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Veröffentlicht
am 10.10.2016
LeuteStraßenzeitung zebra.

Vor dem Klo sind alle gleich

Veröffentlicht
am 10.10.2016
Ein Selfie mit LH Kompatscher oder Besuch von TV-Star Christian De Sica: Als Reinigungskraft in einer öffentlichen Toilette in Bozen hat Pina Parisi einiges zu erzählen.
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„Premere – Drucken“, steht auf einem plastifizierten Blatt Papier, das über dem roten Knopf am Ausgang der Toilette im Parkhaus Bozen Mitte klebt. Hauptsächlich hochgewachsene Männer übersehen den Hinweis regelmäßig und laufen gegen das Drehkreuz, das sich nur bewegt, sobald der Druckknopf betätigt wird. Für Pina Parisi ist das ein Rätsel: „La gente non vede!“, sagt die zierliche Frau im blauen Kittel.

Tagein tagaus dasselbe: Menschen stoßen gegen die Metallstangen. 50 Cent kostet der Eintritt ins WC – so steht es auf drei großen Schildern. Sie hängen auf beiden Seiten des Eingangs und noch einmal hinter Pina Parisis Tisch. Trotzdem fragt man sie nahezu im Minutentakt danach, wieviel der Toilettenbesuch kostet. Sie nimmt es mit Humor. Seit nunmehr sechs Jahren arbeitet sie als Reinigungskraft in der öffentlichen Toilette im Parkhaus Bozen Mitte. Von Montag bis Freitag zwischen 8.30 und 15 Uhr sorgt sie dafür, dass die Besucher*innen im Parkhaus saubere und funktionstüchtige Sanitäranlagen vorfinden. Die Toilette ist der Ort, den die Menschen nach einer längeren Autofahrt gleich aufsuchen und oft das Erste, was Reisende von einer neuen Stadt sehen. Dieser erste Eindruck bleibt. Sobald sich die Menschen erleichtert, die Hände gewaschen und sich frisch gemacht haben, fragen sie bei der Reinigungskraft nach dem schnellsten Weg ins Zentrum oder nach einem netten Lokal für das Mittagessen. Das WC sei gleichzeitig eine Art Infopoint für Tourist*innen, sagt sie schmunzelnd und deutet auf die Faltblätter und Stadtpläne auf ihrem Schreibtisch. Geschäftig schiebt sie den Stapel Papier zur Seite und wischt mit einem blauen Tuch über die Tischplatte. Überhaupt sei sie viel eher ein „tuttofare“ denn eine bloße Reinigungskraft: Sie tauscht Glühbirnen aus, fixiert lockere Schrauben, löst verstopfte Abflüsse, wechselt Geld, bringt Hinweisschilder an und gibt Auskunft.

Eine Toilette hat weder Stammkundschaft noch Zielgruppen. Die Leute, die zu Pina Parisi kommen, könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie mag die Menschen. Einige sind unfreundlich, andere aber sehr nett. Manche bedanken sich bei ihr für die sauberen Toiletten und geben ihr ein paar Münzen. Die schmeißt sie dann in die Blechdose mit dem schwarzen Mops, die auf ihrem Tisch steht. Es ist ihr ein Anliegen, dass die Kund*innen mit dem Toilettenbesuch zufrieden sind. Dazu gehören nicht nur Sauberkeit und ausreichend Toilettenpapier, sondern auch Improvisationstalent und Hilfsbereitschaft.

Es gibt diese Momente, in denen alles sehr schnell gehen muss: Wenn Menschen herbeistürmen, mit panischem Blick und zusammengepressten Schenkeln – da weiß Pina Parisi Bescheid. Dann drückt sie schon mal ein Auge zu und schnell auf den roten Knopf, damit sich das Drehkreuz gleich öffnet. Hin und wieder ist es aber bereits zu spät und etwas geht daneben, auf den Boden oder sprichwörtlich in die Hose. „Queste cose succedono!“, sagt sie pragmatisch. Da helfen weder Ärger noch Ekel, nur Gelassenheit und eine ordentliche Portion Humor. Einen empfindlichen Magen und Berührungsängste kann sie sich nicht leisten. Wenn Missgeschicke passieren, hilft sie auch mal beim Saubermachen der Hose, trocknet sie unter dem Händetrockner und die Sache hat sich erledigt. So schnell bringt sie nichts aus der Fassung.

Wo andere ein „Fuori-Servizio“-Schild an die Tür des verstopften Klos hängen, schreitet sie selbst zur Tat: Mit Gummihandschuhen und Müllbeutel hat sie schon so manches Malheur eigenhändig beseitigt. Ihr Arbeitsplatz soll in einem tadellosen Zustand sein. Besonders großen Wert legt sie auf den Geruch im WC. Pina Parisi hat eine feine Nase: Üble Gerüche kann sie nicht ausstehen. „Qui dentro puzza non ce n’è!“, sagt sie entschieden. Und tatsächlich: Es riecht frisch und sauber in dieser Toilette, keine Brise von Urinstein, kein Mief nach Abflussrohr. Ein angenehmes Aroma liegt in der Luft. Dafür bringt sie gerne ihr eigenes wohlriechendes Reinigungsmittel von Zuhause mit.

Gleich am Eingang zwischen den Toilettentüren steht ein Schreibtisch. An der Wand neben der Tür zum Damen-WC hängen ein Kalender und ein paar Fotos: Persönlichkeiten von Rang und Namen haben in dieser Toilette schon ihre Geschäfte erledigt. Mit einem schelmischen Grinsen zählt Pina Parisi einige prominente Klo-Besucher auf: Arno Kompatscher, Luis Durnwalder, Christian De Sica. Früher oder später muss jeder bei ihr einkehren, da nutzt sie die Gelegenheit für ein schnelles gemeinsames Erinnerungsfoto. „Non uscite di qua senza una foto!“, sagte sie zum Landeshauptmann. Das Foto, ein Selfie, hat Arno Kompatscher persönlich für sie gemacht. Den bekannten Schauspieler Christian De Sica erkannte sie nicht sofort, als er an ihr vorbei ins WC huschte. Erst sobald er ein paar Worte mit seinem Begleiter wechselte, wurde die Reinigungskraft hellhörig: Diese Stimme kannte sie. „No, guardi! Me lo dicono tutti, ma non sono io!“, so wollte De Sica sich davonstehlen. Doch Pina Parisi blieb stur und beharrte auf einem Foto. Der Schauspieler hatte es aber sehr eilig und ließ sie mit dem bloßen Versprechen zurück, später noch einmal vorbeizukommen. Sie konnte es kaum glauben, als Christian De Sica, der zu den beliebtesten TV-Stars Italiens zählt, tatsächlich ein paar Stunden später wieder bei ihr auftauchte, um sein Versprechen einzulösen.

Aus dem Raum nebenan ertönt das laute Föhn-Geräusch des Händetrockners. Eine elegant gekleidete Frau tritt heraus und grüßt freundlich. Sie betätigt den roten Knopf und geht davon. Der Tag, an dem Christian De Sica in der Toilette in Bozen einkehrte, war bei weitem nicht der aufregendste Arbeitstag von Pina Parisi: Schüsse, Polizei und ein wildes Tier jagten ihr im Juli 2008 einen ordentlichen Schrecken ein. Ein verstörter Hirsch irrte an diesem Tag durch die Bozner Innenstadt und gelangt in das Parkhaus an der Schlachthofstraße. Dort trabte er ziellos durch die Garage, sprang meterhoch über Fahrzeuge und kam auch an der Toiletten-Anlage vorbei. Pina Parisi riss die Tür zur Toilette auf: Wäre der Hirsch hineingelaufen, hätte sie ihn eingefangen. Doch Carabinieri, Hundestaffel und Finanzpolizei rannten bereits durch das Gebäude und versuchten das in Panik geratene Tier aufzuhalten. Am Ende hörte Pina Parisi die Schüsse, die den gewaltigen Geweihträger zur Strecke brachten.

Amüsiert schüttelt sie den Kopf: „È un parcheggio dove se ne vedono e se ne sentono di tutti i colori!“ Ihr beherztes Lachen hallt durch den Raum und zwei ältere Herren drehen sich verwundert um, während sie ihre Hände mit Seife einreiben. Dabei gab es im Leben der Sizilianerin Zeiten, in denen ihr ganz und gar nicht zum Lachen zumute war. Bevor sie nach Bozen kam, musste sie einen Schicksalsschlag nach dem anderen hinnehmen. Sie war 16 Jahre alt, als sie ihr Elternhaus in der Nähe von Palermo für immer verließ. Über 30 Jahre lang lebte und arbeitete sie in Genua, war verheiratet und hatte zwei Kinder. Ihr Leben änderte sich schlagartig, als einer ihrer Söhne bei einem Motorradunfall ums Leben kam. Nichts war mehr wie zuvor. Ihre Ehe zerbrach. Sie hielt es nicht länger aus und beschloss, mit ihrem neuen Partner nach Deutschland zu gehen. In Frankfurt wollten sie von vorne beginnen. Aber ihre Reise endete in München. Das Ersparte war schnell aufgebraucht, es blieb nur die Rückkehr nach Italien. Dort strandeten sie schließlich in Bozen – ohne Geld und ohne Unterkunft. Parisi und ihr Partner waren auf die Unterstützung von verschiedenen Einrichtungen angewiesen. Sie hatten Glück: Nach zwei Wochen begann Pina Parisi bei dem Unternehmen zu arbeiten, das sie bis heute beschäftigt. Bald darauf bezogen sie eine kleine Wohnung. Das war im Jahr 2002. Heute ist sie froh darüber, in Bozen zu sein. In den Ferien besucht sie ihre Eltern in Sizilien. Einmal möchte sie noch eine große Reise machen – nach Spanien vielleicht.

Pina Parisi ist eine begnadete Erzählerin. Ihre Stimme wird lauter und ihre Augen funkeln, wenn sie lebhaft gestikulierend Episoden aus ihrem Leben schildert. Sie kann aber auch zuhören: Es gibt viele Menschen, die einsam sind. Manche schauen regelmäßig bei ihr im Parkhaus vorbei, auch wenn sie gar kein Auto haben. Sie kommen, um mit ihr ein paar Worte zu wechseln, um ein wenig zu scherzen und zu lachen. Erst kürzlich brachte eine Frau ein Stück Kuchen mit. Wenige Meter den Gang hinunter gibt es einen Kaffeeautomaten.

Die Toilette in der Bozner Parkgarage ist alles andere als ein stilles Örtchen, sie ist ein Ort der Begegnung – „un pò come una piccola piazza!“, beschreibt ihn Pina Parisi trefflich. Dann dreht sie sich zu einem jungen Mann um, der verdutzt auf das unbewegliche Drehkreuz am Ausgang starrt: „Drucken, drucken!“, ruft sie ihm zu und schon geben die Metallbalken den Weg nach draußen frei.

von Lisa Frei

Der Text erschien erstmals in der 21. Ausgabe von „zebra.”, Oktober 2016.

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