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Veröffentlicht
am 10.05.2016
LeuteStraßenzeitung zebra.

Die Zuversichtlichen

Veröffentlicht
am 10.05.2016
Ein Ehepaar aus Kamerun arbeitet als Radiologin und Chirurg im Krankenhaus Brixen. Integration war nie ein Problem für die beiden.
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Beschwingt, der Begriff passt zu beiden: Seit mehr als einem Jahr arbeiten Dr. Alvine Tchakountio und Dr. Martin Tsemzang als freiberufliche Ärztin und Arzt im Krankenhaus Brixen, sie als Radiologin, er als Chirurg. Das Ehepaar aus Kamerun hat sich während des Studiums an der „La Sapienza“ in Rom kennengelernt, die fachärztliche Ausbildung haben die beiden in Padua gemacht. Es war nicht immer einfach, doch es bestätigt sich: wo Wille und Ausdauer, da ein Weg.

Martin Tsemzang kommt pünktlich zum verabredeten Zeitpunkt, seine Frau habe noch Termine im Krankenhaus, sagt er. An diesem Tag konnte er wie geplant weg, am Abend davor stand er fast bis Mitternacht am Operationstisch. „Lui è forte, più forte di me“, wird seine Frau Alvine Tchakountio später sagen, obwohl auch sie in Vollzeit arbeitet und die Hauptverantwortung für die beiden Söhne trägt – der eine zehn, der andere 14 Jahre alt.

Neuanfang in Rom

Der weiße Brillenrand auf Martin Tsemzangs Gesicht fällt auf, die Augen wirken klug, Schelm klingt immer wieder durch. Er hat einen hellblauen Schal locker um den Hals gelegt, unter der Jacke trägt er Poloshirt und Arzthose. Seit 15 Monaten arbeitet der fast 46-Jährige als Chirurg im Krankenhaus Brixen. Im Juli vor 24 Jahren reiste er mit Studentenvisum nach Italien ein, um sich an der ältesten römischen Universität einzuschreiben. Bei der „La Sapienza“ handelt es sich um eine der größten Universitäten Europas: Sie besitzt 21 Fakultäten und bietet rund 200 verschiedene Bachelor- und 120 Masterstudiengänge an. 250.000 Studierende aus aller Welt versammeln sich dort.

Sechs Wochen hatte der damals 23-Jährige Zeit, um sich für die Aufnahmeprüfung an der medizinischen Fakultät vorzubereiten, die Sprache war die größte Herausforderung. Er wollte einen Intensivkurs in Italienisch belegen, doch im August blieben die Schulen geschlossen. Martin Tsemzang ist ehrgeizig, ein Autodidakt und die Römer sind kommunikativ. Er redete, lernte und schaffte die Aufnahmeprüfung auf Anhieb, wie alle weiteren Prüfungen während des Medizinstudiums auch. Die Kolleg*innen an der Universität zeigten sich hilfsbereit, erzählt Martin: „Anfangs habe ich immer einige Minuten nach den anderen gelacht“, viele Diskurse habe er nicht verstanden und war auf Übersetzung angewiesen. Sein Italienisch heute ist ausgezeichnet, nur selten eine Betonung, die auf eine andere Erstsprache tippen lässt.

Integration anstatt Ausgrenzung

Er lebte zunächst bei Freunden in Rom, zog später in eine Mietwohnung. Parallel war Arbeiten angesagt, er musste ohne Stipendium auskommen. Einer seiner Brüder lebt bis heute in Rom, einer in Deutschland. Ausgrenzung habe er nie erlebt, sagt Martin Tsemzang, Integration in die Gesellschaft sei nie ein Problem gewesen. Das betont auch seine Frau Alvine Tchakountio. Sie kommt eine halbe Stunde später dazu. Als 18-Jährige ist die 1973 Geborene ein Jahr vor ihrem Mann von Kamerun nach Rom gekommen. „Mein Vater hat auch im Ausland studiert“, sagt sie, blättert interessiert in der Aprilausgabe der Straßenzeitung und entdeckt darin einen Patienten. Ihr Vater ist nach dem Studium in die Heimat zurückgekehrt. Seinen Kindern sagte er stets, sie sollten zumindest eine Zeitlang ins Ausland gehen. Anfangs habe sie Heimweh gehabt, nur ein Jahr wollte sie in Italien bleiben, heuer wird es ein Vierteljahrhundert. Alvine hat noch einen Bruder und drei Schwestern, eine lebt in Frankreich, der Vater ist vor einem Jahr gestorben.

Zu Beginn ihres Italienaufenthaltes ging sie einen Monat zum Intensivsprachkurs nach Perugia, um dann die Aufnahmeprüfung an der Uni zu machen. Die Sprache war schwierig, mit Freundschaften hat sie sich nie schwer getan. Als sie 24 war, fuhr sie das erste Mal heim, ihre Geschwister besuchten sie öfters in der italienischen Hauptstadt. Alvine lebte bereits vier und Martin drei Jahre in Rom, als sie denselben Kurs an der Uni belegten. Sie lachen mehrmals, während sie von der Zeit des Kennenlernens erzählen. Die Herkunft aus demselben Land könne in manchen Aspekten einer Beziehung hilfreich sein, meinen sie. Aber Liebe sei universell: Respekt, Sympathie und Zusammenhalt zählten mehr als die gleiche Nationalität.

Die Südtiroler Ordnung

Ihre Freunde stammen aus vielen Teilen der Welt. Zehn Jahre blieben sie in Rom, haben die Hauptstädter*innen als offene Leute kennengelernt, aufgeschlossener als die Südtiroler*innen. Sie haben noch nicht so viele Orte in Südtirol besucht. „Es ist alles sehr aufgeräumt hier“, das schätzen sie. Und das rege auch Urlauber*innen an, sich ordentlicher zu verhalten als beispielsweise in Rom, sagt Alvine.

1999 schlossen Alvine und Martin das Studium der Humanmedizin ab, Martin zog voraus nach Padua, Alvine kam ein Jahr später nach. 2006 beendeten sie die Spezialisierungen in Padua, er in Orthopädie und Traumatologie, sie als Radiologin.

2002 kam der erste Sohn zur Welt, 2006 der zweite. Alvine lächelt: „Unsere Familien waren weit weg, aber gute Freunde haben sie ersetzt.“ So brachte sie zum Beispiel beim Einsetzen der Wehen ein Freund aus Kongo ins Krankenhaus, weil ihr Mann Nachtdienst hatte. „Wir sind mit einigen Menschen sehr gut verbunden“, sagen beide. Martin arbeitete in Padua, Chioggia, Mestre und Cavalese. Der Wunsch nach Standortwechsel kommt vor allem von ihm. „Mein Anliegen ist das nicht so sehr“, sagt Alvine. Sie hatte im Krankenhaus Mestre einen unbefristeten Vertrag und sich nach neun Jahren gut eingelebt. Im Krankenhaus Brixen war eine Facharztstelle in der Orthopädie ausgeschrieben, Martin bewarb sich. Im Februar 2015 kamen sie gemeinsam nach Brixen, auch in der Radiologie war eine Stelle frei geworden. Die Wohnungssuche gestaltete sich schwierig: „Leichter findet man einen Diamanten“, meint Martin. Freunde unterstützten sie, irgendwann klappte es.

Als Kommunikationssprache dient dem Ehepaar Französisch. Französisch und Englisch sind die Amtssprachen von Kamerun, ein Erbe der Geschichte als Mandatsgebiet des Vereinigten Königreichs und Frankreichs von 1916 bis 1960. Neben diesen beiden Amtssprachen Kameruns und neben Italienisch wollen sie jetzt auch Deutsch lernen. Sie arbeiten als freiberufliche Fachärzte. Wenn sich jemand mit dem Zweisprachigkeitsnachweis findet, verlieren sie den Arbeitsplatz. Angst oder Sorge bereitet ihnen das nicht. Sie schauen sich an, voll Zuversicht. „Wir haben uns bisher immer zurechtgefunden, in unserem Leben schon so vieles gemacht.“ Im Brixner Krankenhaus sind sie die einzigen afrikanischen Ärzt*innen, im Krankenhaus Bruneck sind zwei weitere Kollegen aus Kamerun beschäftigt.

Helfen, um etwas zurückzugeben

Ganz beiläufig erzählt Martin, dass er mindestens drei Mal im Jahr nach Kamerun fährt. In der Hauptstadt Yaoundé und in zwei Ortschaften außerhalb operiert er besonders komplizierte Fälle, auf eigene Kosten und in seiner Urlaubszeit. Zehn Tage bleibt er weg, Anfang März ist er von seiner jüngsten Reise zurückgekommen. Er wolle dem Land etwas zurückgeben, sagt er. Bei seinen früheren Einsätzen wussten immer viele, zu viele Leute Bescheid, dass er kommen würde. Das hat bei vielen Hoffnungen geweckt, die er nicht erfüllen konnte.

Menschen sind 300 bis 400 Kilometer weit gefahren, um von ihm operiert zu werden, aber wegen mangelnder Zeit musste er sie unverrichteter Dinge heimschicken. Heute spricht er sich vorab mit seinen Kollegen in Kamerun ab, lässt sich Informationen, Röntgenbilder und Krankengeschichten schicken und entscheidet dann gemeinsam mit den lokalen Ärzten, wer operiert wird. Gerne würde er in größerer Dimension helfen, bräuchte dafür aber mehr finanzielle Ressourcen und einen besser ausgestatteten Operationssaal, um auch komplexere Eingriffe vorzunehmen. „Früher hoffte ich, dass sich jemand finden würde, der mich unterstützt, aber dann sagte ich mir: Tu das, was du kannst.“ Und das tut er. Alvine schaut auf die Uhr, weist auf ein gemeinsames Pizzaessen mit Freunden hin: Ziemlich früh werde hier zu Abend gegessen, sagt sie und steht auf. Daran wird sie sich gewöhnen wie an den Schnee, den sie zum ersten Mal gesehen hat, als sie bereits zehn Jahre lang in Italien war. Beschwingten Schrittes gehen die beiden davon.

von Maria Lobis

Der Text erschien erstmals in der 17. Ausgabe von „zebra.”, Mai 2016.

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