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Petra Schwienbacher
Veröffentlicht
am 04.03.2019
LeuteInterview mit Sabine Foraboschi

Gefangen im eigenen Körper

Veröffentlicht
am 04.03.2019
Patienten im Wachkoma sind unfähig, sich mitzuteilen, bekommen aber oft alles mit. Krankenschwester Sabine Foraboschi hat es satt, dass sie häufig wie eine leblose Hülle behandelt werden.
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Die Augen geöffnet, die Mimik starr. Nicht fähig, sich zu bewegen oder Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen. Diagnose: Wachkoma. Südtirolweit gibt es zwischen 80 und 100 Wachkoma-Patienten. Viele von ihnen erwachen nie aus ihrem Dämmerschlaf.

Ärzte können meist nicht mit Sicherheit sagen, ob und was im Bewusstsein eines Patienten im Wachkoma vor sich geht. Dennoch werden Betroffene manchmal wie leblose Hüllen behandelt. Sabine Foraboschi stört das enorm.

Die Diplomkrankenschwester hat täglich mit Wachkomapatienten und ihren Angehörigen zu tun. Um für einen angemessen Umgang mit Betroffenen zu sensibilisieren, hat sie in Zusammenarbeit mit Primar Dr. Zelger die Erzählung über eine Wachkomapatientin veröffentlicht. „So lange ich schlief“ ist eine Geschichte über ein Thema, das an Tragik kaum zu überbieten ist.

Warum liegt dir das Thema Wachkoma so am Herzen?
Als ich angefangen habe, im Krankenhaus zu arbeiten, hatte ein junger Arzt einen Unfall. Am Tag zuvor habe ich ihn noch gesehen und am nächsten Tag lag er hier … im Wachkoma. Von einer Sekunde auf die andere kann sich alles verändern. Das war mein erster Kontakt mit einem Wachkoma-Patienten.

Die Idee für das Buch kam dir aber erst später …
Ich hatte schon länger das Bedürfnis, über das Thema zu schreiben, weil in der Bevölkerung viele Unklarheiten herrschen. Viele Angehörigen von Patienten im Wachkoma fragen mich: Was ist mit dem Menschen? Versteht er mich, ist er noch da? Vor fünf Jahren wurde dann eine gute Arbeitskollegin, die zusammen mit mir in einer Abteilung arbeitete, von einem Auto angefahren. Sie ist seitdem im Wachkoma. Das war der ausschlaggebende Grund für das Buch.

Was rätst du Angehörigen?
Man sollte mit dem Menschen so umgehen, als würde er alles mitbekommen und ihn nicht wie eine leblose Hülle behandeln. Lasst den Patienten teilhaben, erzählt ihm, was zu Hause los war, auch wenn er schon seit Jahren im Wachkoma ist. Leider ist das aber nicht immer so.

Inwiefern?
Es kommt vor, dass Angehörige vor dem Patienten, der noch gar nicht tot ist, über die Erbschaft reden oder Ärzte über die Diagnose. Dabei ist das Thema wenig erforscht und man konnte bis heute nicht genau klären, was der Patient wirklich mitkriegt. Mit dem Buch möchte ich das Bewusstsein schärfen, dass ein Mensch immer noch ein Mensch ist, auch wenn er sich nicht mitteilen kann.

Bis heute ist nicht genau geklärt, wie viel Patienten im Wachkoma wirklich von ihrem Umfeld wahrnehmen. Je nachdem welche Regionen des Gehirns betroffen sind, können Ärzte mittels Computertomographie feststellen, ob es sich um ein Wachkoma oder ein sogenanntes Locked in Syndrom handelt. Menschen mit Locked in Syndrom können sich wie Komapatienten weder bewegen noch können sie sprechen, ihr bewusstes Selbst ist jedoch vollkommen intakt – sie sind Gefangene im eigenen Körper.

Laut Untersuchungen des belgischen Neurologen Steven Laureys sind bis zu 40 Prozent der Wachkoma-Diagnosen falsch. Die Betroffenen sind nicht komatös, sondern zumindest teilweise bei Bewusstsein – unfähig, sich bemerkbar zu machen.
Kein Arzt der Welt kann genaue Auskunft geben, wie viel ein Mensch mitbekommt. Die Diagnose Wachkoma ist eine sehr schwerwiegende. Es wachen nur wenige Patienten wieder auf und die, die aufwachen – auch nach Jahren – erzählen häufig, sie hätten alles mitbekommen, konnten sich aber nicht bewegen und nicht sprechen.

Das kann man sich gar nicht vorstellen – wie es ist, alles mitzubekommen, ohne sich anderen mitteilen zu können ...
Das ist schrecklich. So etwas würde ich meinem ärgsten Feind nicht wünschen. Ich habe einen Patienten einmal weinen sehen, als ich ihm ein Foto seiner Angehörigen gezeigt habe. Man könnte sagen, das war ein Reflex, aber dass er genau in der Sekunde anfängt zu weinen, das müsste ein großer Zufall sein. Das hat mich sehr zum Nachdenken angeregt. Eine Frau hat mir nach dem Erwachen von dem Moment erzählt, als eine Stubenfliege auf ihrer Nase saß und sie nichts dagegen machen konnte. Diesen Moment schildere ich auch im Buch.

„So lange ich schlief“ ist eine Erzählung aus Sicht einer Komapatientin. Eine Frau, die mitten im Leben steht – guter Job, kleines Kind, Ehemann – hat einen Unfall und liegt von einem auf den anderen Tag im Wachkoma. Gefangen in ihrem eigenen Körper aber unfähig, sich zu bewegen oder verbal auszudrücken, erlebt die ehemalige Chefsekretärin die schlimmste Zeit ihres Leben. 14 Jahre später kämpft sie sich in ein völlig verändertes Leben zurück. Im Buch schildert Sabine Foraboschi auch die Sicht der Angehörigen. Die Tochter der Patientin ist plötzlich kein Kleinkind mehr, sondern eine junge Dame und auch für den Ehemann ist die Zeit nicht stehengeblieben.

Wie erleben die Angehörigen die schlimme Zeit?
Für sie bricht eine Welt zusammen, denn plötzlich ist die Mama, der Papa oder der Ehepartner nicht mehr da.

Und für die Angehörigen ist die Pflege von Wachkoma-Patienten sicher auch eine enorme nervliche, oft auch körperliche Belastung …
Vor allem für den Ehepartner ist es eine schwierige Situation. Ich kenne viele Angehörige, die den Patienten pflegen oder jeden Tag im Pflegeheim besuchen. Sie haben ihr Leben umgekrempelt und richten den kompletten Tagesablauf danach, ihre Liebsten zu besuchen. Hut ab vor diesen Menschen. Was sie alles leisten, ist ein Wahnsinn. Das sind die wahren Helden des Alltags.

Wie erlebst du als Krankenschwester die Arbeit mit Wachkoma-Patienten?
Auch als Pflegekraft ist es nicht einfach. Vor allem wenn es sich um einen Fall handelt, bei dem man den Patienten kennt. Ich muss zugeben, ich habe meine Arbeitskollegin auch länger schon nicht mehr besucht. Ich schaffe es nicht, hinzugehen. Es tut mir leid, aber es ist extrem schwierig.

Ist es da verständlich, dass bei Angehörigen, die einen Patienten fünf, zehn oder zwanzig Jahre lang pflegen, auch mal die Frage aufkommt, ob es nicht besser wäre, wenn der Patient „gehen könnte“?
Jeder Angehörige stellt sich diese Frage einmal, vor allem in der ersten Zeit nach einem Unfall, wenn die Ärzte sagen, es gebe nicht mehr viel Hoffnung. Das ist sicher eine berechtigte Frage. Wenn man mich fragen würde: Wachkoma oder Sterben? Ich würde den Tod wählen.

Um Pflegekräfte für das Thema zu sensibilisiseren, wird dein Buch jetzt auch an Schulen mit sozial-sanitärer Ausrichtung vorgestellt.
Das finde ich sehr wichtig. Es gibt leider unter den Pflegern und Ärzten auch solche, die manchmal nicht wissen, wie sie einem Wachkoma-Patienten begegnen sollen. Viele glauben, dass er Patient nichts verstünde. Das stört mich sehr und ich möchte, dass sich daran etwas ändert. Ich habe auch bereits Rückmeldungen von Kollegen, die nach dem Lesen des Buchs eine andere Sichtweise haben.

„So lange ich schlief“ wird zurzeit ins Italienische übersetzt. Die nächste Buchvorstellung findet am 11. Juni im Ost West Club Meran (Ex Minigolf Park) statt.

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