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Irina Ladurner
Veröffentlicht
am 11.12.2014
LeuteDesigner Karl Emilio Pircher

„Wir machen den Wahnsinn“

Veröffentlicht
am 11.12.2014
Mit seinem Designstudio entwirft er Lampen aus Pillenpackungen und gestaltete ein Bordell zur Cocktailbar um. „Ich sehe mich als Erfinder“, sagt Karl Emilio Pircher.
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Karl Emilio Pircher (links) und Fidel Peugeot sind Walking Chair.

„Ist das Murano?“, fragen Besucher, wenn sie die Wiener Marienapotheke betreten. Dabei besteht die bunte Lichtinstallation über ihren Köpfen aus Abfall: aus Blisterpackungen, von der Apothekerin gesammelt, von Walking Chair zusammengeheftet. „Sister Blister“ heißen die kunstvollen Lampen, die auch im Designstudio im dritten Wiener Gemeindebezirk hängen. „Sobald die Leute über etwas reden und sich damit auseinandersetzen, hast du schon etwas erreicht. Da sind Leute darunter, die sich nicht vorstellen konnten, dass aus Pillenpackungen eine Lampe entstehen kann und die finden: Das ist eine super Idee“, erklärt der gebürtige Bozner Karl Emilio Pircher. Er führt zusammen mit dem Schweizer Grafik- und Schriftdesigner Fidel Peugeot das Designstudio „Walking Chair“, das den Innenraum der Apotheke zuletzt neu gestaltete.

In der Designszene verbindet man Pircher und Peugeot meist mit zwei Produktdesigns: Zum einen mit einem gehenden Stuhl – Namensgeber des Studios und Teil der Dauerausstellung des Wiener Hofmobiliendepots. Zum anderen mit einem runden Tisch, der sich zum Ping-Pong-Feld umfunktionieren lässt. Die drehbare Konstruktion „Ping meets Pong“ eignet sich als Ess- oder Konferenztisch. Nach einem Meeting bringt man das Ping-Pong-Netz an und spielt eine Partie, findet so vielleicht zu einer besseren Business-Lösung. „Das sind neue Formen der Kommunikation“, erklärt der 51-jährige Pircher, der 2003 das Wiener Studio mit Peugeot gründete.

Die Marienapotheke, das jüngste Inneneinrichtungsprojekt von Walking Chair.

„Schmäh“ anstatt Tabus

Man wolle zeigen, dass das Leben lustiger, interessanter, sinnlicher sein kann. 2012 gestaltete Walking Chair ein Bordell nahe des Wiener Naschmarkts zu einer In-Bar mit dem Namen „Puff-Bar“ um. Den Namen hat man ganz bewusst gewählt und ein Tabu damit salonfähig gemacht. „Die Besitzer wollten das anfangs nicht, weil dann jeder meinte, die Bar sei ein Puff, aber genau das ist ja der Schmäh. Wir brechen das Tabu, indem die Leute das Wort in den Mund nehmen. Die richtigen Etablissements nennen sich ja gar nicht so“, erklärt Pircher. Vor allem Frauen gingen gerne ins „Puff“, das die Designer vom schmuddeligen Bordell zur schick-gemütlichen Bar umfunktionierten. Die vergoldeten Elemente des Vorgängerlokals mussten weichen, die rosa Wände wurden schwarz übermalt. Sammelboxen für Plastik, die man ein Jahr zuvor für den Getränkehersteller Vöslauer entworfen hatte, wurden zu Beleuchtungselementen. Wie riesige Augen, die ihre Farbe wechseln, spiegeln sie sich zu dutzenden in der schwarzen Glastheke. Dazwischen Stilbrüche: Kitschelemente in Form geschwungener Lampen heben die Sterilität auf. Raumkonzept, Lichtinstallation, Name, Schrift und Logo der Bar – alles trägt die Handschrift von Walking Chair. Auch eigene Gläser hat Pircher für die Puff-Bar entworfen.

„Wir sind der Gegenpunkt zu diesen Spezialisten, die immer das gleiche machen. Sie können darin zwar ganz gut sein. Aber vielleicht ist das Ergebnis irgendwann langweilig und festgefahren.“

Das Designstudio ist in vielen Disziplinen zuhause. Das Duo entwarf einen Tisch mit eingebautem Piano, der Kaffeehausatmosphäre für ein kleines Publikum schafft, gestaltete ein Schwimmbadareal samt Pool, Liegewiese und Restaurant in Bosnien-Herzegowina und zeichnet sich für das Ausstellungsdesign einer Reihe von Museen verantwortlich. „Wir sind der Gegenpunkt zu diesen Spezialisten, die immer das gleiche machen. Sie können darin zwar ganz gut sein. Aber vielleicht ist das Ergebnis irgendwann langweilig und festgefahren“, sagt Pircher.

Unter den Arbeits- und Schauräumen des Wiener Studios liegt seine Werkstatt. Ihr größeres Pendant befindet sich in Südtirol. Auf seinem Bauernhof in Deutschnofen hat Pircher sich eine Metallwerkstatt und eine Tischlerei eingerichtet. Alle paar Monate kommt er mit der Familie hierher. Irgendwann will der Designer ganz in seine Heimat zurück. Dabei ist der Begriff Designer zu kurz gegriffen. „Ich sehe mich eher als Erfinder“, erklärt er.

Lösungen für die Gesellschaft

Pircher ist Maschinenbaumeister, lehrte an der Landesfachschule in Brixen und lernte dort, dass er selbst noch lernen wollte. „Ich habe mich entschieden, Produktdesign zu studieren, weil ich Lösungen für die Gesellschaft entwickeln wollte. Das geht über die Masse vielleicht besser wie als Künstler, der in seinem Elfenbeinturm sitzt“, erklärt er. Mit 28 Jahren begann er an der Universität für angewandte Kunst in Wien sein Studium bei Stardesigner Ron Arad. Später arbeitete er für die Lomographische Gesellschaft in Wien, entwickelte den Lomoclip und zwei analoge Fotokameras und lernte den Schweizer Peugeot kennen, der dort Schriften entwarf.

Mit Walking Chair wollte man gemeinsam neue Wege gehen. Das Duo bricht eingefahrene Situationen und konventionelle Denkmuster auf. Es schmückt Apotheken mit ihren Abfallprodukten, lässt Manager zum Ping-Pong-Schläger greifen und macht eine Bar wieder zum „Puff“. Begleitend zu den Projekten entstehen Songs. Pircher hat die Instrumente dazu entworfen. Das Musikmachen überlässt er seiner Frau und Peugeot. „Wir sagen ja: We make things and songs. Wir machen den Wahnsinn“, lacht der Erfinder.

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