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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 23.02.2018
LeuteTheaterstück Wir. Heute! Morgen! Europa.

Wir sind Europa

Veröffentlicht
am 23.02.2018
Regisseur Alexander Kratzer träumt von einem Europa ohne Identifikation über Nationalitäten. Diesen Traum bringt er mit dem Stück „Wir. Heute! Morgen! Europa.“ auf die Bühne.
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Südtiroler sind in Italien eine deutschsprachige Minderheit. In Südtirol selbst sind sie jedoch die deutschsprachige Mehrheit. Außer im Grödental. Dort ist die ladinische Sprachminderheit in der Mehrheit und die deutschsprachigen Südtiroler wieder in der Minderheit. Wer sind wir Südtiroler eigentlich? Fühlen wir uns mehr deutsch oder mehr italienisch? Und gibt uns wirklich nur unsere Sprache Identität?

Diese und viele andere Fragen stellt sich vermutlich jeder siebte Europäer, der einer der 300 autochtonen Minderheiten in Europa angehört. Regisseur Alexander Kratzer hat sich auf eine zweimonatige Recherchereise quer durch alle europäischen Staaten begeben, 80 dieser Menschen getroffen und Antworten gefunden. Aus ihren Erzählungen und Gefühlen zu den Themen Minderheiten, Europa und Autonomie hat er ein dokumentarisches Theaterstück geschmiedet. „Wir. Heute! Morgen! Europa.“ feierte am 21. Februar Uraufführung im Bozner Stadttheater.

Alexander Kratzer beim Autonomisten Edmond Simeoni auf Korsika

„Sobald wir hier zu dritt sitzen, wäre einer von uns beiden sofort eine Minderheit“, meint Axi. So wird Alexander Kratzer im Theater von allen genannt. „Entweder sind wir Männer dann in der Mehrheit oder ihr Frauen oder wir Brillenträger. Minderheiten und Mehrheiten gibt es überall und ständig.“ Eine knappe Stunde vor der Premiere muss er noch letzte technische Probleme klären, eine Ansprache halten und jedem Musiker auf der Bühne drei Mal über die Schulter spucken – imaginär natürlich.

Ein Stück, das aus einer Band, zehn Laien-Schauspielern und zwei Moderatoren besteht, über drei Stunden dauert und dessen Ablauf in zwei Tagen einstudiert wurde, braucht bis zur letzten Sekunde höchste Konzentration. Kratzers persönlicher Kick dabei ist es, Menschen, die eigentlich nicht zu einer Gruppe gehören, auf der Bühne zusammenzubringen. In Projekten wie „Bombenjahre“ oder „Option – Spuren der Erinnerung“ hat er das bereits geschafft. „Das ist das Wunder Theater. Genau das liebe ich und genau deshalb mache ich diesen Job auch“, meint er und schiebt seine Brille zurecht. Dann geht der Österreicher noch eine rauchen, bevor der Vorhang fällt.

„Wenn man auf einer Europakarte alle politischen Grenzen, die es im Laufe der geschriebenen Geschichte je gegeben hat, mit einem schwarzen Stift einzeichnet, dann liegt am Ende über diesem Kontinent ein so engmaschiges schwarzes Netz, dass es fast einer geschlossenen schwarzen Fläche gleichkommt.“

Die Åland-Inseln, Schottland, Westthrakien in Griechenland, Katalonien, Estland, Friaul-Julisch Venetien, Rumänien, Ostbelgien und Korsika sind die Nationen, die Kratzer auf die Bozner Bühne gebracht hat. Für fünf Vorstellungen angereist, erzählen die Gäste ihre ganz persönliche Geschichte und lassen die Zuschauer die Individuen hinter dem großen Begriff „Minderheit“ kennenlernen.

„Der typische Ålander hat blonde Haare, helle Haut und blaue Augen“, sagt Danielle, als sie die Bühne betritt: „Ich bin eine dunkelhäutige, schwedisch sprechende Ålanderin, lebe in Finnland und nenne die Inseln trotzdem meine Heimat.“ Die Åland-Inseln, die in der Ostsee zwischen Schweden und dem finnischen Festland schwimmen, gehören als politische Autonomie zu Finnland. Gesprochen wird dort jedoch Schwedisch. „Irgendwie geht’s mir genauso wie euch“, meint Danielle und verlässt unter Applaus die Bühne.

Danielle ist extra aus Finnland angereist

Umrahmt werden die Geschichten von der Musicbanda Franui, die im passenden Rhythmus von einem Land zum nächsten führt. Damit die Laien-Schauspieler nicht völlig ausgeliefert auf der Bühne stehen, gibt es außerdem die menschengroße und nationalitätenlose Puppe Frau Gerda, die von Manuela Linshalm gespielt wird. Linshalm und der EU-Parlamentarier Markus Warasin moderieren den Abend mit viel Witz und Wissen und führen von einem Gespräch zum nächsten.

Auch die Reden des österreichischen Schriftstellers Robert Menasse werden von einer Puppe vorgetragen. In einen Anzug gekleidet wandert sie immer wieder über die weißen Treppen im Bühnenbild, stellt sich einen Notenständer mit Text zurecht und trägt vor: „Wenn man auf einer Europakarte alle politischen Grenzen, die es im Lauf der geschriebenen Geschichte je gegeben hat, mit einem schwarzen Stift einzeichnet, dann liegt am Ende über diesem Kontinent ein so engmaschiges schwarzes Netz, dass es fast einer geschlossenen schwarzen Fläche gleichkommt.“ Deshalb träumt die Puppe in den Worten von Menasse weiter – von einem Europa, das die Nationalstaaten völlig überwindet und dadurch dauerhaften Frieden schafft.

Frieden wünscht sich auch das Publikum, das in diesem Stück – typisch Kratzer – nicht untätig bleibt. Bereits am Beginn des Abends muss man sich mit seinem Handy ins W-Lan des Theaters einloggen und darf über die gesamte Spielzeit hinweg immer wieder an Live-Abstimmungen teilnehmen. Demnach sahen am Premierentag nur 9 Prozent des Publikums die Selbstbestimmung als Lösung aller Probleme, während satte 81 Prozent ein Nein zum Doppelpass gaben. In der dritten Reihe stimmte der Landeshauptmann fleißig mit ab.

Der Writers Corner

Auch in der Pause darf man seine Meinung im „writers corner“ in einen Computer tippen. Die Ergebnisse werden gleichzeitig auf großen Monitoren angezeigt. Als eine Art digitales Gästebuch werden die Ideen zum Stück und darüber hinaus dort gesammelt.

Eine Minderheit zu definieren, fällt Alexander Kratzer mittlerweile schwerer als vor dem Theaterprojekt. „Meine Überzeugung ist, dass es Nationalitäten nicht mehr brauchen würde. Wir müssen heute selbstbewusst genug sein, unserem Gegenüber auf gleicher Augenhöhe zu begegnen und uns dabei nicht besser oder schlechter zu fühlen.“

Begegnet man sich offen, sei es laut Kratzer völlig „Wurst“, ob man einer Mehrheit oder einer Minderheit angehöre. Auch wenn ein Europa ohne Identifikation über Nationalitäten vorerst ein künstlerischer Traum bleiben wird – auf der Bühne wurde er bereits zu einem kleinen Stück Realität. Nach einem Rap auf Friulanisch vom Gast Mauro Tubetti nehmen sich alle Gäste an der Hand und aus lauter Minderheiten wird eine große Einheit.

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