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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 17.01.2018
LeuteAufstände im Iran

Zu früh gefreut

Die Menschen im Iran protestieren, man hört revolutionäre Parolen. Doch wohin soll das führen? Iran-Kenner und Iraner, die in Südtirol leben, kommentieren die Lage.
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Protestierende Iranerinnen im Zuge der Grünen Bewegung 2009

Ausgerechnet in der Pilgerstadt Maschhad, einer Hochburg der islamischen Konservativen, gingen die Menschen am 28. Dezember als erste auf die Straßen. Angetrieben waren die Protestierenden von steigenden Lebensmittelpreisen und hoher Arbeitslosigkeit. Doch sobald die Aufstände auch gemäßigtere Provinzen erreichten, wurden die zunächst wirtschaftlichen Motive bald um politische Forderungen ergänzt. Der lang angestaute Frust, in einer totalitären Theokratie zu leben, machte sich in den folgenden Tagen bei einigen Demonstrationen mit ungeahnter Heftigkeit Luft. Dort ging es nur noch am Rande um den steigenden Ölpreis oder den lieben Cousin, der noch immer keine Arbeit hat.

Stattdessen wurden ganz andere Forderungen laut. „Tod dem Ayatollah Ali Chamenei“ skandierten die Protestierenden. Für viele Iraner war das ein Schock. Allein den Namen des Obersten Führers zu nennen, gilt in der Islamischen Republik Iran als unangebracht und respektlos. Ihm öffentlich den Tod zu wünschen ist eine unerhörte, revolutionäre Blasphemie. In sozialen Medien kursieren zudem Videos, die zeigen, wie Plakate mit der Abbildung der beiden Obersten Führer Khomeini und Chamenei, gestürzt werden. Solche Plakate mit den beiden bärtigen Gesichtern sind im Iran allgegenwärtig und galten bisher als unantastbar. Doch viele Iraner haben es satt. Sie wollen keine islamische, sondern eine iranische Republik.

Wenn die Welt nun nach Iran blickt, sind die Meinungen meist gespalten. Was ist zurzeit wünschenswerter: mehr Freiheit oder Stabilität? Wie soll der Westen reagieren? Und waren die Proteste, die vorerst wieder abgeflaut sind, nur der Vorbote eines größeren Umbruchs?

Wir haben Iran-Kenner und Iraner, die in Südtirol leben, nach ihrer persönlichen Einschätzung gefragt.

Hossein Mohammadzadeh

Hossein Mohammadzadeh

Der Musiker und dreifache iranische Dotar-Meister lebt seit über zehn Jahren in Europa und seit Anfang 2017 in Südtirol. Er schätzt die europäischen Freiheiten und sympathisiert deswegen mit den Aufständischen: „Es ist normal, dass die Menschen protestieren. Man soll sie lassen. Wenn ein Volk es satt hat, protestiert es eben“, sagt er. Satt haben es die Iraner nur im metaphorischen Sinne. Viele können durch die hohen Lebensmittelgesetze kaum noch von ihrem Lohn leben.

„Das Land hat so viel Reichtum, Erdöl, touristische Attraktionen, Handwerk, aber davon kommt bei den Menschen nichts an“, konstatiert Mohammadzadeh. Denn in dem Land, in dem 100 Millionen Menschen leben, ist die soziale Ungleichheit enorm. Während einige Familien in Nordteheran in Schlössern wohnen, müssen sich andere zu fünft ein Zimmerchen teilen.

Diese Verhältnisse und auch das politische System sollen sich ändern, wünscht sich der Musiker. Dennoch warnt er vor einer Revolution: „Was mir Angst macht, ist die Gewalttätigkeit vieler Protestierender“, sagt er: „Daraus kann Chaos entstehen und aus dem Chaos etwas noch viel Schlimmeres.“

Vom Westen wünscht sich Mohammadzadeh eine eindeutige Stellungnahme. Die hat es aus Europa bisher nicht wirklich gegeben, aus den USA kam sie durch Drohungen Trumps hingegen in extremer Form. „Ich freue mich, wenn der Westen, wann immer es demokratische Bestreben gibt, finanzielle und ideologische Unterstützung gibt“, schließt Mohammadzadeh ab: „Doch welches Ende militärische Interventionen nehmen, haben die letzten zwanzig Jahre ausgiebig gezeigt“.

Mohsen Farsad

Mohsen Farsad

Der geschäftsführende Primar für Nuklearmedizin in Bozen ist skeptischer. Er versteht zwar den Unmut der Protestierenden, den westlichen Enthusiasmus, der bereits einen „iranischen Frühling“ beschwört, teilt er aber nicht: „Es ist schwierig, vorauszusehen, was geschehen wird, weil die Proteste so verschiedene Gründe haben.“ Die Wut der Demonstranten hat zwar vorwiegend ökonomische Gründe – die meisten leben am Existenzlimit – doch diese Wut, so stellt Farsad fest, wurde von den verschiedensten Gruppen genutzt: „Da sind zum Beispiel die religiösen Fundamentalisten um Ebrahim Raisi, den gescheiterten Präsidentschaftskandidaten, der Stimmung gegen die gemäßigte Regierung des Reformers Hasan Rohani gemacht hat. Auch dessen Vorgänger im Amt, der Hardliner Ahmadinejad, soll bei manchen Protesten die Fäden gezogen haben.“

All das steht für Farsad im Widerspruch zur Euphorie des Westens, die ganz pauschal einen Aufstand gegen Unterdrückung und Theokratie bejubelt. Diejenigen, die für mehr Freiheit und Demokratie auf die Straße gehen, seien zurzeit nur eine von vielen Interessensgruppen, die im Iran zurzeit auf die Straße gehen.

Überrascht über die heftigen Proteste ist der Arzt jedoch nicht und weist darauf hin, dass sich der aktuelle Aufstand schon länger abgezeichnet habe: „Bereits in den letzten Monaten haben viele Menschen protestiert, wenn zum Beispiel Fabriken geschlossen, Arbeitsplätze gestrichen und Löhne nicht bezahlt wurden. Das wurde von den westlichen Medien aber übersehen. Jetzt, wo der Protest das ganze Land erfasste, war Wegschauen nicht mehr möglich.“

Mohsen Farsad wünscht sich für den Iran und seine Bürger mehr Freiheiten, doch er weiß, dass das Land stabil bleiben muss, um dieses Ziel schrittweise zu erreichen. Bei einem Umbruch von heute auf morgen bestehe die Gefahr, dass die Lage sogar noch schlechter wird. Der schlimmste Fall sei ein Bürgerkrieg. Auch eine Einmischung des Westens wäre gefährlich. Farsad fordert stattdessen Dialog: „Der Westen muss die iranischen Verhältnisse besser verstehen lernen, bevor er gegen eine Regierung wettert, in der auch gemäßigte Reformisten sitzen. Die Amerikaner verfolgen eine Politik, die an der iranischen Realität völlig vorbeischießt. Trumps Einreiseverbot freute im Iran nur die Hardliner. Die Europäer hingegen können in der aktuellen iranischen Politikszene gute Partner finden, wenn sie wirklich eine Öffnung des Landes wollen.“

Maria Theresia Schmittner

Maria Theresia Schmittner

Durch ihre Ehe mit einem Iraner kam die Südtiroler Rechtsanwältin 1991 das erste Mal in den Iran. Die Ehe ist inzwischen geschieden, doch Schmittners enge Bindung zu dem Land sowie die Liebe zur persischen Sprache blieben bestehen. Noch heute fährt sie fast jedes Jahr dorthin, um Verwandte und Freunde zu besuchen.

Als Außenstehende kann sie die Proteste gut nachvollziehen, findet aber, dass politische Forderungen nach mehr Freiheit nur am Rande eine Rolle spielen. „Es sind die hohen Lebensmittelpreise, 12 Prozent Inflation und 40 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, die die Menschen auf die Straßen treiben. Außerdem der krasse Gegensatz zwischen vielen Armen und einigen wenigen extrem Reichen“, sagt Schmittner.

Sie selbst erhofft sich für die Islamische Republik Reformen, wenn nicht sogar einen Sturz der islamischen Staatsmacht. Darauf hofften auch viele ihrer iranischen Freunde im Jahre 2009, als die Iraner als sogenannte „Grüne Bewegung“ auf die Straßen gingen, um gegen eine mutmaßliche Wahlfälschung des Hardliners Ahmadinejad zu protestieren. Angesichts der jetzigen Proteste sei diese Hoffnung aber fehl am Platz, glaubt Schmittner: „Die Situation wird auch in absehbarer Zukunft bestimmt nicht besser, und die Menschen werden weiterhin auf die Straßen strömen, um ihrem Unmut Luft zu machen. Doch solange niemand da ist, der diesen Unmut bündelt, die Menschen anführt und einen Aufstand organisiert, wird sich nichts Nennenswertes ändern.“

Auch sei die derzeitige Lage bei weitem noch nicht so dramatisch, dass man sich als Tourist nicht mehr in den Iran trauen dürfe. Schmittner rät deswegen weiterhin, die Möglichkeit, dieses faszinierende Land kennenzulernen, zu nutzen.

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