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Marianna Kastlunger
Veröffentlicht
am 14.02.2018
LeuteGletscherforscher Georg Kaser

Auf dünnem Eis

Veröffentlicht
am 14.02.2018
Der Glaziologe Georg Kaser zählt zu den renommiertesten Klimaforschern der Welt. Er sagt: „Die Folgen des Klimawandels sind nicht mehr aufzuhalten.“
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Im Nildelta könnte der Anstieg des Meeresspiegels die landwirtschaftliche Versorgung unmöglich machen, im Golf von Bengalen 30 Millionen Menschen zur Abwanderung zwingen. Zahlreiche Inselstaaten und Atolle im Pazifik drohen, unterzugehen. „Abwenden können wir diese und andere Folgen des Klimawandels nicht mehr“, weiß Georg Kaser, Professor und Dekan der Fakultät für Geo- und Atmosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck. Jetzt müsse man den Schaden begrenzen.

Seit kurzem ist der gebürtige Meraner Mitglied der renommierten Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW). Auch wenn sich eine solch gewichtige Institution in seinen Augen einen Fehlpass leistet, hält der 64-Jährige mit seiner Kritik nicht zurück. Im Jänner lud die ÖAW den amerikanischen Energieforscher Steve Koonin zum Vortrag nach Wien. Koonin zweifelt das Ausmaß der menschlichen Schuld in Sachen Klimawandel an. Kaser hätte seinen Vortrag deshalb gerne verhindert.

Warum sind solche Zweifel am Klimawandel kontraproduktiv?
Wenn an der globalen Erwärmung durch Menschenhand gezweifelt wird, obwohl sie bereits als Fakt gilt, wird die Arbeit von vielen durch eine kleine Minderheit, die meist bestenfalls in verwandten Wissenschaften geforscht hat, diskreditiert. Zwei völlig konträrer Positionen gegenüberzustellen mag zwar medienwirksam sein, ist aber nicht zielführend. Das Buch „Die Macchiavellis der Wissenschaft“ schildert eindrucksvoll, wie eine Gruppe von Leuten seit Jahrzehnten systematisch Zweifel in den wissenschaftlichen Diskurs streut und manipulativ für bestimmte Zwecke missbraucht.

Glaziologe Georg Kaser

Etwa in Form von Lobbyismus?
Es gibt viele Motive, den Klimawandel zu leugnen und die Klimaforschung zu diskreditieren. Aber ja, vor allem in den USA existieren Institute und Think Tanks, die meist noch im Geiste des Kalten Krieges agieren. Dabei greifen auf den ersten Blick unzusammenhängende Themen ineinander: Präsident Reagan wollte etwa Anfang der 80er-Jahre eine Abwehr gegen atomare Interkontinentalraketen im Weltraum installieren. An diesem sogenannten „Krieg der Sterne“ waren Wissenschaftler beteiligt, die schon seit den 50er-Jahren gegen medizinische Erkenntnisse lobbyiert hatten, die der Tabakindustrie schadeten. Die gleichen Leute unterminierten internationale Abkommen zur Verringerung des sauren Regens und des Ozonlochs. Dabei stellten sie die jeweiligen wissenschaftlichen Erkenntnisse mit den immer gleichen Methoden in Zweifel. Daraus wurde abgeleitet: Lieber nicht handeln, bevor man vielleicht unnötig wirtschaftlichen Schaden verursacht. Seit den 1970-Jahren diskreditieren diese „kalten Krieger“ auch die Klimaforschung.

Und heute? Auch Präsident Trump gilt als Leugner des Klimawandels …
China und die USA sind 2015 von ihren jahrzehntealten Positionen der gegenseitigen Schuldzuweisung abgerückt. Sie haben damit die internationale Klimaschutzvereinbarung von Paris ermöglicht und sich verpflichtet, ihren Beitrag zur Reduktion der Treibhausgasemissionen zu leisten. Das war ein Durchbruch. Trotz Trump arbeiten heute mehrere US-Staaten, Bürgermeister amerikanischer Großstädte und sogar große Firmen aktiv an der Reduktion der Emissionen. Und: Vor 2020 könnten die USA ohnehin nicht aus dem Pariser Vertrag aussteigen, im selben Jahr wird wieder gewählt. Dass ein Land wie Deutschland die selbstgesteckten CO2-Ziele nicht erreicht hat, beunruhigt mich eigentlich mehr.

Wie macht sich der Klimawandel hierzulande bemerkbar?
Der Klimawandel zeigt sich durch Phänomene und Veränderungen, die durch mehr Energie im System erklärbar sind. Diese lassen etwa jahreszeitlich übliche atmosphärische Wechselwirkungen zwischen dem Atlantik und Europa früher als bisher eintreten. Das zeigt sich wiederholt in viel zu frühen Warmphasen im Frühling und ebenso frühen Kälterückschlägen. Viele Obstbäume blühen zu früh und werden in dieser empfindlichen Phase durch Frostnächte beschädigt. Das wirkt sich negativ auf die Ernte aus. Andererseits führen zu warme Nächte vor allem in der Reifezeit zu niedrigen Qualitätsniveaus im Obstbau. Den tendenziellen Temperaturanstieg kann man auch gut an den steigenden Vegetationsgrenzen und am drastischen Schmelzen der Gletscher beobachten. Die Hitzeperioden nehmen im Sommer zu, was in den letzten Jahren zum Tauen von Permafrost geführt hat. Fehlender Permafrost kann wiederum zeitweilig Quellen versiegen lassen, zur Senkung der Festigkeit von Gestein und vermehrt zu Felsstürzen führen.

Sind solche Veränderungen denn vorhersehbar?
Nicht punktgenau, denn die Atmosphärenphysik ist zu komplex. Wir können nur Szenarien zeichnen und darin geänderte Häufigkeiten und Intensitäten von Ereignissen als statistische Wahrscheinlichkeiten abbilden. Mit dem Klimawandel wird es nicht einfach überall wärmer, sondern es ändern sich etwa auch die Zirkulationsmuster in der Atmosphäre. Damit erklären sich dann zum Beispiel bisher fehlende Erwärmungen in begrenzten Gegenden. Besonders der Niederschlag ist von einer sehr hohen Variabilität geprägt. Wenn manche Klimatologen vereinfachte Prognosen erstellen in denen steht, im Jahr x werden wir im Gebiet y nicht mehr skifahren können, ist das zu trivial.

Wie gehen denn Touristiker oder Bahnbetreiber mit dieser Diskussion um?
Für viele ist das Thema Klimawandel ein rotes Tuch. Es ist dann schwer, den Überbringer der Nachricht getrennt von der Nachricht zu sehen. Die Diskussionen sind emotionsgeladen. Als Klimaforscher wird man gerne in die Ecke der Spaßverderber gedrängt. Dabei lautet mein Appell an die Tourismustreibenden lediglich, dass sie sich mit wissenschaftlichen Forschungsergebnissen konfrontieren und sich auf den für sie nützlichen Diskurs mit Klimaforschern einlassen. Seriöse Forschung hat keine Meinung, sie zeigt nur auf – etwa wie das Klimasystem funktioniert. Ein emotionsloser Umgang mit wissenschaftlichen Erkenntnissen kann für alle Entscheidungsträgern nützlich sein.

Georg Kaser arbeitete 2007 im Weltklimarat der Vereinten Nationen mit, dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC). Die Berichte des IPCC zählen zu den wichtigsten Nachschlagewerken zum Klimawandel. Sie werden von einem Kollektiv von Wissenschaftlern aus aller Welt geschrieben. Kaser sollte den Entwurf des Weltklimaberichts von 2007 auf sachlich richtige Darstellung überprüfen. Als er dabei einen eklatanten Tippfehler entdeckte, schlug er sofort Alarm: Der Bericht enthielt die Vorhersage, die Himalaya-Gletscher würden bis zum Jahr 2035 verschwinden – dabei hätte es 2350 heißen müssen. Kaser meldete den Fehler, doch der Bericht wurde trotzdem veröffentlicht.

Als Journalisten ihn später entdeckten, gab Kaser ihn in einem Interview mit der französischen Nachrichtenagentur AFP zu: „Diese Zahl ist so falsch, dass es gar nicht wert ist, weiter darüber zu sprechen“, erklärte er. Ein Satz, der um die Welt ging. Denn dass ausgerechnet der wichtigsten Instanz zur Klimaforschung ein solcher Fehler unterlief, war ein echter Scoop. Die Zahl wurde zwar korrigiert, der Imageschaden aber war enorm. Die Medien stürzten sich auf die Story, wollten Namen und Schuldige. Kaser wurde wochenlang pausenlos kontaktiert. Er wusste, dass es nichts gebracht hätte, Namen zu nennen, denn der Fehler war systembedingt. Also beschloss er, sich nicht mehr zu äußern: „Dafür klopften mir nachher viele Kollegen auf die Schulter. Das war auch irgendwie ein Erfolg“, sagt er heute.

Als Wissenschaftler haben Sie sich der Sachlichkeit verpflichtet. Wo lauern dabei die größten Herausforderungen?
In der Tatsache, dass ich mich für keine noch so gut gemeinte Lobbyarbeit einspannen lassen darf. Als Klimaforscher kann ich nicht Gallionsfigur einer einschlägigen Initiative sein. Ich muss auch die Arbeit von Umwelt-Lobbyorganisationen kritisieren dürfen, wenn sie fachlich unkorrekt ist. Kunstschnee und technische Beschneiung sind so ein Reizthema mit großer Sichtbarkeit und hoher Emotionalisierung. Da bleibt leider oft kein Platz für eine sachliche Diskussion. Keine Frage, ein Skigebiet kann (noch) nicht CO2-neutral wirtschaften, aber Freude und Erholung für die Besucher und wirtschaftliche Wertschöpfung für die Region sind von großem Wert für unsere Gesellschaft. Vielfach wird auf der einen Seite mit gutem Gewissen für die Umwelt Partei ergriffen und die Gegenseite reagiert dann panisch auf Kritik und verschließt sich der sachlichen Argumentation. Beide Seiten täten gut daran, sich mit der komplizierten Situation sachlich auseinanderzusetzen und sich dazu der unabhängigen Forschung zu bedienen. Dazu müssen wir Forscher aber strikt unparteiisch bleiben.

Und womit können Normalsterbliche ihren Beitrag gegen den Klimawandel leisten?
Man kann sich mit ökologischen Fußabdruckrechnern im Netz ein Bild des eigenen CO2-Ausstoßes machen. Wenn wir ein einigermaßen händelbares Limit an Erwärmung von 2 Grad halten wollen, müssten wir in den nächsten 30 Jahren mit dem CO2-Ausstoß auf null kommen. Dafür zählt jede kleine Maßnahme, weniger Autofahren, Strom sparen, politisch aktiv sein und so weiter – so banal das auch klingen mag.

Wird es uns gelingen?
Es wird trotzdem ein sehr schwieriger Weg werden. Energie- und Wirtschaftsexperten behaupten, wir könnten unseren aktuellen Lebensstil und Energiekonsum unmöglich halten. Ein möglicher erster Schritt wäre die Elektrifizierung der Welt, um die absolute Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu kappen. Allerdings bedeutet Strom aus Wasserkraft eine große Belastung für die Gewässer. Viele moderne Technologien brauchen spezielle Rohstoffe, deren Gewinnung wiederum sehr problematisch ist. Ohne energische Reduktion des Energieverbrauchs ist das +2°C Ziel nicht erreichbar und das wiederum bedeutet gesellschaftlichen Wandel. Wir können ihn entweder aktiv gestalten, oder abwarten, bis er mit dem Klimawandel unkontrolliert erfolgt.

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