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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 23.02.2017
LeuteLKW-Fahrerin Edith Gander

LKW-Fahren ist eine Sucht

Veröffentlicht
am 23.02.2017
Edith Ganders „Baby“ ist knallrot und kann mit 280 PS ganz schön laut werden. Trotzdem möchte die LKW-Fahrerin keinen Tag auf ihren Job verzichten.
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Edith Gander aus Sterzing ist blond und hat eine Blume im Auto. Sie ist pink und hängt etwa eine Armlänge entfernt von Ediths Lenkrad am Plastik der Lüftung, genau in der Mitte der Fahrerfront. Was die Sterzingerin dabei jedoch von anderen Blondinen mit einer Blume im Auto unterscheidet, sind die 280 PS, die ihr Wagen unter der Haube hat. Als LKW-Fahrerin eines Kranwagens transportiert sie damit nicht nur Schotter, Sand, Schnee oder Müll, sondern auch tote Kühe, neue Turbinen, alte Klaviere und ab und an mal eine Ladung frisches Wasser für die Flüchtlinge an der Grenze. Und genau deshalb kennt die 50-Jährige mit ihrem knallroten Truck auch jeder – nicht nur in ihrer Heimatstadt Sterzing.

Ediths Blume

Heute fährt Edith am Bahnhof von Sterzing auf, wo sie mich mit einem breiten Grinsen abholt. „Komm rein, Maus!“ winkt sie aus der Fahrerkabine. Um die Tür zu öffnen, muss ich meinen Arm ganz ausstrecken und schließlich über drei silberne Stufen nach oben zu Edith in ihren LKW kraxeln. „Mein Baby steht leider noch in der Garage, der hier ist von meinem Kollegen“, vertröstet sie mich und streicht dabei sanft übers dunkle Lenkrad. Mit dem „Baby“ meint Edith ihren eigenen LKW mit Kran. 280 PS und ebenfalls knallrot. Mal eben mit solchen Maschinen auf einen Kaffee zu gehen, ist für die Sterzingerin normal. Sie parkt den roten Riesen lässig vor der Tanke und lischt so ganz nebenbei das Klischee aus, dass Frauen nicht einparken könnten. Männer und Frauen in der Gesellschaft zu kategorisieren, stört Edith sowieso. „Schlussendlich sind wir ja alle gleich.“
Sie hat es immer gutgeheißen, dass ihre Tochter im Kindesalter lieber mit Baggern als mit Puppen und ihr Sohn hingegen lieber mit Kinderwagen als mit Baggern unterwegs war. Heute arbeiten beide im technischen Bereich. Während Ediths Sohn Markus für eine Firma in Sterzing Schleusen zeichnet, arbeitet ihre Tochter ab August als Maschinenbauerin in München bei einer Firma, die Turbinen fürs Militär herstellt.

„Zu meiner Zeit eine Mechaniker-Lehrstelle zu kriegen, war als Mädchen undenkbar.“


Auch Edith selbst hat als Kind viel lieber in der Männerdomäne gespielt. „Ich bin in einem Betrieb aufgewachsen und bin bereits als kleines Mädchen mit den Chauffeuren zum Steinbruch gefahren“, erinnert sie sich an den schönsten Spielplatz ihrer Kindheit. Ihr Vater war Baggerfahrer bei einer Firma, in der ihre Mutter in der Mensa gekocht hat. Gewohnt hat die Familie direkt über den Maschinen in der Hausmeisterwohnung. Ihre Leidenschaft für das schwere Spielzeug hat sie schon damals gespürt und wollte daraufhin nichts lieber als Mechanikerin werden. „Zu meiner Zeit in diesem Job eine Lehrstelle als Mädchen zu kriegen, war jedoch undenkbar“, erzählt Edith. Also hat sie angefangen, im Büro zu arbeiten, hat zwei Kinder bekommen und geduldig auf ihren Moment gewartet. Mit 33 war es schließlich soweit, dass sich Edith ihren Traum erfüllen konnte. Auf die Kündigung beim Wirtschaftsberater folgten Fahrstunden, der LKW-Führerschein und der Einstieg in die Firma ihres Kompagnons. Die Kinder mussten damals oft mit dem Lastwagen von der Schule abgeholt werden. „Ich hätte es nie geschafft, den LKW mit dem Auto zu wechseln“, lacht Edith heute.

Mittlerweile ist sie seit fast 20 Jahren LKW-Fahrerin und Teilhaberin der Firma und sagt immer noch mit strahlenden Augen: „Ich brenne jeden Tag für diese Maschinen. Das ist mehr als ein Traumjob.“ Was genau diese Leidenschaft auslöst, weiß sie nicht. Viel eher spricht Edith von einer Sucht. LKW-Fahren sei wie rauchen oder trinken. „Wenn ich am Montag nicht wieder einsteigen kann, werde ich verrückt“, sagt sie und grinst.

Dass Edith sich kein bisschen unwohl in der Männerdomäne fühlt, merkt man nicht nur, wenn sie Worte wie „schiffen“ in den Mund nimmt, sondern auch dann, wenn sie mit schwarzen Lederleggings und – passend zum LKW – rotem Pulli gekonnt ihren Kran bedient. Zielgenau lädt die taffe Blondine dann Sand, Schotter, Müll und Möbel auf ihr „Baby“. Gelernt hat sie das in Eigenregie. „Auch wenn ich mir das eine oder andere von den Männern abgeschaut habe“, gibt sie zu und zwinkert. In die Schweiz, an die tschechische Grenze, nach Österreich oder Norditalien bringt sie ihre Ware. Manches bleibt auch in Südtirol. Hier sind vor allem Kranarbeiten und Abfallentsorgung ihr Spezialgebiet, aber auch Entrümpelungen ganzer Häuser übernimmt Edith und packt dabei genauso an wie der Rest ihres Teams. Bis an die eigenen Grenzen gehe sie in ihrem Job oft. „Aber nicht weil ich eine Frau bin. Meine Männer sind am Ende des Tages schon auch fertig“, meint sie. Wenn sie von „ihren Männern“ spricht, meint Edith ihre zwei Mitarbeiter und den Kompagnon.

„Wenn ich manchmal ein bisschen Chaos verursache, nehme ich die Frauenausrede und schreie aus dem Fenster: ,Entschuldigung, ich bin Blondine!‘“

Ein Tankwagen rollt in die Einfahrt, hastig stürmt Edith aus der Bar. Mit ihrem LKW hat sie die Einfahrt zugeparkt. Lächelnd winkt sie dem Fahrer zu, entschuldigt sich bei einem schnellen Smalltalk und schwingt sich wieder hoch in die Fahrerkabine. „Ab und zu profitiere ich schon davon, dass ich eine Frau bin“, gesteht sie, während sie mit sechs Rückspiegeln gekonnt ausparkt. „Wenn ich manchmal ein bisschen Chaos verursache, nehme ich die Frauenausrede und schreie aus dem Fenster: ,Entschuldigung, ich bin Blondine!‘“
Trotzdem wollte Edith noch nie etwas von Sonderbehandlungen wissen. „Mir war es immer lieber, dass sie mich behandeln wie einen Mann. Sierig und sumsig darf man in diesem Job nicht sein. Das haben mir die Männer gleich abgewöhnt“, meint die selbstbewusste Truckerin. Vielleicht ist sie auch deshalb schon einmal mit gebrochener Rippe weitergefahren.

Ein Arbeitstag fängt bei Edith um fünf Uhr morgens an und hört um zehn Uhr abends auf. Vom Büro bis zum Transport ist sie überall involviert. Ihre Wohnung hat sie direkt über den Garagen und unter dem Büro ausgebaut. Freie Tage kennt sie nicht. „Der Tag hat sowieso zu wenige Stunden für mich“, bedauert die LKW-Fahrerin. Die Zeit, die theoretisch übrig bleiben würde, verbringt Edith im Gemeinderat. In dieses Amt sei sie einfach so hinein gerutscht. „Weil mich halt jeder kennt“, meint sie, „meine Sprechstunde halte ich deshalb auf der Straße.“ Gegrüßt wird sie hier von jedem zweiten. Dass die LKW-Fahrerin sich bei der ganzen Grüßerei überhaupt noch auf den Verkehr konzentrieren kann, ist beeindruckend.

gegrüßt wird immer und überall

Einen Unfall hatte Edith trotzdem noch nie. „Von hier oben aus sieht man alles, deshalb kann man sehr vorausschauend fahren“, sagt sie und deutet durch die riesige Frontscheibe in die Ferne und dabei über fünf Autos hinweg. Und falls doch, müsse man sich sowieso selbst helfen, wenn man einen LKW hat. Während Kettenmontieren zum Standard gehört, hat Edith ihr „Baby“ schon oft selbst repariert. Als plötzlich nur noch schwarzer Rauch aus dem LKW kam, hat die selbsternannte „Tuttofare“ ihre Drosselklappe mit zusammengehängten Büroklammern wieder zum Laufen gebracht. „Strumpfhose hatte ich leider keine mit, es war schließlich August“, scherzt Edith noch heute.

Immer gute Laune

Eine Coolness, die die Sterzingerin auch bewahrt hat, als sie mit ihrem LKW von einem Bauern zu Hilfe geholt wurde, weil zwei Kühe auf seiner Weide vom Blitz erschlagen wurden und jemand sie abtransportieren musste. Während der Bauer sich beim Anblick dieser erstmal übergeben musste, hat Edith ihren Job ganz verlässlich erledigt und dabei keine Miene verzogen. „Ich könnte dir Geschichten erzählen, damit könntest du Bücher füllen“, sagt sie und grinst breit.
Zum zigsten Mal klingelt ihr Handy. Schnell regelt sie den nächsten Klaviertransport. „Ich habe eine Mappe wie beim Frisör, um alle Termine zu planen“, scherzt sie.

„Wenn man helfen kann, muss man helfen. “

Wenn sie nicht im LKW oder im Gemeinderat sitzt, opfert Edith ihre Zeit für den guten Zweck. Obwohl sie darüber nicht so gerne spricht, möchte sie auf die miserablen Zustände in der Handhabung der Flüchtlingsproblematik hinweisen. „Als die ersten Flüchtlinge an der Grenze angekommen sind, hatten die kein Wasser, das musst du dir vorstellen“, sagt sie heute noch entsetzt darüber. Kurzerhand hat Edith ihren LKW mit selbst gekauftem Wasser vollgeladen und es an die Grenze chauffiert. „Auch geputzt und gekocht haben wir bei den Flüchtlingen an der Grenze“, erzählt Edith. Angeben will sie mit ihren guten Taten nicht. „Aber wenn man helfen kann, muss man helfen“, sagt sie und parkt ihren LKW rückwärts in die Garage.

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