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Lisa Maria Kager
Veröffentlicht
am 19.03.2018
LeuteInterview mit André Stern

Kinder als „Potentialbomben”

Veröffentlicht
am 19.03.2018
André Stern war nie in der Schule. Trotzdem hat er es weit gebracht. Ein Gespräch über Bildung und ein Aufruf an alle, die eigene Haltung Kindern gegenüber zu überdenken.
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„Lernen gibt es nicht, denn es ist eigentlich nur der Überrest vom Spiel“, davon ist André Stern überzeugt. Der 47-jährige Franzose hat in seinem ganzen Leben keine einzige Schulbank gedrückt und arbeitet heute nicht nur als Musiker, Komponist, Gitarrenbaumeister, Journalist und Autor, sondern auch als Redner. Vor hunderten von Leuten spricht er in fünf verschiedenen Sprachen über seine Erfahrungen.
Zuletzt hielt der Bestsellerautor im Rahmen des Bildungsdialogs „Bildung weiter denken“ im Realgymnasium in Brixen einen Vortrag und gewährte BARFUSS ein kurzes Interview. Sterns Philosophie: Wenn wir unseren Kindern auf Augenhöhe begegnen und sie die Welt im Spiel entdecken lassen, anstatt sie zu erziehen, können sie ihre Potentiale frei entfalten und viel mehr lernen.

André, du bezeichnest Kinder als Potentialbomben. Warum?
Man muss irgendwie frappant sein und die Wahrheit zeigen. Bisher haben wir immer gedacht, dass Kinder ein Nullpunkt sind und erst die Erziehung Kinder zu Menschen, zu Plus-Versionen, macht. Das stimmt nicht, denn die Riesen sind sie – vom Sichtpunkt der Potentiale aus gesehen. Die genetischen Programme wissen nicht, ob wir in der Wüste oder zur Eiszeit vor 20.000 Jahren auf die Welt kommen und deshalb sind wir mit allen Potentialen ausgestattet. Die Bombe wartet nur darauf, gezündet zu werden.

Was würden wir demnach denn können?
Alles. Ein Kind kann alles lernen und werden, was ein Mensch nur lernen und werden kann. Am Anfang hätten wir zum Beispiel die Fähigkeit, alle Sprachen der Welt zu sprechen. Nur brauchen wir an dem bestimmten Ort, an dem wir geboren wurden, eben nur die eine bestimmte Sprache. Genauso geht es mit allen Potentialen, die wir verlieren.

„Meine Eltern und ich waren immer auf Augenhöhe. Weil man nichts von mir erwartet hat, hat man mich so belassen wie alle Kinder sind: begeisterungsfähig.”

Wie konntest du deine ganzen Potentiale entfalten?
Das mag eitel klingen, aber ich hab wahrscheinlich einige meiner Potentiale nicht verloren, die andere sehr wohl verloren haben. Das liegt daran, dass man sich mir gegenüber nicht als Plus-Version positioniert hat. Meine Eltern und ich waren immer auf Augenhöhe. Weil man nichts von mir erwartet hat, hat man mich so belassen, wie alle Kinder sind: begeisterungsfähig. Kinder begeistern sich für alles, weil sie keine Hierarchien kennen. Mathe und Stricken sind für sie genauso gleich wie ein Journalist oder ein Müllmann.

Hast du deine Begeisterung denn bis heute behalten können?
(wie aus der Pistole geschossen) Ja!

Glaubst du, dass es funktioniert, die Begeisterung in einem System wie der Schule so zu integrieren, dass sie nicht verloren geht?
Ich denke, darauf gibt es keine Antwort. Wer darauf eine Antwort hat, lügt. Aber ich habe doch eine. (lacht) Viel zu oft haben wir gemeint, dass es eine Sache der Methode ist. Das Problem ist: Die Methoden sind immer ein Konzept von Erwachsenen, die aus ihren Erfahrungen entstanden sind.

Müssen Kinder also ihre eigene Schule machen?
Nein. Der Schlüssel ist, dass wir nicht nach einem neuen System oder einer x-ten Reform suchen müssen, sondern nach einer neuen Haltung. Das ist die Lösung aller Probleme und die ist eigentlich so einfach.

Wie meinst du das?
Jeder Einzelne trägt in sich dieses verletzte Kind und die Versöhnung mit diesem verletzten Kind würde die ganze Welt verändern. Denn das ist die Veränderung von unserer Haltung dem Kind gegenüber. Erst wenn ich mich dem Kind gegenüber im Alltag anders positioniere, positioniere ich mich auch meinem inneren Kind gegenüber anders. Das Problem an der ganzen Sache ist aber auch, das wir oft gar nicht wissen, was Kindheit eigentlich ist. Kaum erscheint die Kindheit, ersetzen wir sie durch unsere Idee der Kindheit. Und das Kind versteht sofort, dass es mehr geliebt wird, wenn es dem entspricht, was die Erwachsenen unter einem Kind verstehen.

„Egal wie viele Menschen da sind, vielleicht bleibt am Ende nur eine Person im ganzen Saal übrig, die nicht mehr gleich wie vorher mit Kindern umgehen wird. Und das ist jede Mühe wert, weil es ein Sieg ist.”

Hast du es denn nicht satt, immer wieder dasselbe zu wiederholen, während die meisten Menschen ihre Haltung gegenüber Kindern aber dennoch nicht ändern?
Nein. Ich habe manchmal richtig volle Säle. Egal wie viele Menschen da sind, vielleicht bleibt am Ende nur eine Person im ganzen Saal übrig, die nicht mehr gleich wie vorher mit Kindern umgehen wird. Und das ist jede Mühe wert, weil es ein Sieg ist.

Das heißt, du hast immer noch Hoffnung.
Ja, weil ich sehe, dass eine Welle im Entstehen ist, die es vorher nicht gegeben hat. Und das ist eine Welle von Liebe. Eine Welle von Menschen, die für etwas sind und nicht gegen etwas.

Wie soll ein Kind in Zukunft idealerweise aufwachsen?
Diese Frage muss man den Lesern selbst stellen. Die Idee ist, dass jeder eine eigene Antwort haben wird. Ich habe keine, weil jedes Kind verschieden ist. Man muss dem Kind vertrauen. Das Kind geht sowieso in die weite Welt und macht Entdeckungen. Beim Müllmann, beim Bäcker, wo auch immer.

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