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Tamara Lunger und der Berg, das sind zwei untrennbare Komponenten. Spricht die 28-Jährige von ihrer Leidenschaft, dann ist das schwer in Worte zu fassen. „Jeder Moment in den Bergen lässt mich bewusster, intensiver und dankbarer Leben“, liest man auf Tamaras Blog, dem Skript ihres Lebens. Mit 23 Jahren war die Extrembergsteigerin die jüngste Frau, die auf dem Lhotse stand (8.516 m). Kürzlich hat sie den Gipfel des K2 (8.611 m), des zweithöchsten Berges der Erde an der Grenze zwischen China und Pakistan im Karakorumgebirge, bezwungen und wenig später beim Gore-Tex-Transalpine-Run das Siegertreppchen erklommen. Nun sitzt die Gummererin seelenruhig vor mir. Von sich selber sagt sie, sie sei in den Bergen zu Hause, aus tiefster Überzeugung. Und diese Überzeugung lebt sie auch.
„Ich beiße bis zum Hinwerden.“
Tamara, gratuliere erstmal zu deinem Sieg beim Lauf über die Alpen. Den Fotos im Internet nach zu urteilen, war es echt hart, oder?
Transalpine Run heißt knappe 300 Kilometer und 14.000 Höhenmeter. Zu meiner Vorbereitung habe ich nach dem K2 nur 100 Kilometer gemacht. Das ist einfach wenig. Viele haben Entzündungen, Knieschmerzen und Blasen bei so einem Rennen. Diesmal hats auch mich getroffen. Meine Arschbacken waren entzündet, das war die Hölle. Aber wer mich kennt weiß, ich beiße bis zum „Hinwerden“. Im Ziel waren zwei Eisbeutel meine einzige Rettung. Ich konnte fast nicht mehr gehen.
Zuerst der K2, dann einmal über die Alpen. Wie hält man seinen Körper denn fit für solch extreme Belastungen?
Ich trainiere eigentlich das ganze Jahr über. Pause gibts bei mir nicht. Ich mache viele Skitouren und wenn es mir in den Zeitplan passt, mache ich auch ab und zu ein paar Rennen. Ich gehe sowieso immer auf den Berg, also brauche ich keinen spezifischen Trainingsplan. Training ist für mich Hetz, ich mache das einfach, weil es mir gefällt, weil es meine Leidenschaft ist.
Der Berg ist also deine Leidenschaft. Was ist er noch für dich?
https://api.soundcloud.com/tracks/167706764
Alles (lacht). Nein, echt alles.
Tamara fängt an auf eine Art zu strahlen, die ich selten so gesehen habe.
Auch heuer auf dem K2 habe ich das noch einmal ganz besonders gemerkt. So ein feeling hatte ich noch nie. Dieser Berg ist für mich etwas so unbeschreiblich Schönes. Er hat mir eine solche innere Ruhe gegeben. Von mir aus hätte ich auch noch monatelang drüben bleiben können. Ich habe mich unglaublich wohl gefühlt. Ich bin echt froh, dass ich den Mut hatte, das durchzuziehen. Ich wusste, dass das mein Traum ist und ich alles dafür tue. Und wenn man lang genug dran bleibt, dann erfüllt sich jeder Traum.
„Ich weine heute oft noch, wenn ich auf den Berg gehe, oben bin und einfach nur noch denke: Wow, ist das schön. Ich bin dankbar für jeden Tag, an dem ich das tun kann, weil es für mich das Höchste ist.“
Wie kann man sich so einen K2 denn überhaupt vorstellen?
https://api.soundcloud.com/tracks/167706582
Das sind einfach richtig andere Dimensionen. Die sehen schon aus wie so Mordskolosse, wo man sich dann nur noch denkt: booooaahh!
Diese Berge haben eine unbeschreibliche Energie. Man kann fast schon von Spiritualität sprechen. Das ist ganz etwas anderes, als wenn ich hier auf den Berg gehe.
Drüben hat man einfach mehr Ruhe und verbringt mehr Zeit mit sich alleine. Dann nimmt man so eine Erfahrung ganz anders wahr. Ich lerne mich selbst besser kennen und was das angeht, komme ich jedes Mal gescheiter zurück. Das ist etwas Schönes und sicher mit einer von den Gründen, warum ich den Weg in Richtung Pakistan immer wieder suche.
Welches war denn dein liebstes Gefühl auf der K2-Expedition?
Mein liebstes Gefühl im Laufe dieser Expedition war kurz vor dem Gipfel. Die Stimmung mit Klaus (Anm. d. Red.: Tamaras Expeditionspartner auf der Tour) hat einfach zu tausend Prozent gepasst. Wir waren beide so energiegeladen, das war echt etwas Besonderes.
Und zu einem meiner Lieblingsmomente zählt auch noch der Tag nach dem Gipfel, wo man dann versteht, dass man es geschafft hat. Noch dazu habe ich an dem Tag vom Koch noch eine Leber serviert bekommen. Besser gehts nicht.
Wie kommt ein Koch denn in diesen Höhen zu einer Leber?
In so einem Lager ist alles sehr ursprünglich. Von alten Gaslampen über Feuerstellen bis hin zum Essen. Die Tiere werden bis in den Berg getrieben und dann dort geschlachtet. Frischer kann man die Leber nicht kriegen. Das ist einfach bärig. Das richtige Leben, bei dem es nur um Grundsachen des Überlebens geht. Ums Essen und einen Schlafsack.
Verliert man als Extrembergsteigerin irgendwann den Respekt vor der Materie?
Nein. Ich weiß genau, wann ich umkehren muss. Wenn das Gefühl bei mir nicht stimmt, ob die Situation nun gefährlich ist oder nicht, dann kehre ich um.
In Pakistan kommt mir sowieso immer vor, dass ich mich selbst im Kontext Umwelt viel intensiver wahrnehme. Oft ist es so, als würde ich die Gefahr dort regelrecht riechen.
Ist man auch so, wenn man einen Sponsor im Nacken sitzen hat?
Ja, ich schon. 2008 war das beste Jahr meiner Skitourenrennen. Das Jahr darauf hingegen habe ich mit Schmerzen verbracht. Dann kamen blöde Kommentare von gewissen Leuten. Das hat mich fertig gemacht und daraus habe ich gelernt: Eigentlich tue ich das nur für mich und die Leute können sagen, was sie wollen. Das hat mich extrem stark gemacht. Wenn, dann will ich mir etwas beweisen, nicht anderen Leuten. Ich sage immer, bei mir muss es da (zeigt aufs Herz) und da (zeigt auf den Kopf) stimmen, dann passt das auch. Sonst wäre man viel zu schnell tot. Von mir aus kommt es heutzutage auch nicht mehr auf den Gipfel an, sondern auf die Geschichte, die dahinter steckt, auf den Menschen. Die Leute wollen dich kennenlernen, sehen, dass du ein normaler Mensch bist; mit Ängsten und allem drum und dran. Noch dazu will ich das einfach. Und weil ich das mit einer solchen Freude, einer solchen Leidenschaft tue, weiß ich auch, dass es klappt. Und wenn man schon mit Druck losstartet ist das Gefühl ja nicht richtig.
Warum riskierst du trotzdem und gehst ohne Sauerstoff und Träger?
Ich habe schon als Kind alles auf dem harten Weg gemacht. Auf meiner ersten Expedition zum Lhotse haben die Träger des Kunden von meinem Expeditionspartner Simone auch etwas von meinem Zeug mitgenommen. Auf dem Gipfel habe ich dann so kalte Zehen bekommen, dass ich gedacht habe, das zahlt sich nicht aus, jetzt ohne Zehen heimzukehren, und habe etwas Sauerstoff genommen. Als ich dann vom Gipfel zurückgekehrt bin, habe ich keine Freude verspürt. Von dem Moment an habe ich entschieden, ohne Sauerstoff und ohne Träger zu gehen. Das ist ein ganz anderes Glücksgefühl, wenn auf dem Gipfel 30 Leute mit Sauerstoffmasken stehen und du den Weg ohne geschafft hast.
Sind da so viele Leute oben?
Ja, bei uns waren es ja nur knappe hundert im Basislager, so sechzig Bergsteiger plus Träger und dann noch die Köche. Auf einem Mount-Everest-Basislager sind es meistens circa tausend. Und auf dem Gipfel steht man natürlich auch nicht alleine.
Stückweise musste ich mir eine Auszeit vom Lager nehmen. Mir war da einfach zu viel los mit den ganzen Leuten. Voriges Jahr bei den Erstbesteigungen mit meinem Vater waren wir 26 Tage unterwegs ohne eine Menschenseele zu sehen. Das war ein Traum.
Also peilst du jetzt eher entlegenere Gebiete an?
Ja, also beim nächsten Projekt werden wir eher nur alleine sein.
Gibts denn schon Pläne?
Ja. Aber die verrate ich nicht (grinst). Anfang nächsten Jahres gehts höchstwahrscheinlich mit einem alten Bekannten erneut los.
Was würdest du dich denn in einem Interview selbst fragen?
Also ich denke, dass sich die Leute nie getrauen zu fragen, wie das so mit dem Klogang auf über 8.000 Metern funktioniert. (lacht)
„Um zu pinkeln, musste ich Steigeisen anziehen und den Handlauf entlangkraxeln.”
Na dann: Wie pinkelt man auf 8.611 m?
Man muss ja extrem viel trinken, weil es einem besser geht, und dadurch muss man einfach oft pinkeln und das ist da oben nicht ohne. Auf Lager 2 auf dem K2 zum Beispiel war es echt gefährlich. Auf den alten Zelten, die die Leute da oben liegen lassen, stand unser Zelt drauf und Klaus hat mir dann einen Handlauf gebaut. Um zu pinkeln, musste ich Steigeisen anziehen und den Handlauf entlangkraxeln. Irgendwann hat’s mir gereicht und ich habe mir, wie die Männer, eine Flasche zum Reinpinkeln geholt. Auch wenn ich mir dann ein Mal schon etwas den Schlafsack angenässt habe. (lacht)
Wenn man groß muss, kann man auch nicht meilenweit dahinlaufen, bis man seinen Gang erledigen kann. Und ob mans glaubt oder nicht, da sind die Männer oft die größeren Tussen als wir.
Zuletzt möchte ich noch wissen, ob es denn für dich noch Vorbilder gibt?
Mein Vorbild ist die Heidi. (lacht) Weil sie sich, wie alle Kinder, einfach das Ursprüngliche erhält, ehrlich ist und unvoreingenommen auf die Sachen zugehen. Das sollten auch wir uns erhalten.
Und wo ist der Ziegenpeter?
Für den habe ich keine Zeit. Auf meinen Expeditionen tut es nicht gut an Daheim zu denken. Außer ich suche mir einen der mitkommt. (lacht)
Tamara hat ihren Kaffee fertig und bricht auf. Nächster Stopp: das Oktoberfest in München, wo sie als Kellnerin Gas geben wird.
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