen werden, erklärt Direktor Bruno Marcato. Die Führerscheinkommission verweist vor allem jene Klient*innen an HANDS, bei denen der Führerschein mehrfach entzogen wurde, wo pathologisches Konsumverhalten vorliegt oder eine sehr hohe Blutalkoholkonzentration festgestellt wurde, wenn ein Unfall verursacht wurde oder bei den Betroffenen geringe Einsicht herrscht.
Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind rund 9 Prozent der Gesamtausgaben für die Gesundheit in Europa auf den Missbrauch von alkoholischen Getränken zurückzuführen. Der Hauptsitz von HANDS befindet sich in der Duca d’Aosta-Allee 100 in Bozen und ist unter Tel. +39 0471 270 924 oder unter der Grünen Nummer 800720762 und per Mail an info@hands-bz.it zu erreichen.
Quelle: Hands Onlus/redSupport BARFUSS!
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