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Illustrations by Sarah
Teseo La Marca
Veröffentlicht
am 29.01.2018
LeuteInterview mit Gustav Hofer

Die Rache der Rottamati

Am 4. März wird in Italien wieder gewählt. Filmemacher Gustav Hofer kann es kaum erwarten und zieht schon mal eine Bilanz des politischen Chaos.
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Einer der vielen auferstandenen Rottamati: Silvio Berlusconi

Nach vier Ministerpräsidenten, die gar nicht als Kandidaten zur Wahl gestanden waren, dürfen die Italiener endlich wieder wählen gehen. Das ist doch schon mal was. Doch wer steht zur Wahl? Und wer hat die besten Aussichten? Der gebürtige Sarner Gustav Hofer lebt seit 1999 in Rom und residiert damit direkt in den ersten Reihen des italienischen Politspektakels. Als Macher diverser Dokumentationen wie „Italy. Love it or leave it“ oder „Schwulsein auf Italienisch“ hat er die italienische Gesellschaft wie wenige andere kennengelernt und verfolgt nun mit Interesse, was sich in der nationalen Politik gerade abspielt. Zwischen angeblichen „rottamati“, die als Botox-gefüllte Schaufensterpuppen wieder die Talk-Shows bevölkern, und erklärten Sozialdemokraten, die sich auf die Seite der Großindustriellen schlagen, wird es in der italienischen Politik im Grunde nie langweilig, sagt Hofer.

Herr Hofer, freuen Sie sich schon auf die Wahl?
Enorm!!

Höre ich da jetzt Ironie?
Es ist auf jeden Fall ein sehr komischer Wahlkampf. Der nächsten Wahl geht der kürzeste Wahlkampf der Geschichte der Republik Italiens voraus. Es sind knapp eineinhalb Monate bis zur Wahl, und der Wahlkampf hat im Grunde noch gar nicht angefangen. Mal abgesehen vom Silvio, den man zu jeder Gelegenheit, zu jeder Uhrzeit im Fernsehen sieht. Aber wirklich beginnen wird der Wahlkampf erst in den letzten Februarwochen. Das liegt auch daran, dass die Parteien aufgrund der Abschaffung der staatlichen Parteienfinanzierung kein Geld mehr haben. Vielleicht fehlt aber auch die Motivation, weil der Ausgang im Grunde schon für alle klar ist.

„Das Schlimme aber ist, dass jetzt Berlusconi zum x-ten Mal sein Comeback feiern kann.”

Was heißt das?
Man wird eine Situation haben, in der es zu keiner Regierungsbildung kommen kann, weil es keine Mehrheit gibt, ähnlich wie nach der letzten Wahl im Jahr 2013. Oder dass Mitte-Rechts, wenn der Trend so weitergeht, mit Berlusconi eine knappe Mehrheit haben könnte.

Filmemacher und Journalist Gustav Hofer

Wobei man zurzeit eher von Mitte-Rechtsextrem sprechen sollte.
Ja, das ist interessant. Es wird zwar immer noch von Mitte-Rechts gesprochen, aber mit dabei in der Koalition sind auch die Lega Nord und Fratelli d’Italia, die sehr rechts sind. Und selbst Forza Italia ist trotz wirtschaftsliberalem Flügel eine im Grunde rechtspopulistische Partei. Das Schlimme aber ist, dass jetzt Berlusconi zum x-ten Mal sein Comeback feiern kann. Jetzt geriert er sich schon wieder wie ein großer Staatsmann. Und daran ist der Movimento 5 Stelle schuld, weil er die Chance verpasste, die Unzufriedenheit der Menschen konstruktiv aufzufangen.

Warum ist das misslungen?
Bei der letzten Wahl war der M5S noch ein Novum. Die Presse ist ihnen hinterhergelaufen, aber auch kommunikativ haben sie eine sehr innovative Taktik verfolgt: Anstatt die Journalisten zu suchen, haben sie sich ihnen verweigert. Und das hat das allgemeine Interesse für das Enigma Cinque Stelle noch erhöht. Heute, nach fünf Jahren, wissen wir, dass es eine völlig inkompetente Truppe ist, die im Parlament nichts erreichen konnte und jede Möglichkeit verpasst hat, das Land positiv zu verändern. Bei den unioni civili haben sie sich schlussendlich enthalten, weder das ius soli, noch das reato di tortura haben sie unterstützt – alles Sachen, die Italien im Bereich der Menschenrechte vorangebracht hätten.

„Der Nicht-Wähler wird bei den nächsten Wahlen wahlentscheidend sein.”

Und doch ist der M5S in den Umfragen zurzeit die stärkste Partei.
Das sind Umfragen. Aber man muss abwarten, wie viele von den Befragten dann auch bereit sind, wählen zu gehen. Gerade in der Altersklasse der jungen Erwachsenen, wo der Anteil an M5S-Sympathisanten am höchsten ist, ist die Motivation, wählen zu gehen, am niedrigsten. Der Nicht-Wähler wird bei den nächsten Wahlen wahlentscheidend sein.

Wie wirkt sich denn das Ausbleiben eines Wahlkampfs auf die Wahlergebnisse aus? Kommt das jemandem zugute?
Das kommt vor allem der Politikverdrossenheit zugute. Es geht gar nicht einmal mehr um Inhalte. Keine Partei hat bis dato (Anm. d. Red.:19. Jänner 2018) ein Parteiprogramm vorgestellt. Es geht um einzelne Personen und um Allianzen. Aber nicht um die Frage: Wie stellt man sich die nächsten fünf Jahre vor? Stattdessen fragt man sich, wie man das, was in den letzten fünf Jahren eingeführt wurde, jetzt wieder rückgängig machen kann. Der Bürger hat also nicht die Wahl zwischen verschiedenen Visionen der Zukunft, sondern nur zwischen verschiedenen Versionen der Vergangenheit.

Andererseits sind die italienischen Wähler aus Tradition reaktionär. Ist man unzufrieden mit der jetzigen Regierung, so wählt man einfach wieder die Gegnerpartei, die zuvor an der Regierung war, und vergisst, dass man damals auch unzufrieden gewesen war. Kann man vor diesem Hintergrund sagen, was Mitte-Links seit 2013 falsch gemacht hat?
Ein Grund ist die Arroganz, mit der Renzi Politik gemacht hat. Zum Beispiel hat er sich geweigert, mit den Gewerkschaften zu sprechen. Als Sozialdemokrat hat er vermittelt, dass er lieber mit Marchionne ist, als mit den Arbeitern. Letztendlich ist Renzi nicht die Stimme der jungen Generation geworden, sondern der alten. Derjenigen, die schon einen Job oder eine Pensionsvorsorge haben. Das Ergebnis ist, dass die jungen Wähler jetzt an erster Stelle für den M5S stimmen und an zweiter Stelle für Berlusconi. Was absurd ist.

Es ist also ein Chaos. Jetzt hat Italien zum Beispiel auch wieder ein neues Wahlgesetz, das „Rosatellum“, während man in Deutschland seit 1956, abgesehen von kleinen Änderungen, noch immer nach demselben Gesetz wählt. Wird man da nicht müde, sich mit italienischer Politik zu beschäftigen?
Im Gegenteil. Es ist wirklich jedes Mal was Neues. Wie in einem Fortsetzungsroman, wo sich plötzlich etwas Unerwartetes ereignet, das die Handlung in eine ganz neue Richtung lenkt. Wenn wir vor drei Jahren das Interview gemacht hätten, hätte zum Beispiel niemand gedacht, dass Renzi nur zwei Jahre später schon verbraten ist. Oder dass Berlusconi wieder zurückkommt.

Wobei doch genau das viele Menschen politikverdrossen macht. Jedes Mal, wenn die Hoffnung aufkommt, dass sich endlich etwas verändert, stellt es sich als kurzlebige Illusion heraus.
Es herrscht allgemein eine Atmosphäre der Restauration gerade. Es ist unglaublich, wie schnell in Italien eine neue politische Klasse – Renzi und seine rottamatori – verbraten worden ist. Jetzt kann man beobachten, wie die alte Generation der rottamati sich rächt und wieder zurück an die Macht will. Nicht nur Berlusconi, auch D’Alema, Di Pietro oder Bobo Craxi.

Gustav Hofer und Luca Ragazzi während ihrer preisgekrönten Roadtripdoku durch Italien – natürlich in einem Fiat 500.

Seit Sie mit Ihrem Lebensgefährten Luca Ragazzi den Film „Italy – Love it or leave it“ gedreht haben, sind mindestens sieben Jahre vergangen. Sie sind seitdem noch nicht emigriert, überwiegt also love?
Ja, love hat gewonnen. Und es hat auch damit zu tun, dass man ab einem gewissen Alter nicht mehr so motiviert ist, alles zu verlassen, den Freundeskreis, das gewohnte Umfeld – ganz davon abgesehen, dass es schwierig ist, eine Stadt zu finden, die so schön ist wie Rom.

Eine Stadt, in der auch der Vatikan residiert. Haben Sie den Eindruck, als Homosexueller auch eine spezielle Sicht, eine vielleicht objektivere Sicht auf die italienische Gesellschaft zu haben, die ja von konservativ-katholischen Werten stark durchdrungen ist?
Ich würde das jetzt nicht direkt auf die italienische Gesellschaft beziehen. Homophobie gibt es überall, ich sehe da keinen besonderen Unterschied zu anderen Gesellschaften.

Auch nicht im Vergleich zu nordischen Ländern?
Ich habe in Italien nie Homophobie direkt erlebt. Es stimmt aber, dass die Politik sehr langsam ist, die unioni civili einzuführen, weil sie sehr vatikanhörig ist. Die Trennung zwischen Kirche und Staat existiert oft nur auf dem Papier. Aber auch in nordischeren Ländern gibt es leider Homophobie, genauso wie Frauenfeindlichkeit oder Sexismus. Das findet dort halt verdeckter statt, wie sich in der metoo-Debatte gezeigt hat. Aber dass der öffentliche Diskurs in Italien sich schwertut, gesellschaftliche Veränderungen zu verdauen, das stimmt. Auch wenn gewisse Dinge in der Gesellschaft längst schon angekommen sind.

Um Sexismus wird es auch in Ihrem neuen Film gehen. Können Sie schon etwas mehr darüber verraten?
Der Film ist gerade in der Pre-Produktionsphase. Luca Ragazzi und ich wollen uns, ausgehend von Italien, mit dem Thema im Allgemeinen auseinandersetzen. Welche sind die Gründe, dass wir im Jahr 2018 noch immer eine so sexistische Gesellschaft sind? Dabei suchen wir auch nach der Verantwortung bzw. den Verantwortlichen. Aber viel mehr kann ich noch nicht sagen.

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